Die Folgen des »Deutschen Herbstes«
In den Jahren 1977/78 stellte sich heraus, daß die politischen Bewegungen, in denen in den 70er Jahren eine radikale Politik und der Anspruch auf »Abschaffung des Systems« entwickelt und vertreten worden war, in eine Krise geraten waren oder sich von ihren vorherigen politischen Zielsetzungen abwandt hatten.
Nachdem die Frankfurter Fraktion der Spontis bereits 1976 die Guerilla aufgefordert hatte, »legt die Bomben weg, nehmt die Steine wieder auf«, mobilisierten Spontigruppen aus der gesamten Bundesrepublik im Januar 1978 ca. 20.000 Menschen zum »
Parallel dazu war die Anti-AKW-Bewegung in einer Krise: nach militanten Demos gegen Brokdorf und anderen Atomprojekten wirkte sich auch hier die staatliche Repression demobilisierend aus.
Bei der dritten großen Brokdorf-Demo im Februar 1977 fanden die schon länger andauernden Differenzen um Militanz oder Gewaltfreiheit ihren Niederschlag in einer offenen Spaltung. Die Befürworter einer Bauplatzbesetzung und die sog. gemäßigten Teile mobilisierten zu zwei getrennten Demonstrationen mit unterschiedlichen Kundgebungsorten.
Wenig später kam in Malville/Frankreich bei einer internationalen Großdemonstration gegen den »Superphenix« am 31. Juli 1977 der AKW-Gegner Michel Vitalon ums Leben, gegen eine Demonstration gegen den Schnellen Brüter in Kalkar am 24. September 1977 gab es im Vorfeld eine massive Pressekampagne gegen die Demonstrationsteilnehmer. Mit einem »beispiellosen Großeinsatz der Polizei« werden die anreisenden AKW-Gegner - z.T. mit Polizeisperren auf den Autobahnen - kontrolliert und eingeschüchtert. (siehe Kapitel 7)
Aus der Frauenbewegung hatte sich ab Mitte der 70er Jahre ein breites Netz von Frauenzentren, -buchläden, -kneipen etc. entwickelt. Gewalt gegen Frauen wurde als immanentes Element der patriarchalen, kapitalistischen Gesellschaft thematisiert und als Konsequenz ab Mitte der 70er Jahre die ersten autonomen Frauenhäuser als Fluchtmöglichkeit für geschlagene Frauen gegründet und Notrufe für geschlagene und vergewaltigte Frauen eingerichtet. In der Walpurgisnacht 1977 gingen die Frauen in vielen Städten in der BRD mit der Parole »Wir erobern uns die Nacht zurück« auf die Straße.
Die Herausbildung eines Netzes von Frauenprojekten, zu denen Männer keinen Zugang haben, führte jedoch nach und nach zu einer Spaltung der Frauenbewegung. Ein Teil der Frauen zog sich in diese Strukturen zurück, grenzte sich von der patriarchalen Gesellschaft ab und entwickelte auf der Suche nach einer neuen Identität eine Ideologie der »neuen Weiblichkeit«, der »natürlichen« Friedfertigkeit der Frau oder gab sich der Beschäftigung mit Hexen, Magie und Spiritismus hin.
Symptomatisch für diese Entwicklung ist der »Aufruf an alle Frauen zu Erfindung des Glücks«, mit dem Frankfurterinnen im Oktober 1977 auf den »Deutschen Herbst« reagierten: »Wir sagen uns hiermit feierlich los von einer Rechtsgemeinschaft, mit der wir noch nie gemein waren und die uns immer höchst gemein behandelt hat![...] Wir nehmen uns das elementare Recht, in der Erfindung des Glücks nicht dauernd durch Mord und Totschlag, Gefangennahme und Gefängnis, Fahndung und Hetze behindert zu werden. Wir schlagen vor, daß die kriegsführenden Parteien ihre Fürsten ins Duell schicken, damit sie ihre Sache unter sich erledigen können. Uns aber sollen sie damit endlich in Ruhe lassen! Auch sprechen wir ihnen fürderhin jede Legitimation ab, ihre Kämpfe im Namen irgendeines zu verteidigenen Rechts, irgendeiner zu verteidigenden Freiheit, Ehre, Erde, irgendeines zu verteidigenden Kindes oder irgendeiner zuverteidigenden Frau zu führen!«(vollständiger Abdruck in Autonomie, Nr. 10)
Die Frauen, denen dies politisch zu begrenzt war, kehrten in gemischte Gruppen zurück oder organisierten sich als »Frauen gegen Imperialismus und Patriarchat« oder in radikalen Lesbenzusammenhängen. Gleichzeitig griffen immer mehr Frauen, die in anderen politischen Gruppen (wie z.B. Solidaritätsgruppen zu Ländern der 3. Welt) aktiv waren, feministische Positionen und Analysen auf und integrierten sie in ihre Arbeit.
Die neuen Bewegungen
Ab der Jahreswende 80/81 entwickelte sich in rasantem Tempo - ausgehend von Zürich, Köln, Freiburg, Berlin und Amsterdam - quer durch die BRD eine Häuserkampfbewegung. Dort trafen »jugendliche Aussteiger«, denen es zunächst um Freiräume ging, mit »alten Linksradikalen« zusammen, die ihre politischen Erfahrungen z.B. aus Stadtteilinitiativen, der Anti-AKW-Bewegung, der Anti-Kriegs-Bewegung, Knastgruppen etc. einbrachten. Dies führte zu einer Vermischung von persönlichen Bedürfnissen (Wohn- bzw. Freiraum) und politischen Zielen und Inhalten. Die besetzten Häuser wurden zu politischen Zentren.
Die öffentliche Rekrutenvereidigung am 6. Mai 1980 in Bremen bildete den Anstoß für eine neue Anti-Kriegs-Bewegung.
Nach dem NATO-Nachrüstungsbeschluß von 1979 entwickelte sich eine zunächst vor allem von Pazifisten, K-Gruppen und kirchlichen Gruppen geprägte neue Friedensbewegung, die zunehmend an Breite gewann (siehe Kapitel Friedensbewegung). Als der sozialdemokratische Verteidigungsminister Apel die Rekrutenvereidigungen im Bremer Weserstation als öffentliches militaristisches Spektakel inszenierte, kam es zu einer breiten Gegendemonstration, die mit einer heftigen Straßenschlacht zwischen Autonomen und der Polizei endete.
Das war der Beginn einer neuen Anti-Kriegs-Bewegung der autonomen und antiimperialistischen Linken. Es gründeten sich Gruppen, die die Strecken der Munitionstransporte recherchierten und blockierten. Ab Herbst 1980 fanden Demonstrationen gegen die NATO-Herbstmanöver statt.
Im Revolutionären Zorn Nr. 6
vom Januar 1981 ziehen die RZ eine Bilanz aus 8 Jahren ihrer Politik.
Sie halten daran fest, daß die Entwicklung illegaler Kampfformen notwendig sei, um angesichts der staatlichen Repression nicht zu scheitern, zu resignieren oder sich auf Spielwiesen zurückzuziehen, auf denen jeglicher Anspruch auf tatsächliche politische Veränderung aufgegeben wird. Die konkreten Aktionen müßten breit verstanden werden, populär sein, um nicht in die Isolation der Guerilla zu führen und hätten zum Ziel, die Bewegung weiterzubringen oder bestehende gesellschaftliche Widersprüche zuzuspitzen.
Gleichzeitig legen sie interne Diskussions- und Entwicklungsprozesse offen: Genoss/inn/en der RZ hätten die RZ verlassen, begründet zum einen mit der zu großen Diskrepanz zwischen politischem Handeln und persönlicher Befreiung - diktiert von den Bedingungen der Klandestinität, andere stellten die politische Effizienz ihrer bewaffneten Praxis in Frage.
In der Auseinandersetzung mit diesen Positionen überprüfen sie, inwieweit das Selbstverständnis und die Ziele, mit denen sie 8 Jahre zuvor angetreten waren, umgesetzt werden konnten bzw. worden sind. Die Fixierung auf »die Bewegung«, die aus der 68er Revolte hervorgegangen war, als Transmissionsriemen zwischen der Guerilla und den Massen habe sich als Fehler erwiesen. Mit dem Zerfall und der Zersplitterung der legalen Linken sei der Versuch gescheitert, ein Verhältnis von illegaler militanter und legaler Politik zu schaffen, das einander ergänzt und voranbringt. Sie kritisierten, daß in ihrer Praxis »benennbare konkrete Zielsetzungen in den Hintergrund (gerieten), während das Argument, es ging um den Nachweis, daß illegaler Widerstand in diesem Land überhaupt möglich ist, zunehmend an Gewicht gewann. Kontinuität entwickelten wir nicht am einzelnen •Fall, sondern anhand der Tatsache, daß es von Zeit zu Zeit und hier wie dort überhaupt mal wieder brannte und krachte.« Den endgültigen Bruch mit dem Teil der legalen Linken, auf die sich die RZ vor allem bezogen hatte, vollzog sich dann im Herbst 1977.
Trotzdem hielten sie an der Notwendigkeit bewaffneter Politik fest, entschieden sich für die Fortsetzung ihrer Politik und setzten auf die »hoffnungsvolle Verquickung von Massenmilitanz und subversiven Aktionsformen [...] in der neuen Jugendbewegung«.
In dem Text »Das Ende unserer Politik« stellen die RZ im Januar 1992 allerdings fest, daß diese Hoffnungen sich nicht erfüllt haben: »Dennoch wurden wir in diesen Jahren für die autonomen HäuserkämpferInnen mehr zum •Mythos, als zum Teil ihrer eigenen Kämpfe. Wir hatten kaum Verbindungen mehr zu den neuen Generationen der HausbesetzerInnen und den Jugendbewegungen, außer in der abstrakten Form gelegentlicher bewaffneter Unterstützung.«
In der breiten Militanz der neuen Bewegungen - im Häuserkampf, der Anti-AKW-Bewegung, der Anti-Kriegsbewegung oder im Kampf gegen die Startbahn West - manifestiert sich zwar ein von der RZ immer geforderter (und geförderter) Bruch mit den Grenzen der Legalität, die politische Kontinuität und Organisierung, die Transformation dieser - oft spontanen - Militanz zur Aufnahme des bewaffneten Kampfes, entwickelt sich jedoch nicht. Im Gegenteil wurde im Verlauf der 80er Jahre innerhalb der Linksradikalen zunehmend kritisiert, daß militante Aktionen - »Randale« - politisches Handeln ersetzten, sich in ihnen Wut oder Verzweiflung entlud, die ohne Perspektive blieben.
Die Fehler und Versäumnisse, die die RZ im »Revolutionären Zorn Nr. 6« benennen, haben viel Ähnlichkeit mit dem Text »Das Ende unserer Politik«: auch hier wird die linke Szene als falscher Adressat ihrer Politik benannt, die in sie gesetzten Hoffnungen auf - legale und illegale - Zusammenarbeit und Vermittlung erfüllen sich nicht. Der neue Versuch Anfang der 80er Jahre, mit den Autonomen statt der Spontis als Bezugspunkte, endete in der gleichen Sackgasse.
In dem folgenden Teil des »Revolutionären Zorn Nr. 6« arbeiteten die Revolutionären Zellen die Bedingungen und Ziele heraus, an denen sie ihre Politik bestimmten: In dem Text »Jedes Herz ist eine Zeitbombe« untersuchen die Frauen der RZ (oder die Rote Zora?) die Strukturen der weltweiten Unterdrückung von Frauen, die Möglichkeiten einer revolutionären Intervention und zeichnen die Entwicklung der Frauenbewegung in der BRD seit ihren Anfängen nach.
Mit der Forderung »Antiimperialistischer Kampf bleibt notwendig!« verweisen die RZ auf das existierende Wissen um »das System der weltweiten imperialistischen Machtstrukturen«, die herausragende Rolle des Internationalen Währungsfonds (IWF) bei der Ausbeutung der 3
Im Zusammenhang mit der sich entwickelnden Anti-Kriegs- bzw. Friedensbewegung greifen sie das Verhältnis zwischen der BRD und den USA auf und wandten sich gegen die Einschätzung der BRD als US-Kolonie (siehe auch: Kapitel 8 »Beethoven gegen MacDonalds«).
Am 26. September 1980 waren bei einem neonazistischen Anschlag auf dem Oktoberfest in München 13 Menschen getötet und 200 verletzt worden. Die Revolutionären Zellen stellen in ihrem Text Fragen zu den Hintergründen und den Nutznießern des Anschlags und untersuchen Hinweise auf eine Zusammenarbeit von Staatsschutz und Neonazis.
Die Aktionen, die diesem Revolutionären Zorn zugeordnet sind, umfassen das ganze Spektrum ihrer politischen Bezugspunkte:
- gegen Verantwortliche für Stadtsanierungen (Sozialdezernent von Mainz, Leiter des Liegenschaftsamtes Frankfurt), gegen die Neue Heimat und die Wohnungsbaukreditanstalt in Berlin.
- Anschläge zur Unterstützung von Gefangenen und gegen die Ausländerbehörde Frankfurt sowie das Fraunhofer-Institut in Duisburg als Denkfabrik für die Umstrukturierung der BRD - hier insbesondere des Ruhrgebietes - unter die Ziele der Herrschenden.
- internationalistische Aktionen gegen das Konsulat von El Salvador und das türkische Generalkonsulat, sowie Anschläge gegen die Konrad-Adenauer-Stiftung, die Firma MAN, die Deutsche Gesellschaft für wirtschaftliche Zusammenarbeit, die Computerfirmen SCS und MPB und das Institut für Genetik in Köln als Institutionen und Unternehmen, die die Ausbeutung der 3
- anläßlich des Weltwirtschaftsgipfels in Bonn 1985 griffen die RZ die Deutsche Bank, den Gesamtverband der Metallindustrie und die Farbwerke Hoechst an, die Rote Zora legte einen Sprengsatz bei der Firma Siemens in Isernhagen.
Die Anmerkungen zu diesem Kapitel befinden sich im Buch auf Seite 719 ff.