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  Seite 4/7
Die Ermordung Aldo Moros

Aus:
Mit offenem Blick, Seite 131-141

Von Curcio

zu tun.« So etwa war seine Botschaft, auf die ich getreu der im Knast festgelegten Linie nur mit Schweigen antworten konnte. Auch Franca Rame suchte mich im Knast auf, um mir eine ähnliche Rede zu halten. Eines Abends gegen halb zehn benachrichtigten sie uns in den Zellen,
daß eine Person für einen Gruppenbesuch gekommen sei. Um diese Uhrzeit war dies eine absolut ungewöhnliche Angelegenheit. Ich ging jedenfalls mit Franceschini und Ognibene dorthin. Sie brachten uns in einen kleinen Saal ohne Trennscheibe, was äußerst ungewöhnlich war. Von allen unseren Besuchen, auch denen der engsten Familienangehörigen, waren wir zu jener Zeit durch eine dicke Glasscheibe getrennt. An einem Tisch saß Franca Rame. Ich hatte sie auf der Bühne gesehen und schätzte sie sehr, sowohl als Schauspielerin als auch für ihre Arbeit zugunsten der Gefangenen. Sie erzählte uns, die Erlaubnis für das Treffen vom Justizministerium erhalten zu haben, aber nicht als Sprecherin irgendeiner Institution gekommen zu sein. »Ich repräsentiere nur mich selbst«, erklärte sie, »ich bin eine Militante der Linken und fühle mich mit jedem solidarisch, der gefangengehalten wird, auch mit Aldo Moro. Ich glaube, daß das, was die Roten Brigaden derzeit machen, sehr gefährlich für alle ist. Ich wünschte, daß ihr wirkungsvolle Worte für seine Rettung finden könntet.« Ich sagte, daß es keinen Sinn hatte, sich an uns zu wenden. Moro war nicht in unseren Händen, und wir konnten nicht in die externe Organisation eingreifen. Ich war traurig und mußte sie enttäuscht weggehen sehen. Ihre Worte waren offen und ehrlich gewesen.

Und die anderen Anfragen, die du erhalten hast?
Viele Anfragen kamen indirekt, mit der Post, zumeist anonym.
Ich hatte mich mittlerweile etwa ein Dutzend Mal mit meinem Anwalt Giannino Guiso besprochen. Über seine Rolle und seine Kontakte zu
den Sozialisten82 ist viel gemutmaßt worden. Ich kann nur sagen, daß ich ihm in den verstreichenden Tagen meine Ansichten zu dieser Angelegenheit immer freimütiger dargelegte, ohne von seiner Seite irgend etwas Präzises zu vernehmen. Während des Prozesses war er im Gerichtssaal einmal etwa zehn Tage abwesend. Ich habe keine Ahnung, was er in dieser Zeit gemacht hat. Auf das, was er hätte berichten können, und wem, hatte ich keinen Einfluß. Aber auch durch die Post lastete großer Druck auf mir. In jener Phase bekam ich sehr viele Briefe...

Wieviele?
Einige hundert. Das war sicherlich organisiert worden, um mich darüber zu beeinflussen. Mich erreichten sogar die Briefe religiöser Orden: Mönche, Priester, Nonnen in Klausur, Missionare. Alle schrieben mehr oder weniger das gleiche: »Wir schätzen Ihre intellektuelle Aufrichtigkeit. Wir hoffen, daß Sie auf Ihr Herz hören werden, und flehen Sie an, etwas für die Rettung Moros zu unternehmen ...« Ich erhielt auch Briefe von Schulkindern und die Schulaufsätze Dutzender Grundschulen.

Das war alles, religöse Mitteilungen und Botschaften von Kindern?
Nein, auch viele lange Briefe, die von Personen aus der Welt der Diplomaten und Geheimdienste verfaßt sein mußten. Sie kamen nicht nur aus Italien, sondern auch aus Deutschland, den Vereinigten Staaten und Frankreich. Sie waren mit »ein Freund«, »ein Mensch, der Sie für intelligent hält«, »einer, der die Sache durchschaut« usw. unterschrieben. Einige waren höchst interessant. Gut geschrieben, mit genau artikulierten politischen Einschätzungen, die dahin tendierten, verschiedene Szenarien auszumalen, nach denen die Roten Brigaden alles gewonnen hätten, würden sie Moro lebendig freilassen. Wir haben sie im Knast aufmerksam gelesen und kommentiert. Die Gedankengänge waren oft überzeugend. Ihr großer Irrtum lag aber darin, daß sie nicht verstehen wollten, daß es nicht darum ging, mich zu überzeugen, sondern die BR-Genossen, die draußen agierten und den Entführten in ihren Händen hatten. Schließlich gab es noch eine dritte Kategorie Briefe. Die von Jugendlichen, Studenten, Arbeitern,

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Mit offenem Blick
Renato Curcio
Zur Geschichte der Roten Brigaden. Ein Gespräch mit Mario Scialoja.
205 Seiten
1. Auflage 1997
ISBN: 3-89408-068-X
Preis: € 16   sFr 30 
(zzgl. Porto+Versand)
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