Aktion gegen den hessischen Wirtschaftminister Karry (Mai 81)

Wenn Tagträume Realität werden ...
»Am frühen Morgen des 11.5. gegen 5 Uhr hat sich der in Frankfurt Seckbach einsitzende Terrorist Heinz Hubert Karry mit vier Schüssen aus einer Kleinkaliberpistole das Leben genommen.
Karry stand unter dem dringenden Verdacht der langjährigen Mitgliedschaft und Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung, der Vorbereitung mehrerer Atomsprengstoffanschläge, massiver und kaum regenerierbarer Umweltzerstörung und -vernichtung, des illegalen Waffenhandels, der Beihilfe zur Kriegsvorbereitung, der Begünstigung und Strafvereitelung von wirtschaftkriminellen Vereinigungen, der Nötigung, des schweren Landfriedensbruchs, der schweren Körperverletzung, des versuchten und vollendeten Mordes in zahllosen Fällen. Wie die Selbstmordwaffe in seine Hände gelangte, ist bislang unbekannt. Als erste Maßnahme wurde die Bewachung seiner Helfershelfer und Komplizen aus dem terroristischen Umfeld verschärft, um weitere, die freikapitalistisch-herrschaftliche Grundordnung erpressende Selbstmorde zu verhindern...«
So oder ähnlich könnten wir fortfahren, würden wir die Sprache und den grenzenlosen Zynismus der Herrrschenden weiter parodieren. Ein Zynismus, der den Hungerstreik-Tod im nordirischen KZ Long Kesh [23] 1981 wie die Geisel-Hinrichtungen von Stammheim 1976/77 als »Selbstmorde« deklariert. Ein Zynismus, der aus dem Hungerstreik gegen persönlichkeitszerstörende Isolationshaft - im Falle des nicht-tödlichen Ausgangs - eine »Werbung für eine terroristische Vereinigung (§129a)« macht (K.H. Dellwo [24] und H. Herlitz [25]) und bei wild um sich schießenden Agenten des Systems die Notwehr konstruiert. Dieser Zynismus, Ausdruck der Herrschaftsverhältnisse wie der Klassenfronten, in denen wir existieren, wird in unserem langen Kampf gegen die kapitalistische Todesmaschinerie nie der unsrige werden.

Deshalb:
Was Rebhuhn und Co. [26] wissen, aber zurückhalten (ausgenommen die im Spiegel [27] kolportierte dämliche Schock-Theorie), ist: Der Tod von Karry war nicht beabsichtigt, sondern ein Unfall.
Geplant war, durch mehrere Schüsse in seine Beine dafür zu sorgen, daß er länger das Bett hüten muß, als ihm und seinen Freunden lieb ist, den »Türaufmacher« des Kapitals (Karry über Karry) für längere Zeit daran zu hindern, seine widerlichen und zerstörerichen Projekte weiterzuverfolgen. Hätten wir Karry umlegen wollen, hätten wir ein anderes Kaliber benutzt und vor allem sein Kopf (bzw. seinen Oberkörper) ins Visier genommen. Das wäre leichter gewesen. Daß eins der vier Projektile, von denen er getroffen wurde, seine Beckenschlagader zerfetzte und damit tödlich wurde, war der große - nicht einkalkulierte - Zufall an der Geschichte. Nicht zufällig ist, daß BKA und Bundesanwaltschaft, entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit, die Einschußstellen nicht genau beschrieben haben.
Daß Karry durch diesen Zufall die Reise in die ewigen Jagdgründe antreten mußte, bekümmert uns ausschließlich insofern, als dies nicht geplant war, wir damit das Aktionsziel verfehlten.
Insoweit mußten und haben wir Selbstkritik geübt:
1. Ein - schmerzhaft - aus dem Schlaf Gerissener reagiert anders, panischer (und damit unberechenbarer) als jemand, der wach ist.
2. Die zu treffenden Körperteile waren verdeckt, was die Zielsicherheit und -genauigkeit über das akzeptable Maß hinaus einschränkt.
Da - trotz der Verwendung eines Kalibers, das normalerweise keine tödlichen Verletzungen hervorruft - es keine Garantie hierfür gibt, hat diese Aktion für uns die Konsequenz, das Angriffsmittel Knarre auch in Zukunft ausschließlich gegen Personen anzuwenden, bei denen das Risiko des nicht-beabsichtigten Todes eingegangen werden kann.
Wäre Karry tatsächlich so unbeschwert und schutzlos gewesen, wie es die bürgerliche Presse anfangs weismachen wollte, hätten wir andere Wege und Mittel gewählt, unser Ziel zu erreichen. Denn nichts liegt uns ferner, als den Einsatz der Knarre als das Mittel militanten Widerstands zu propagieren.
Die Art und Weise unserer Aktion war ausschließlich davon bestimmt, Karry alleine zu erwischen und damit die Gefährdung anderer Personen (z.B. sein Fahrer und andere Begleiter) auszuschließen sowie selbstverständlich den größtmöglichen Schutz für uns selbst zu gewährleisten.
Der Terrorist Heinz Herbert Karry, posthum von den Medien als volkstümlicher, hessisch babbelnder, Äppelwoi-saufender und Rippchen mit Kraut fressender Mann von nebenan zu verkaufen, war verantwortlich für:
- das größte Atomkraftwerk der Welt: Biblis A und Biblis B inclusive Kompaktlager
- Plan Biblis C
- Planung Wiederaufbereitungsanlage Nordhessen
- Atomzentrum und Plutoniumlager Hanau
- Startbahn West des Frankfurter Flughafens
- jede Menge Autobahnen und Schnellstraßen (A 66, B 8, A 49, A 661, B 448 usw.)
- als Bundesschatzmeister der FDP war er Schlüsselfigur für Waffenlieferungen in Spannungsgebiete.

Auf der einen Seite
* muteten ihn Stingls [28] ohnehin gedrückte Arbeitslosenstatistiken wie »Zahlenorakel« an, denn »ein großer Teil der Arbeitslosen ist nicht ernsthaft am Erhalt eines Arbeitsplatzes interessiert« (Warum nur???) oder »wird vom Arbeitsamt nicht nachdrücklich genug (!!!) vermittelt« (FR v. 16.10.1980)
* verlangte er den Verschub und die Umsiedlung von Arbeitslosen als Manövriermasse des Kapitals.
* sollten »Begriffe wie Pflicht wieder eine größere Rolle spielen«, arbeiteten ihm die Deutschen zu wenig und »machen zu viel blau und krank« (BILD v. 18.7.1980)
* war er Mittelsmann zwischen Unternehmen und Kassenärztlicher Vereinigung zum Zwecke der Disziplierung »zu viel« krankschreibender Ärzte, der Senkung der Krankheitsrate und der erhöhten Auspressung menschlicher Arbeitskraft.

Auf der anderen Seite
* unterstützte und deckte er Preisabsprachen von Baufirmen
* forderte er von der Bundesregierung die Übernahme der Mehr-Kosten, die den Atomfirmen durch die Verschärfung der »Sicherheitsvorschriften« - in der Novelle des Atomgesetzes - entstehen, damit diesen sowieso massiv subventionierten Firmen ihre Riesenprofite in vollem Umfang erhalten bleiben. (FR v. 25.2.1981)
Stets im Dienste seiner Vaterstadt Frankfurt und ihrer High Society betrieb er gemeinsam mit seinen Freunden Wallmann und Hesselbach den mindestens 200 Millionen kostenden Wiederauf- und Ausbau des Prunk- und Protzobjekts »Alte Oper«.
Äußerungen wie: »Das Hearing kann ausgehen, wie es will oder zu Ergebnissen führen, wie immer sie auch ausgehen mögen - für die Landesregierung wird es keine Konsequenzen geben« (FR v. 15.1.1981) sind einzuordnen unter sein Motto: Nützlich ist, was dem Kapital nützt.
Für seine Person hat es inzwischen Konsequenzen gegeben.
Heinz Herbert Karry, Intimus von H.D. Genscher [29], war darüber hinaus Wegbereiter und ständiger politischer Koordinator der Wirtschaftsbeziehungen des bundesdeutschen Kapitals mit Osteuropa und China.
All das drückt aus, welche zentrale Funktion er über das Land Hessen hinaus für seine Kapitalistenklasse inne hatte und erklärt die des »Schmerzes« vollen Äußerungen seiner Komplizen: »Ein Heinz Herbert Karry wird für uns nicht ersetzbar sein« (sein Zögling E. Gries in einem Nachruf) - und das ist gut so.
Dem entsprach denn auch der Popanz, der um sein Ende veranstaltet wurde. Die Schmidts, Genschers, Wallmänner und wie sie alle heißen, sind selbst getroffen. Es wurde wieder einmal deutlich, daß ihr schmutziges, blutiges Geschäft der Herrschaft, Ausbeutung, Unterdrückung und Zerstörung auch für sie nicht folgenlos bleiben muß, daß sich die Waffen auch gegen sie wenden können. Ihre »Trauer« ist Ausdruck ihrer Angst.
Doch mit ihrer Betroffenheit wollen sie nicht unter sich bleiben. Das Volk soll und muß mittrauern, soll den Verlust des Feindes bedauern. Sie geben sich nicht zufrieden mit ihrer Demonstration, nicht mit der Propaganda vom volkstümlichen Menschen wie du und ich; sie wollen die staatlich verordnete Trauer erzwingen: So hetzen sie jetzt - wie bei dem (distanzierenden) Buback-Nachruf [30] - gegen die Schreiber eines Artikels der Frankfurter Stadtschülerratszeitung, der die Aktion verurteilt, aber ansonsten das Kind beim Namen nennt.
Schweine wie Karry müssen beweint und gerächt werden.
Wo aber sind die Tränen und die Rache für die von Figuren wie Karry alltäglich und normal gemordeten Menschen?
Wer beklagt die Unfalltoten der Straßen, die Opfer der Produktionsverhältnisse, die Arbeitsunfälle, wer die Tausenden mittels Alkohol, Medikamenten und Rauschgift umgebrachten, wer die in Haftanstalten und Psychiatrieknästen zerstörten Menschenleben, die Chemie- und Atomkranken und -toten und schließlich die - von Produktions- und Lebensbedingungen niedergemacht - »normal«-Sterbenden????
Die sind lediglich der Preis für Wohlstand und Macht der Mächtigen und Besitzenden.
Was die verschiedenen Reaktionen in der Bewegung betrifft, wollen wir auf Argumentationen eingehen, die insbesondere auf der Startbahn West und dem B 8-Damm geäußert wurden: Solche Aktionen fielen auf die legal operierenden Gruppen zurück, das Hüttendorf würde deshalb geräumt etc.
Sicherlich ist es eine berechtigte Spekulation, die Räumung des Damms zu diesem Zeitpunkt (!) mit dem Tod Karrys in Verbindung zu bringen. Schließlich lassen die Herrschenden sich nicht alles gefallen. Nur - und das ist an sich müßig festzustellen: Die Räumung von Startbahn und B 8 ist (war) schon immer geplant. Die einzige Frage ist, ob sie durchgesetzt werden kann. Das hängt ab vom Ausmaß und der Stärke unseres kollektiven, militanten Widerstands.
Eine Woche vor der Aktion gegen Karry wurde der Platz für die Giftmülldeponie Mainhausen »freigemacht«. Was war wohl der Grund hierfür und wer hat das veranlaßt?
Wenn in diesem Land grundlegende Veränderungen erkämpft werden sollen, dann muß schleunigst mit dieser Untertanen-Logik gebrochen werden, muß sich abgewöhnt werden zu bitten und zu betteln, genauso wie sich die Sicht trüben zu lassen und verarschen zu lassen von der Taktik, der »Fairness und Volkstümlichkeit« eines Karry, der es fertigbrachte, mit einer Spende von 100,- DM die Dammbesetzer zu beeindrucken und ihr Wohlwollen zu kaufen. (War das das Sonderangebot des Jahres?)
Knechte haben sich noch nie von ihrer Herrschaft befreit, indem sie vor den Herrn niederknieten und um Zugeständnisse bettelten. Gebrochenes Rückgrat oder aufrechter Gang - das war seit jeher die Entscheidung.
Unter der Regie von Karry entwickelte sich im letzten Jahrzehnt Hessen zum Atomland Nr. 1 und die Rhein-Main-Region zum Zentrum der westdeutschen Atomtechnologie.
Demgegenüber kam die hiesige AKW-Bewegung im gleichen Zeitraum über zaghafte Ansätze kaum hinaus. Die Augen vor dem verschließend, was unmittelbar vor der eigenen Nase passierte, erschöpften sich unsere Aktivitäten weitgehend in fernen Großdemonstrationen. Whyl, Brokdorf, Kalkar, Grohnde, Gorleben und wieder Brokdorf heißen die Stationen. »Mit Brokdorf steht und fällt das gesamte Atomprogramm« ist eine - falsche - von vielen Argumentationen, die die Legitimation für die eigene Untätigkeit, Unentschlossenheit und Phantasielosigkeit liefern sollen. Warum sollen immer nur Bauplätze zur Wiese gemacht werden?
Warum ist es kein realistisches Ziel, die Stillegung von Biblis »A« und »B« zu erkämpfen und »C« zu verhindern? Wurde und wird doch gerade am Beispiel Brokdorf das Problem der »offenen Feldschlachten« thematisiert und die Notwendigkeit, den Kampf in die Städte zu tragen, propagiert!
An Angriffszielen und - möglichkeiten mangelt es im Rhein-Main-Gebiet wirklich nicht.
Der ökologische und menschliche Vernichtungsfeldzug der Großindustrie ist kein Auswuchs, sondern gleichzeitig Bestandteil und Konsequenz des kapitalistischen Systems. Er ist nicht immanent, d.h. in den vorgegebenen Strukturen zu stoppen oder gar rückgängig zu machen. Jeder Widerstand, der die Grundlagen des Systems nicht in Frage stellt, verkommt deshalb zwangsläufig zur reformerischen Marotte.
Darum konnte das 4-tägige Landtagshearing zur Startbahn West im Februar dieses Jahres durch das immanente Agieren der Bürgerinitiativen auch auf nichts anderes hinauslaufen als auf die altbekannte »Güterabwägung« zwischen sogenannten Arbeitsplätzen und drohendem Fortschreiten der ökologischen Zerstörung. Auch die Fixierung auf das nun angestrebte Volksbegehren bedeutet eine weitere Verlagerung und Beschränkung der Aktivitäten auf die traditionelle politische Ebene. Im wahrsten Sinne des Wortes verschleißt, lähmt und inaktiviert es die Kräfte des Widerstands. Nicht umsonst ist es in letzter Zeit um die Startbahn West sehr ruhig geworden, wurde aus der geplanten Errichtung eines hölzernen Wachturms ein Trauerspiel. Das mit solcher Ausschließlichkeit betriebene Volksbegehren entpuppt sich damit als legalistischer Strohhalm, der den Untergang nur noch beschleunigen wird, wenn diese Fixierung nicht bald durchbrochen wird.
Eine freie, menschliche und ökologisch orientierte Gesellschaft ist nur als antikapitalistische denkbar. Ökologischer Widerstand wird entweder revolutionär oder er bleibt wirkungslos. Ziele wie Aktionsformen revolutionären Widerstands sind unterschiedlich und vielschichtig. Dabei ist die Sabotage die notwendige und effektivste Kampf- und Aktionsform.
Sabotage ist immer, überall und jederzeit möglich: In ihr erorbern wir uns die Freude und Phantasie zurück, die uns die Herrschenden genommen haben und ständig zu nehmen versuchen.
Ihr Ziel ist einfach und klar: An allen Ecken und Enden die kapitalistische Maschinerie ins Stocken, Schwanken und Rotieren bringen.
Sie ist individuell und kollektiv ausführbar.
Sie ist Ausdruck für den radikalen Bruch mit und die Kompromißlosigkeit gegenüber dem kapitalistischen System, für das Bedürfnis und den Willen nach Veränderung.
Sie richtet sich gegen Maschinen, Institutionen, Personen. Gegen alles, was uns kaputtmacht, zerstört und unterdrückt.
Sie ist nicht blind, sondern zielgerichtet: Freiheit, Frieden, Liebe und Glück für die Menschen und Krieg den Fabriken, Ämtern und Palästen der Herrschenden.
Sie kennt - selbstredend - nicht die Aktion, die die Verhältnisse »kippt«, sondern nur viele, viele einzelne Aktionen, deren gemeinsames Ziel die Offensive gegen das System ist!
Der Kampf geht weiter!
Schafft viele Revolutionäre Zellen!





Aktion gegen Züblin/ Bratengeier, Frankfurt (Oktober 81)

Der Widerstand lebt
Weil wir den Bauplatz immer noch nicht zurückerobert haben und deshalb auch nicht direkt an die zum Startbahnbau benötigten Baumaschinen rankommen, haben wir uns heute Nacht zwei in der Stadt herumplanierende Bagger von am Bau der Kriegsstartbahn beteiligten Firmen vorgeknöpft. Am Wendelsplatz haben wir einen Bagger der Firma Züblin, in der Feldbergstraße einen Bagger der Firma Jean Bratengeier abgebrannt.
Die Rückeroberung des von den Bullen abgeriegelten Geländes wäre am 7.11. möglich gewesen - und wurde aus den eigenen Reihen heraus verhindert.
Nachdem nach der Räumung des Hüttendorfes eine Woche lang täglich Zehntausende im Wald, in Frankfurt, in der Region und darüberhinaus in der gesamten BRD demonstriert und sich teilweise auch praktisch gewehrt hatten, war die Bewegung auf dem besten Weg, ihren defensiven Rahmen zu sprengen und einen ersten konkreten Sieg zu erkämpfen.
Der Samstag im Wald sollte der Höhepunkt der Auseinandersetzungen dieser Woche werden - und wurde zum Desaster. Durch die Eigendynamik der Bewegung waren die Funktionäre gezwungen, sich schleunigst etwas einfallen zu lassen, um die Kontrolle über die Auseinandersetzungen zu behalten bzw. zurückzugewinnen. Die Massenmilitanz gerade im Wald hatte so an Breite und Intensität zugenommen, daß sich auch die »Politiker« der Bewegung nicht davon distanzieren konnten. [...] Ihnen war klar, daß am 7.11. im Wald die Konfrontation bevorstand.
Die Initiative für den anstehenden Sturm auf dem Platz zogen sie nur an sich, indem sie ihre Demonstration der »Gewaltlosigkeit« als Spitze dieses Sturms verkauften. Daß sie auch noch nackt erfolgen mußte (es fehlten gerade noch das Jesuskreuz und die Nägel) ist nur eine besondere theatralische Variante einer Opferhaltung, in die wir wieder zurückgedrängt werden sollten. Die Verwirklichung der geplanten Platzbesetzung wurde in Absprache mit dem Bullenhäuptling Vogel unterlaufen.
Generalstabsmäßig waren die Megaphone auf ausgewählte Personen (darunter mindestens ein Zivilbulle), die in die bevorstehenden Maßnahmen eingeweiht waren, verteilt, wurde nur eine Anzahl von Leuten auf den Platz gelassen, Menschen, die nachströmen wollten, daran gehindert und der nunmehr zu Zuschauern degradierten Menge die Forderung nach einem Gespräch mit Gries präsentiert. Davon war vorher natürlich mit keinem Wort die Rede gewesen, vielmehr war 2 Wochen zuvor vom Deligiertentreffen erklärt - und damit verbindlich beschlossen worden - daß es mit Gries, Gemmer [31] & Co. nichts zu verhandeln gibt.
Die Aufforderung an die Zehntausende, »Ruhe zu halten« (Orginaltton eines BI'lers durch den polizeieigenen (!) Lautsprecher) - und das stundenlang - wurde mit dem einfachen, aber wirkungsvollen Trick durchgesetzt, daß Spahn, Wilma Frühwacht-Treber & Co. sich selbst zu Geiseln erklärten.
Unterschlagen werden soll nicht, daß diese Ereignisse nur von einem bestimmten Teil der »Nackten« zu verantworten sind. Unser aller Versagen war, daß wir uns überrascht und total fassungslos die »Ruhe« aufzwingen ließen.
Das Zustandekommen dieses Komplotts braucht nicht zu verwundern, wenn man/frau weiß, daß der gleiche Personenkreis sichere Informationen über das Datum der Hüttendorfräumung hatte, aber - auf Grund seiner Funktion - die rechtzeitige Auslösung der Alarmkette zu verhindern wußte. Die Strategie, den Widerstand wenn irgendmöglich aus dem Wald herauszuhalten - weg vom Ort des Geschehens - setzt sich fort in dem Aufruf zur Blockade des Frankfurter Flughafens am vergangenen Wochenende. Zu einem Zeitpunkt, an dem Rodung und Bauarbeiten in vollem Gang sind, ausgerechnet eine Blockade des Flughafens anzusetzen, kann nicht anders erklärt werden, zudem die Diskussionen und Beschlüsse während der abgelaufenen Woche sich immer um die Frage der Mobilisierung in den Wald - und nirgendwo sonst hin - gedreht haben. [...]
Die Frage nach dem »Warum« der Blockade hat Alexander Schubart am Montag nur allzu deutlich beantwortet:
»Frankfurt a.M., 16. Nov. (dpa)
Die Protestaktionen auf dem Flughafen sind den Bürgerinitiativen •total aus dem Ruder gelaufen­, sagte heute der Sprecher der •Aktionsgemeinschaft Volksbegehren und Volksentscheid - keine Startbahn West­, Alexander Schubart, auf dpa-Anfrage. Er sei •furchtbar erschüttert­. Vielleicht sei es das falsche Mittel gewesen, am Samstag in Wiesbaden zum Boykott des Flughafens aufzurufen, räumte Schubart ein, der den Appell der Bürgerinitiative zur Besetzung von Rhein-Main unterstützt hatte. Doch ohne den Aufruf wäre es nach seiner Meinung zu noch größeren Auseinandersetzungen an der Mauer gekommen, die das Baugelände sichert. Es habe der Plan für einen •Totaldurchbruch­ bestanden. Nach dem Kabinettsbeschluß der hessischen Landesregierung hätte sich niemand einbilden können, daß es gestern ruhig bleiben würde, meinte Schubart. Er bezeichnete das Verhalten der Landesregierung als •einmalig­ in der Geschichte der Bundesrepublik und als kalte Verachtung der Verfassung.«
Das Ziel dieser »Politiker« ist, den Widerstand auf einer symbolischen (d.h. wirkungslosen) Ebene zu halten, um ihn mehr oder weniger alternativ in die offiziellen, parlamentarischen Bahnen (AL, Grüne Liste etc.) zu kanalisieren. Sie wollten nicht aktivieren und wirkungsvollen Widerstand, sondern sehen diese Massenbewegung als Public-Relation-Veranstaltung für eine alternative Wahlbewegung, die sie nächstens in den Hessischen Landtag befördern soll.
Wie das Politiker so an sich haben, wenn's um ihre Macht geht, ist ihnen für ihre Durchsetzung jedes Mittel recht. So interessiert Schubart, Treber, Spahn und Konsorten auch die Bewegung gegen die Kriegsstartbahn 18 West einzig und allein unter dem Aspekt, sie für ihre eigenen, langfristigen, politischen Absichten zu funktionalisieren
Diese Frage nach der Funktionalisierbarkeit von Massenbewegungen ist das Geschäft und das Charakteristikum aller Politiker. Sie haben den größten Bammel davor, daß die Bewegung ihrer Kontrolle entgleitet und eine Eigendynamik entwickelt, die »sie« mit hinwegfegt. Das wäre dann die Basisdemokratie, die die »Politiker« nicht meinen. Die Auseinandersetzung mit diesen Machtverhältnissen, Klarheit und ein Bewußtsein davon, was verdeckt abläuft, sind die Voraussetzungen dafür, die Art und Weise des Widerstandes sowie seine Richtung genauer zu bestimmen.
Daß viele davor zurückschrecken, diese Auseinandersetzung mit aller Härte und allen erforderlichen Konsequenzen zu führen, ist vor allem begründet in der Angst vor den radikalen, grundlegenden Veränderungen, die ihre notwendige Folge sind. Daß vielfach die geplante Niederschlagung der Offensive des Widerstands am 7.11. noch fast liebevoll »Verarschung« genannt wird, ist nur ein Ausdruck der Verdrängung der politischen Ernsthaftigkeit und Bedrohung, die von diesen Ereignissen ausgeht. Die Angst, das traditionelle Weltbild aufgeben zu müssen, die Angst vor einer grundlegenden Änderung unserer Vorstellungen und Lebensäußerungen können wir uns nur gegenseitig in inhaltlichen Diskussionen und praktischen Kämpfen und Kämpfchen überwinden helfen.
Widerstand heißt Kampf und Kampf ist zunächst - zu Recht - mit Angst verbunden. Aber genau die Angst setzt den Mechanismus in Gang, den Widerstand an die Macher, die »Politiker« zu delegieren, im traditionellen Rahmen stecken zu bleiben. Delegation von Widerstand gibt es nicht. Diesen Lernprozeß müssen noch viele Leute machen. Es ist auch Aufgabe der Militanten, diesen mit voranzutreiben.
Am meisten lernen wir, wenn wir das, wovon wir reden, auch so gut es geht in die Tat umsetzen.
Damit es gut und immer besser geht, müssen wir vor allem unsere Organisations- und Kommunikationsstrukturen so verändern, daß wir in der Lage sind, den Machern (z.B. in einer Situation wie am 7.11.) praktisch das entgegenzusetzen, was wir für richtig halten und uns nicht mehr von Leuten das Wort reden lassen, die alles andere als unsere Interessen vertreten, müssen wir Strukturen schaffen, die derartige Machtverhältnisse von vornherein ausschließen. Der Ort des praktischen Widerstands ist vor allem anderen draußen im Wald. Die Auseinandersetzung am und der Angriff auf den Bauplatz ist gleichsam der Knackpunkt des gesamten Widerstands. Das haben die »Politiker« längst begriffen. Vom Widerstand dort müssen sich andere Aktionen ableiten und daher ihre Funktion bestimmt werden. Statt zum Teil ziel- und planlos in der Stadt rumzuziehen, können die für die Startbahn Verantwortlichen aufgesucht werden, wie Börner bei seinem Besuch in Frankfurt, Gries in Langen, Hoffie und Schneider an ihrem Wohnort etc.
Immer klarer wurde in den letzten Tagen (Hausdurchsuchungen, Kriminalisierung, gezielte Hetzkampagnen), daß die Situation von der Landesregierung demnächst eskaliert werden wird. Der Zeitpunkt einer solchen Eskalation war noch nie so günstig wie nach dem 7.11. Ihr Ziel ist, den Widerstand gegen die Kriegsstartbahn endgülig zu zerschlagen.
Darauf müssen wir alle vorbereitet sein und eine Antwort finden.
Wir gehen nicht unter in Niederlagen, sondern in Kämpfen, die wir nicht kämpfen!





Aktion gegen das hessische Ministerium für Wirtschaft und Technik, Frankfurt (Dezember 81 [gescheitert])

Reisst die Mauern ein!
Der angebliche Baustop - in Wirklichkeit ein Rodungsstop - ist eine der üblichen Enten. Ein faktischer Rodungsstop bis Mitte Januar war seit 1 - 2 Wochen klar. Seine Ursachen sind weder der »Rechtsfrieden«, noch das, was der Börner sonst so rumplappert, sondern Ausdruck dessen, daß eine Konfrontation am Baugelände über Weihnachten/Neujahr für die Landesregierung nicht durchhaltbar ist: die Bullen sind überlastet und dienstmüde. Gut so! »Der Baustop bringt die spürbare Entlastung, die wir nötig haben, um uns zu regenerieren«, meint der hessische Landesvorsitzende der Bullengewerkschaft Koppmann.

Regenerieren wofür?
Die Entscheidung des Staatsgerichtshofes ist Mitte/Ende Januar zu erwarten; so sind es allenfalls ein paar Tage, um die sich der Beginn von Baulos 2 verzögert. Ein billiger Preis für ein angebliches Zugeständnis, das die Bewegung noch mehr in Passivität und Defensive zwingen soll.
Das Volksbegehren wird, wie Börner am 16.12. im Landtag zu prophezeien wußte und heute jede(r)m klar ist, vom Staatsgerichtshof (der sich aus 5 Richtern und 6 »Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens«, die vom Hessischen Landtag bestimmt werden, zusammensetzt) abgelehnt werden.
Danach werden unverzüglich die Rodungen der restlichen 166 ha (!) Wald in Angriff genommen. Sie sollen und müssen, wegen der Verwertbarkeit des kostbaren Holzes, spätestens im März abgeschlossen sein.
Darum sollten wir uns von solchen Scheinzugeständnissen nicht den Blick trüben lassen für das, was bezüglich der Startbahn 18 West in den nächsten Monaten ansteht.
Sorgen wir dafür, daß den Bullen ihre Regeneration unmöglich gemacht wird. Nehmen wir ihnen ihre Atempause - schaffen wir uns selbst die Luft zum Atmen!
Schaffen wir uns die Bedingungen für eine offensive Rückeroberung! Dafür ist mehr nötig als Hütten-, Brücken- und Barrikadenbau. Barrikaden wollen verteidigt, Mauern beseitigt werden und Menschen können sich organisieren.
Im Hessischen Ministerium für Wirtschaft und Technik ist heute morgen eine Bombe hochgegangen.
Dort werden zur Zeit drei Großprojekte in Angriff genommen: NATO Startbahn 18 West, Wiederaufbereitungsanlage und Block Biblis »C«. Weitere Atomkraftwerke sind geplant. [...]
Gegen diesen umfassenden Krieg des Kapitals kann kein punktueller, sondern nur ein ebenso umfassender, gemeinsamer Widerstand erfolgreich sein. Es wird dabei auch und vor allem darauf ankommen, Wege, Formen und Mittel zu finden, die die Möglichkeit und das Ziel beinhalten, Ausbeutung und Unterdrückung, ökologische Zerstörung und Krieg abzuschaffen und einer Gesellschaft Platz zu machen, in der wir Menschen sein können.
Wir haben heute versucht, einen Beitrag zu diesem langen Kampf zu geben.
Schafft viele Revolutionäre Zellen!





Aktion gegen Bilfinger & Berger; Frankfurt (Januar 82)

Wir haben heute Nacht 4 Baufahrzeuge der Firma Bilfinger & Berger, dem drittgrößten Bauunternehmen der BRD, in der Stresemannallee in Frankfurt angesteckt - einen VW-Pritschenwagen, einen Bagger und zwei kleinere Planierfahrzeuge. Die Firma Bilfinger & Berger ist u.a. an der Untertunnelung der Okrifteler Straße beteiligt.





Aktion gegen Philip Holzmann, Neu Isenburg (Februar 82)

Ph. Holzmann baut die Mauer im Flughafenwald und ist an vielen anderen Schweineprojekten wie U-Bahn-Bau, Hochhäuser, Stadtsanierung usw. beteiligt. Alles Sachen, die die Umwelt und unseren Lebensraum und Lebenszusammenhang zerstören. Angesichts der vielen Bullen ist es zur Zeit nicht möglich, im Wald effektiven Widerstand zu leisten. Dazu trägt aber auch das Verhalten von Teilen der BIs bei, die den Kampf gegen die Startbahn West nur noch auf parlamentarischem Wege führen wollen und den aktiven Widerstand ablehnen. Deshalb gilt es jetzt, den Widerstand zu dezentralisieren und überall in Städte und Dörfer zu tragen.





Aktion gegen Bilfinger & Berger; Wiesbaden (Februar 82)

Man hat's nicht leicht, wenn man als Baufirma seine Finger mit im Startbahnspiel hat. Wenn dann auch noch eine RZ •nen frisierten Feuerlöscher unters Sofa schiebt und selbigen zur Detonation bringt, wie z.B. am 24.2. in Wiesbaden geschehen, dann kann man sich schon zu Recht sabotiert fühlen und muß auch noch 100.000 Märker Sachschaden abschreiben. Die so hart gepeinigte Firma konnte ihre Fassung aber bereits am darauffolgenden Tag wiederfinden, just in dem Moment, in dem BI und A. Schubart sich zur Beileidsbekundung einfanden.





Aktion gegen Züblin, Duisburg (März 82)

In der letzten Woche wurde durch das Urteil des Kasseler Verwaltungsgsgerichtshofes klar, daß der Bau der Startbahn West des Frankfurter Flughafens nicht einmal formalrechtlich korrekt begonnen wurde.
Dennoch: dieses Gerichtsurteil wird die Startbahn West nicht aufhalten, die Arbeiten gehen weiter, das Hessische Wirtschaftministerium schiebt demnächst die »wasserrechtliche« Genehmigung hinterher, die ökologische Zerstörung der Region Mörfelden-Walldorf soll weitergehen.
Ebenfalls in der letzten Woche wurde deutlich, wie groß die militärische Bedeutung der Startbahn West für US- und NATO-Truppen ist. Über die bereits bekannten Tatsachen hinaus - die Startbahn West als Teil der US-Air Base wird zentrale Umschlagstelle für Einsätze der Rapid Deployment Force im Nahen Osten sein - soll sich die BRD in einem Vertrag mit den USA bereit erklärt haben, weitere 10 Flughäfen auszubauen. Damit soll die Möglichkeit geschaffen werden, innerhalb von 2 Tagen 6 US-Division - das wären einige hunderttausende Soldaten - in einem »Krisenfall« einzufliegen. Die BRD will nicht nur diese 10 Flughäfen ausbauen, sondern auch die Sicherung der Anlagen, Bodenpersonal, Logistik wie Hangars, Tanks und Gebäude übernehmen.
Die Startbahn West hat in diesem Konzept eine zentrale Bedeutung. Ihr enormer militärischer Stellenwert erklärt auch, warum SPD/FDP für die Durchsetzung der Startbahn West den Sturz der hessischen Landesregierung und damit spätestens den Sturz der Bundesregierung riskieren.
Wir haben heute am Verwaltungsgebäude der Fa. Züblin in Duisburg, direkt neben dem Polizeipräsidium, eine Bombe gelegt.
Die Firma Züblin, eine der größten Baufirmen in der BRD, soll in diesem Sommer die Startbahn bauen und ist auch schon an den Vorarbeiten beteiligt. Die Baufirma Züblin hat schon 1944 mit Frauen des KZ Walldorf für die deutsche Luftwaffe die erste Startbahn gebaut. Von ihren damaligen Arbeitskräften, 1.700 KZ-Häftlingen, überlebten nur 12.
Inzwischen hat die Firma Züblin über 1 Milliarde Jahresumsatz, ist am AKW-Geschäft beteiligt, baut den Rhein-Main-Donau-Kanal, U-Bahnen in zahlreichen Städten und dergleichen mehr.
Der Widerstand gegen die Startbahn muß auch direkt gegen die beteiligten Baufirmen, gegen die politisch Verantwortlichen, gegen die Militärs geführt werden. Die Auseinandersetzung um die Startbahn West ist dabei kein regional begrenztes Problem. Der Kampf gegen die Startbahn West verbindet den ökologischen mit antimilitaristischem und antiimperialistischem Widerstand.
Die Aktionen der Revolutionären Zellen im Frankfurter Raum haben in den letzten Monaten in beispielhafter Weise die ökonomische und politische Struktur der Startbahnbauer, dei Baufirmen Bratengeier, Bilfinger & Berger, Holzmann, Züblin, das hessische Wirtschaftsministerium, Flugsicherungsanlagen usw. angegriffen.
Neben den Auseinandersetzungen im Wald, den Demos in den Städten hat der Widerstand gegen die Startbahn West mit solchen Aktionen auch die politische Initiative behalten.





Aktion gegen Bilfinger & Berger, Mannheim + Dressler KG, Frankfurt (Juli 82)

Wir haben heute wieder mal zwei Startbahnbaufirmen heimgesucht. An der Hauptverwaltung der Firma Bilfinger & Berger in Mannheim haben wir einen Sprengsatz gezündet. Desgleichen bei der A. Dressler KG in Frankfurt, Elektronstr. 62. Auf Baustellen an der Eschborner Landstraße und am Zoo haben wir mehrere Baufahrzeuge der Firma Dressler in Brand gestzt.
Aus der breiten Protestbewegung gegen die Startbahn West ist eine kleine, dafür umso unbeirrbarere Widerstandsbewegung geworden. Für die allermeisten bedeutete die Zerschlagung ihrer Hoffnungen, ein Großprojekt wie die Startbahn mittels hunderttausendfachem Protest verhindern zu können, Rückzug und Resignation.
Daß sich jetzt auch bei den BIs der Rückzug in Form der Reduzierung von politischen Forderungen (nur noch »Nachtflugverbot«) und Auflösungstendenzen andeuten, ist nur der Endpunkt einer Politik, die nie über die Protestebene und über traditionelle Formen und Inhalte hinausgehen wollte. Dies zeigt und erklärt gleichzeitig, daß wir unserem Ziel nicht näherkommen, solange Protest und Widerstand fremd- und nicht selbstbestimmt sind.
Für diejenigen, die nicht aufgehört haben, gegen dieses Wahnsinnsprojekt zu kämpfen, kommt es jetzt darauf an, den Widerstand zu festigen und seine Basis zu erweitern. Das traditionell problematische Verhältnis der Deutschen (Linken) zum Widerstand zwingt uns einmal mehr zu zeigen, daß Widerstand nötig, möglich und sinnvoll ist. Es ist unsere einzige Chance, den Widerstand zu verbreitern und - konkret an der Startbahn - Teile der Resignierten zurückzugewinnen. Dafür ist es notwendig, das schon bestehende Nebeneinander verschiedener Widerstandsformen zu akzeptieren und auszubauen. Klar ist der Zweck aller Aktivitäten: die Bauarbeiten und den dazugehörigen Polizeiapparat stören und behindern!
Ihre Bandbreite kann sich erstrecken von einem sonntäglichen Kulturprogramm an der Mauer über kollektive Massenaktionen, z.B. Störung des Flugverkehrs durch Luftballons mit Aluminiumstreifen, bis hin zur Zerstörung der Bau- und Überwachungsanlagen und Angriffen auf die Betreiber. Sowohl für die Massenveranstaltungen wie sonntags und mittwochs (Frauen) als auch für nächtliche Attacken aller Art stellt sich die Frage nach der Organisierung. Was z.B. die Sonntage betrifft, ist das Problem, das unserer Ansicht nach vorrangig gelöst werden muß, die Kommunikation zwischen den verschiedenne Leuten und Gruppen. Damit meinen wir nicht einen irgendwie aufgeblähten und abgehobenen Apparat, der letztlich nur hemmt, sondern eine wenigstens minimale Verständigung und Verbindlichkeit untereinander. Bisher läuft die nur punktuell und individuell, und damit reichlich zufällig oder gar nicht. Trotz der unterschiedlichen Zusammensetzung der Bewegung - Leute mit unterschiedlichen Köpfen, Erfahrungen und Vorstellungen - ist diese Frage lösbar und müßte endlich auch mal angegangen werden. Dieser praktisch notwendige Schritt könnte außerdem dazu führen, der Bewegung politisch mehr Inhalte zu geben, die über den Bau der Startbahn hinausreichen und ihn überdauern.
Darüberhinaus müssen die Sonntage besser vorbereitet werden. Es muß mehr Leute geben, die genau wissen, was sie machen wollen und das dann auch durchziehen. Agieren wir hier doch auf einem festgelegten Terrain, das der zwar schwerfälligen, aber militärisch überlegenen Maschinerie der Bullen entgegenkommt. Diese können wir nur mit der Flexibilität und Mobilität von Kleingruppen unterlaufen, die genau planen und angepaßt an die jeweils unterschiedliche Situation zuschlagen können.
Wir denken, daß es gegen die obligatorischen Festnahmen einigermaßen effektive Gegenmaßnahmen gibt, die jede/r selbst treffen kann. Es gibt immer noch unheimlich viele Leute, die ohne Maskerade und mit auffälliger Kleidung vor den Augen der Bullen und Kameras agieren. Es ist ein Leichtes - wie sich immer wieder zeigt -, die dann herauszugreifen. Gesichtstuch, Kleiderwechsel und ein rechtzeitiger Rückzug können dem erfolgreich entgegenwirken. Einmal abgesehen davon, daß wir uns in die Lage versetzen, Leute auch wirklich wieder rauszuhauen. Viele, die in ihren Aktivitäten darum bemüht sind, eine Vermassung des Widerstand/Sabotage zu erreichen, gehen davon aus, daß dies am ehesten durch die Beteiligung möglichst vieler an Aktionen geschieht. Wir halten dies - jedenfalls was konkrete Sabotageaktionen angeht - für falsch. [...]
Wir denken, daß das Schielen auf die Massen bei vielen vor allem in der Angst begründet ist, sich die Frage zu stellen, was mann/frau selbst will, bereit ist zu geben und in der Lage ist zu tun.
»... Wer das Gras zwar grün, die Wurzeln aber blutrot sieht, steht vorläufig noch allein. Das darf nicht lange so bleiben. Keiner von uns hat viel Zeit... Wer Befreiung verhindern will, lebt gefährlich. Gelaber in Sachen Gewalt findet nicht statt. Die Zustände selbst sind Gewalt. Auch die Frage nach den Massen erweist sich als Müll. Sie verschüttet nur die Frage nach dir selbst. Manche möchten auf diese Frage lieber nicht antworten. Manche möchten lieber tot sein als leben. Manche freuen sich auf Weihnachten.« (Christian Geissler: Wird Zeit, daß wir leben)
[...] Die Vermassung von Widerstand/Sabotage erreichen wir durch erfolgreiche Aktionen, durch die praktische Demonstration, daß Widerstand möglich und für jede/n in irgendeiner Form machbar ist. Dadurch kriegen auch andere den Mut und die Kraft, selbst das zu tun, was sie richtig finden (und nicht nur zuzusehen und Beifall zu klatschen).
Teile der Bewegung sind in den letzten Monaten verstärkt dazu übergegangen, konkrete Sabotage sowohl auf dem Baugelände selbst (Baufahrzeuge, Flutlichtanlagen etc.) als auch in den Städten (Angriffe auf Baufirmen, -fahrzeuge) zu praktizieren.
Dem entspricht umgekehrt das zunehmende Totschweigen militanter Aktionen durch Betreiber und Presse. Von vielen Aktionen erfährt mann/frau nur zufällig, von vielen anderen sicherlich überhaupt nichts.
Genauso wichtig, wie die Aktion selbst, ist es auch, sie öffentlich zu machen. Widerstand, den keiner mitkriegt, kann auch niemandem Kraft, Mut und Anregung vermitteln.
In diesem Zusammenhang wollen wir nochmal was zu uns sagen: Wir haben uns noch nie als abgeschlossene und über allen anderen stehende Organisation verstanden und tun es auch heute nicht. Das Konzept der RZ besteht gerade darin, offen für alle zu sein, die es richtig finden, sich der Politik der Revolutionären Zellen zuzuordnen und sie praktizieren wollen.
Gerade im letzten Jahr hat sich durch die Massivität unserer Aktionen vor allem zur Startbahn und zum NATO-Gipfel [32] im Juni ein ohnehin existierender Mythos vom bewaffneten Kampf wieder verstärkt. Dieser Mythos wird auf der anderen Seite von den Bullen noch kräftig untermauert, indem sie uns mindestens einmal monatlich als mittlerweile größte »terroristische Gefahr« präsentieren. Das, wie auch Henker Rebmanns mit hübschen Bildchen garnierte Fahndungsblättchen vom Frühjahr, zielt ganz klar darauf ab, eine Distanz zwischen uns und euch aufzubauen. Sie wollen uns als straighte fighter, Heroen hinstellen; für euch unerreichbar. Vor was sie so viel Angst haben, sagen sie denn auch ganz offen: unsere Zugehörigkeit zu Massenbewegungen wie auch vor der für sie nicht greifbaren, aber für alle Militanten offenen und praktikablen Organisationform [...]




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