Erklärung zu Sylvester 1977/78

In Hamburg wollten zwei Genossinnen in der Sylvesternacht Fahrscheinautomaten zerstören. Einer ist explodiert. Christa ist dabei tödlich verletzt worden und Barbara schwer. Wir kennen die beiden Schwestern nicht, doch ihr Tod und ihre Verletzungen haben uns wahnsinnig getroffen.
Da sind zwei junge Genossinnen zum neuen Jahr losgezogen - hatten was besseres vor, als sich mit Alkohol vollaufen zu lassen, wollten statt leerer Sprüche und schaler Hoffnungen auf bessere Zeiten das neue Jahr mit brennenden Fahrscheinautomaten, mit einem Stück Nulltarif für alle beginnen.
Jetzt weiß jeder, warum es zu dieser Katastrophe gekommen ist, jetzt kann jeder »Bild«-Schreiberling runterrasseln, daß bei Benzin-Luft-Gemischen ein Funke genügt und daß in einem Stromkreislauf jederzeit ein Funke auftreten kann und daß ein Automatengehäuse wie eine gigantische Verdämmung (Druckbehälter) wirkt. Aber Christa und Barbara wußten es nicht, als dieses Wissen für sie lebenswichtig war und viele andere wußten es nicht, die noch mal Glück gehabt haben. Und das macht uns neben unserem Schmerz unheimlich wütend und verzweifelt.
In diesem verfluchten Land wird viel zu viel über Widerstand gequatscht und philosophiert, so lange, bis es die Besten nicht mehr aushalten, sich einen Benzinkanister schnappen und losrennen. Daß es immer mehr werden, das liegt nicht in den »Verführungskünsten« der Guerilla, wie viele Biertischstrategen gerne behaupten, dafür sorgen allein schon die unerträglichen, grausamen Bedingungen hier. Niemand wird die, denen es hier allmählich ganz dicke reicht, aufhalten können, darum geht es nicht, es geht darum, sie dafür besser auszurüsten.
Rennt nicht einfach los, sondern schnappt euch ein Chemiebuch und schaut nach, was ihr da eigentlich durch die Gegend tragen wollt. Wir sind nicht in palästinensischen Lagern oder in Nordirland aufgewachsen, wo die Kinder schon lernen, wie man sich wehrt, welche effektiven Mittel es gibt und wie man sie optimal einsetzt. Optimal, das heißt, daß sie dem Gegner schaden und nicht uns. Wir sind einem Land aufgewachsen, in dem Widerstandserfahrungen so gut wie überhaupt nicht entwickelt bzw. vermittelt wurden. Den Widerstand bewaffnen heißt zunächst, sich mit dem Wissen über Praktiken und Techniken des Widerstandes ausrüsten. Je mehr ihr darüber lernt, umso mehr Handlungsmöglichkeiten tun sich auf und die Gefahr für euch selber wird auf ein Minimum reduziert. Wenn ihr auf einem Gebiet sichere Erfahrungen habt, dann bringt sie unter die Leute, damit andere nicht unnötige Fehler machen. Wäre dies früher und massenhafter geschehen, könnte Christa vielleicht noch am Leben und Barbara gesund sein.
Insofern sind wir alle für das, was in Hamburg passierte, mit verantwortlich. Das ist furchtbar.





»Revolutionärer Zauber«- Praxisanleitungen einiger norddeutscher Revolutionärer Zellen (Dezember 81)

Der 21jährige Genosse Andreas ist tot, er starb nicht den alltäglichen Metropolentod.
Andreas war mobilisiert, hatte seinen Haß gegens System in Mut und Kraft verwandelt. Er hatte andere Lebensformen kennengelernt, der totale Widerspruch zu dem sonst Erlebten. Anstatt Streß, Konkurrenzkampf, Isolation hat er Liebe, Kollektivität, Freiheit versucht zu leben. Doch mußte - auch - Andreas erkennen, daß der Staat jeden radikalen Versuch neuer Arten des Zusammenlebens (Hausbesetzungen o.ä.) mit aller Gewalt zerstören will.
Andreas ist losgezogen, hat ne Aktion gemacht und mußte für Unwissenheit über Anwendung und Wirkung eines Brandsatzes mit seinem Leben bezahlen.
Dieser vermeidbare Unfall hat uns stark getroffen. Wir planten zwar schon seit längerem ne Broschüre zum klandestinen Kampf rauszubringen, doch ausschlaggebend war Andreas Tod.
Denn es ist gefährlich, ohne genaues Wissen über den bewaffneten Kampf loszuziehen, irgendeine Aktion zu machen und zu hoffen, es wird schon alles gut gehen. »Deshalb gilt es, die Technik des bewaffneten Kampfes zu erlernen [...], und das heißt zunächst ganz praktisch: die Aneignung von Wissen z.B. über den Bau und die Funktionsweise von Brand- und Sprengsätzen. Über das Fälschen von Papieren aller Art, über die Herstellung und Verbreitung der eigenen Propaganda (Zeitungen, Flugblätter, Sender). Das bedeutet das strikte Einhalten von Sicherheitsmaßnahmen zum Selbstschutz (beim Quatschen bei Treffs) und schließlich den Aufbau eines logistischen Rahmens, der über die momentane Anforderung hinausgeht (Materialdepots, Untertauchmöglichkeiten)«. (Zitat aus Revolutionärer Zorn Nr. 6)
In den letzten Jahren ist zwar ne Menge zum klandestinen Kampf rausgekommen (Handbuch zur Selbsthilfe, Do it, Ruhe in Land, Guerilla Diffusa u.ä.), meistens waren die Bauanleitungen, z.B. zu Spreng- und Brandsätzen so kompliziert, daß sie keiner mehr verstand oder höllisch gefährlich, daß einige Genossen mit schweren Verletzungen dafür bezahlen mußten.
Oft fehlt auch jede Beschreibung über Wirkung und Anwendung des - tödlichen - Materials, welches wir benutzen, darum gehen einige unachtsam damit um und bekamen die Quittung für ihr Handeln böse zu spüren (erinnert sei nur an den Genossen Hermann Feiling [5]). Wir empfehlen: Hände weg von solchen Anleitungen! Schaut in ein gutes Chemiebuch, was ihr da eigentlich durch die Gegend transportiert. Organisiert Lehrgänge, experimentiert mit kleinen Mengen (Wirkungsweise), zündet mal nen Molli usw. Es ist auch wichtig, viele verschiedene Techniken zu beherrschen, um in jeder Situation die richtige Technik einzusetzen.
Zum Schluß: in dieser Broschüre fehlt z.B. die Anleitung zum Waffengebrauch und ne ausgedehnte Abhandlung über Spurenverhinderung, was für euch aber nur heißen kann, sich selbst fortzubilden (recht einfach, denn die Gegenseite produziert viel Schriftliches darüber). Auch solltet ihr »unsere« Techniken weiterentwickeln und in ner Broschüre unters Volk bringen, damit Unfälle vermieden werden können/müssen!
Nun aber viel Spaß beim Lesen, Experimentieren und anw...!!!
Schafft viele Revolutionäre Zellen.





Versuchter Sprengstoffanschlag gegen Daimler-Benz, Frankfurt (Juni 79)

Wir haben am 15.6.79 in einem Gebnäude der Daimler-Benz AG Ffm einen 30 kg-Sprengsatz deponiert. Weil ein Gitter nicht mehr schloß, wurde ein Schließer aufmerksam und die 30 kg wurden entschärft. Sie hätten die Daimler-Bude in eine Ruine verwandelt. Daimler unterstützt bis heute das Folterregime Somozas. [6] Daimler ist hier in der BRD mitverantwortlich für die Einbetonierung und Zerstörung unserer Lebensbedingungen.
Wir solidarisieren uns mit dem fortschrittlichen Teil der Sandinistas, allen aktiven Widerstandsbewegungen und der kämpfenden Linken in der BRD.
Revolutionäre Zelle Nicaragua


Nach den Pressemeldungen am 16.6. und 17.6.79 sehen wir uns gezwungen, noch einmal Stellung zu der Aktion zu beziehen.
1. Der Sprengkörper hätte um 3.40 Uhr gezündet. Daß er nicht gezündet hat, lag an einem technischen Mangel, den wir inzwischen kennen. Nach diesem Zeitpunkt war eine Explosion technisch nicht mehr möglich.
2. Wir wußten, daß hinter dem Fenster des Lichtschachtes brennbares Material lagert. Im Umkreis von 150-250 Meter gibt es keine bewohnten Häuser, Straßen oder Schienen, wo jemand gefährdet gewesen wäre. Das, wofür wir uns kritisieren, ist der absurde Fehler, der uns unterlaufen ist. [...]
Revolutionäre Zelle Nicaragua





Brief der Revolutionären Zellen zu diesem Anschlag (Juni 79)

Wir wissen nicht, wer die »ID-Hausbombe« legte und wissen nicht, ob die Verantwortlichen sich möglicher Konsequenzen bewußt waren. Wir sind betroffen, daß eine Gruppe, die sich »RZ-Nicaragua« nennt, sich so unüberlegt zu einer solchen Aktion hinreißen läßt und sind froh, daß diese Bombe nicht losging.
Es stimmt uns nachdenklich, daß es Leute gibt, die ein an sich richtiges Projekt zur richtigen Zeit angehen, gleichzeitig wissentlich oder unwissentlich - das ist egal - linke Einrichtungen und, schlimmer noch, Menschenleben gefährden.
Wir sind genauso betroffen, wie damals in der Hamburger Silvesternacht, als eine Genossin sich aus Unkenntnis selbst hochbomte.
Unser Selbstverständnis als ein Teil der Linken existiert in realen Lebensbedingungen, die Fehler, auch kapitale, beinhalten.
Wir appellieren nicht an Leute oder Gruppen, unseren Namen nicht zu benutzen oder ähnliches, wir appellieren an diese, sorgfältiger mit sich und anderen umzugehen, und es ist keine Arroganz, wenn wir eindringlich die bitten, die z.B. in der Emserstraße in Frankfurt handwerkten, lieber nichts zu tun, als daß uns letztendlich ihre Bomben selbst um die Ohren fliegen.
Wir verstehen die Wut der Betroffenen, meinen aber, daß den Somozas, Vorsters, Urangesellschaften und allen anderen, die unsere Leben und Lebensbedingungen zerstören, auch die Antwort in militanter Form gegeben werden muß.
Wir verstehen uns nicht als Avantgarde der linken Bewegung, sondern als Teil von ihr und akzeptieren alle Widerstandsformen gegen Repression, Imperialismus und kapitalistischer Ausbeutung, egal, wo diese Unterdrückungsmechanismen existieren.
Revolutionäre Zelle(n)




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