26.April.2000
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»Die Linke ist immer in der Krise«
Am Thema kann es nicht gelegen haben. Das war richtig gewählt: Um »Produktivität und Existenz« sollte es in der neuen Ausgabe der Beute aus dem linken Berliner ID-Verlag gehen. Aber der für Oktober 1999 angekündigte Band ist bis heute nicht erschienen. Jetzt wird noch mal neu über die Beute nachgedacht. Ausstellen statt abdrucken: Im Kontext ihrer Ausstellung zum Problem von »Produktivität und Existenz« im Berliner Kunstamt Kreuzberg/Bethanien wollen die Herausgeber das Anfang der Neunziger gegründete Projekt zur Diskussion stellen. Ein Interview. (Veröffentlicht in Jungle World)
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Heike Runge und Tobias Rapp sprachen mit Andreas Fanizadeh.
Der ID-Verlag hat seit Frühjahr 1999 kein neues Buchprogramm vorgelegt, die letzte Ausgabe der Beute ist im Mai letzten Jahres erschienen. Sind dem ID-Verlag, vor allem der Beute, die Ideen ausgegangen? Allein über finanzielle Engpässe zu reden, ist zumeist wenig ergiebig. Und da wir davon ausgehen, dass ökonomische Krisen auch für inhaltliche Probleme stehen, haben wir die Herausgabe der aktuellen Beute in den öffentlichen Raum verlegt. Wir hätten eine neue Ausgabe produzieren können, hatten aber einfach keine Lust dazu.
Ihr habt stattdessen die Ausstellung »Produktivität und Existenz« als ein begehbares Heft konzipiert. Bestimmte Koordinaten, unter denen wir in den Neunzigern agierten, sind nicht mehr gültig, und wir halten es auch nicht für sinnvoll, das weiter zu reproduzieren. Das diskutieren wir öffentlich und überprüfen dabei, was für die Leute, mit denen wir zusammenarbeiten, heute vielleicht anders ist. Die Auftaktdiskussion, bei der es um das Politik-Verständnis einer pop-kulturell orientierten Linken ging, war der Versuch, für alle den Vorhang aufzuziehen und zu zeigen: So sieht's aus. Das ist der Zustand einer Szene, die wir mitorganisiert haben und der wir uns verbunden fühlen.
Die FAZ interpretierte dies als ein Eingeständnis einer fundamentalen Krise der Linken. Das ist natürlich Quatsch, sich von der FAZ sagen zu lassen, wann die Linke in der Krise ist. Die Linke ist immer in der Krise. Das gehört dazu, dass eine Linke permanent erfolglos ist. Weil sie herrschaftskritisch ist und nicht autoritär, weil sie sich nicht an die Macht setzen will. Wenn man linke Publizistik betreibt, dann ist es ja immer so, dass man ökonomisch mit dem Rücken zur Wand produzieren muss. Dieses ökonomische Minus wird in der Regel durch einen ideellen Überschuss ausgeglichen. Und dieser Überschuss ist bei uns jetzt aufgebraucht. Die Beute und auch der Verlag stehen für den Versuch, verschiedene staatskritische Strömungen der Linken zu bündeln. Wir haben versucht, die verschiedenen Tendenzen der hedonistischen und militanten Linken, die sich sonst in unproduktiver Art und Weise voneinander abgrenzen, produktiv aufeinander zu beziehen. Auf Seiten der politischen Linken gibt es etwa einen bestimmten Funktionalismus gegenüber Kulturacts oder Musikgruppen. Für Benefiz-Veranstaltungen sind sie immer gut, es gibt aber keine spezifische Auseinandersetzung mit kultureller Produktion, die außerhalb der klassischen Politik steht. Deswegen wollten wir mit der Ausstellung und den Veranstaltungen das Verhältnis umdrehen und die Beute ausgehend von der Bild-Produktion machen.
Braucht die Linke überhaupt noch eigene Publikationen, wenn linke Autoren auch in der bürgerlichen Presse hochwillkommen sind? Wir haben immer auf Selbstorganisierung als Ausgangspunkt einer kontinuierlichen linken Kritik gesetzt. Das aber schließt keineswegs aus, kritische Positionen und eine linke Gesellschaftskritik auch über die großen Medienapparaturen zu betreiben. Ein Problem wird das erst, wenn die Leute Kritik mit schnöder Teilhabe verwechseln. Da gibt es aber keinen Automatismus. Dennoch hatten wir zuletzt öfter das Gefühl, den Laden nicht aus einer Position der Stärke zu betreiben und mussten aufpassen, nicht nur zur Positionierung der Kleinen auf dem Markt der Großen zu dienen. Ich will da niemanden beschimpfen und kann gut verstehen, aus welchem Druck heraus man in Mainstream-Medien veröffentlicht. Aber man darf nicht vergessen: Wenn man auf einen »selbst bestimmten« kollektiven Rahmen verzichtet, wird man sich nach ein paar Jahren nicht mehr von denen unterscheiden, die man einst kritisiert hat. Das hat man beim Kosovo-Krieg gesehen, das hat man beim Golf-Krieg gesehen. Wenn tatsächlich ein Konflikt auftaucht, dann wird Linientreue verlangt.
Die Beute steht für ein Crossover von Politik und Pop-Kultur. Kann es sein, dass die Linke immer den Kürzeren zieht, wenn Pop und Linke sich treffen? Nein. Wir haben versucht, diese zwei Lager zusammen zu führen. Wo haben Leute aus der traditionellen politischen Linken - Theoretiker und Aktivisten - etwas zu sagen, was außerhalb ihrer Szene auch verständlich und bedeutsam ist? Und wo sind die entsprechenden Individuen und Gruppen im Kultur- und Kunstbereich? Die haben wir zusammengebracht, das war der Anspruch. Ich kenne viele Autoren, denen dieses Verhältnis sehr gut getan hat, weil sie einen Anschluss an andere Szenen gefunden haben. Die politische Linke steckt doch viel tiefer in der Krise als die subkulturell agierende Linke. Was sich politisch dort in den letzten Jahren abgespielt hat, ist noch viel sektiererischer als das, was auf dem kulturellen Feld passiert ist. Das ist ja immer die Sorge von allen, dass die Pop-Leute über die Beute reüssiert hätten, ich sehe das aber überhaupt nicht so.
Das ist die Ebene von Biografien, aber wie sieht das auf der Ebene der Theoriebildung aus? Sagen wir es anders: Wo die autonom geprägte Linke Ende der Achtziger im Westen zu eindeutig war, war die pop-orientierte Linke vielleicht etwas zu mehrdeutig. Zusammengeworfen ergab das aber eine ganz gute Mischung. Die popkulturelle Praxis, mit Mehrdeutigkeit zu agieren, erschien uns als die wesentlich bessere und subversivere Kritik und Vorstellung von Welt als die von Traditionsmarxisten oder Autonomen propagierten Vorstellungen einer Eindeutigkeit. In der Kritik von Identitätspolitiken haben wir uns Anfang der Neunziger ganz gut getroffen. Und die Popleute haben sicher auch davon profitiert, eine neomarxistische Staatstheorie kennen zu lernen.
Hat die Beute nicht auch mit dem Charme des radical chic gespielt? Es geht auch um Spaß und Ernst. Solange du Politik machst, wirst du für voll und gefährlich genommen, sobald du unter Kultur firmierst, sollst du harmlos sein? Egal. Mit radical chic haben wir nichts zu tun. Wir sitzen nicht umsonst in einem Gebäude (dem Mehringhof; d.Red.), das kürzlich durchsucht wurde und wo zwei unserer Nachbarn wegen angeblicher RZ-Mitgliedschaft verhaftet wurden. Aber wir haben keine Lust, auf Veranstaltungen permanent die radikale Kröte zu mimen. Das ist eher peinlich als gefährlich.
Ist es nicht ein Problem, wenn keiner mehr vor einem Angst hat? Alle Welt sagt zu Recht, dass die militanten Konzepte der Siebziger und Achtziger sich nicht einfach auf heute übertragen lassen. Das heißt nicht, dass die ganze Geschichte und die ganze Tradition der Neuen Linken falsch sind. Aber bestimmte Dinge lassen sich eben nicht fortsetzen. Und die Szene ist so autoritär und dumm, dass sie die Gruppe mit den drei Buchstaben nur interessierte, solange es knallte. Wenn es keine Action mehr gibt, darf ein Rolf Heißler mit Kopfschuss seit zwanzig Jahren alleine im Knast herumsitzen.
Wie geht es denn jetzt weiter? Kein Medium ist unabhängig von der zeitlichen Entwicklung, kein Medium kann immer das gleiche bleiben. Ansonsten würde es selbst Teil des Betriebs. Natürlich könnten wir noch ein paar Jährchen vor uns hinproduzieren. Nur kommt man so nicht mehr in die Offensive. Es hat eine Entwertung von Codes gegeben. Wenn die Hypovereinsbank heute mit den Codes Werbung machen kann, mit denen wir noch vor einigen Jahren operiert haben, dann muss man sich eben weiterbewegen. Vielleicht müssen das ja auch andere Leute sein als wir. Vielleicht müssen die zehn Jahre jünger sein. Es kann viel produktiver sein, einen Laden in die Luft zu sprengen, als ihn zu befestigen.
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