Januar 1981
Wir stimmen mit der Bewegung 2. Juni darin überein, daß wir eine »Populäre Guerilla« wollen! Eine Guerilla, deren Aktionen verstanden werden, die die Sympathie des Volkes genießt und die perspektivisch breit unterstützt wird, ohne deshalb opportunistisch zu werden. Prinzip unserer Aktionen ist es deshalb, daß sie ausgehen von gesellschaftlichen Auseinandersetzungen, an denen wir beteiligt sind, daß sie an den dort geführten politischen Auseinandersetzungen anknüpfen, daß sie unter der Fragestellung »bringen sie die Bewegung weiter« bzw. »verschärfen sie die Widersprüche« eindeutig bestimmbar sein müssen.
Orientieren wir unsere Aktionen nicht an dieser Maxime, führen sie in die Isolation und tragen zum Entsolidarisierungsprozeß bei. Auch deshalb ist es für uns wichtig, entsprechend unseren persönlichen Möglichkeiten in legalen Gruppen mitzuarbeiten.
Gerade dadurch erhalten wir die Rückkoppelung unserer Aktionen, können wir Fehler in unserer Einschätzung korrigieren und unsere Politik nach außen vertreten.
Darüberhinaus gibt es Aktionen, die primär aus unseren eigenen Zusammenhängen bestimmt sind, z.B. Geldbeschaffung oder auf einer anderen Ebene die Bestrafung von besonders schweinischen Richtern und Zwangsverteidigern, um Gefangene zu schützen.
Angriffe gegen zentrale staatliche Institutionen halten wir zur Zeit für politisch unmöglich: wir können die Machtfrage nicht stellen! Wir führen keinen Krieg! Wir stehen vielmehr immer noch am Anfang eines langwierigen, mühseligen Kampfes um die Köpfe der Menschen - nicht in irgendeiner militärischen Etappe um einen militärischen Sieg! Wir bezeichnen dies als Defensivstrategie - wenngleich der Kampf für uns durchaus offensiv sein kann. Angesichts der immer schneller voranschreitenden Zerstörung unserer Lebensgrundlagen geht es erst einmal darum, den Wahnsinn zu behindern, vielleicht zu stoppen (z.B. beim Atomprogramm). Es gilt, Aktionsmöglichkeiten zu finden, die Teil der Lösung des Problems sind (konkret z.B. den Bau eines AKWs zu behindern), aber auch ein Schritt weiter um die Köpfe der Menschen. Auf dem Weg dorthin wird jedoch nur eine kämpfende Linke Anziehungspunkt für die deklassierten Teile des Volkes sein können, nicht eine sozialarbeiterische, die objektiv nur neue Formen der Staatsloyalität erschließt. Wir müssen in unseren Aktionen an der Unzufriedenheit, der Wut, der vermeintlichen Ohnmacht der Menschen ansetzen. Viele von ihnen haben schon längst im Herzen mit diesem Staat gebrochen, trauen sich nur keine eigenen Schritte zu. Dies kann z.B. heissen, die kleinen Feinde des Volkes (Werkschützer, Meister, Ärzte, Wohnungsmakler, Hausbesitzer, Bullen, Ämterbürokraten usw.) nicht nur propagandistisch, sondern ganz persönlich anzugreifen und ihnen ihr Handwerk zu legen.«Protest ist, wenn ich sage: das und das paßt mir nicht. Widerstand ist, wenn ich dafür sorge, daß das, was mir nicht paßt, nicht länger geschieht.« (Ulrike 1968 [1])
Das heißt, nicht nur darüber zu informieren und zu lamentierten, wieviele Betriebe am Atomgeschäft beteiligt sind, sondern auch dafür zu sorgen, daß hin und wieder einer davon in Schutt und Asche fällt. Dies muß auch heißen, daß mal eine Baumaschine, ein Abrißkran, ein Konstruktionsbüro oder ein Materiallager in Flammen aufgeht.
»Das Land gehört den Landbesitzern. Warum? Wegen der Magie. Die Leute beten die Urkunden in den Regierungsbüros an und sie würden niemals wagen, ein Stück Land zu beanspruchen, solange die Urkunden sagen, daß es jemandem gehört. Das ist ein
legal - illegal - scheißegal
heißt die Parole, die ein neues Bewußtsein von Recht und Unrecht auslöst. Dazu gehört Klauen, Plündern, Schwarzfahren, Häuserbesetzen, Volksstrom benutzen, Krankfeiern. Was wir brauchen, müssen wir uns nehmen. Kampfformen, die die Herrschenden treffen, ihnen schaden, sie lächerlich machen, Strukturen aufdecken und lahmlegen, sind Schritte organisierten Handelns. Eine in diesem Sinne linksradikale Politik beinhaltet die Überzeugung, daß eine gesellschaftliche Veränderung in der BRD auch hier über ein revolutionäres Subjekt zustandegebracht wird. Es ist gerade die Funktion der Guerilla, bei der Entwicklung dieses »Subjektes« mitzuwirken. Die Guerilla schafft es, diesem Kampf durch ihre über den Massenwiderstand hinausgehende Organisation eine Kontinuität zu verleihen, ihn immer wieder zu eskalieren oder auch zurückzunehmen, durch eigenen Initiativen das Kampfniveau zu heben, neue Kampfformen, Kampfziele anzubieten, immer größere Teile des Volkes in diesen Kampf einzubinden .
Wer sich nicht in Gefahr begibt, kommt darin um!
Wir haben im Revolutionären Zorn Nr. 4 gesagt: Bei Strafe des Untergangs bleibt dem legalen Widerstand in der BRD heute nur eines: die Praxis und die Technik des verdeckten Kampfes sich massenhaft so schnell wie möglich anzueignen. Wir sehen nach drei weiteren Jahren »Schmidtscher [3] Führung« diese These bestätigt. Überall dort, wo linke Gruppen den Rahmen des Debattierklubs verlassen, tatsächlich den vorprogrammierten Ablauf verzögern, schlägt die Staatsgewalt zu. So geschehen zuletzt bei der Gorleben-Räumung, am 6. Mai in Bremen [4] und in einer Reihe von Städten beim Häuserkampf. Es wurde überall dort deutlich: ist die Bewegung nicht in der Lage, die Taktik des Kampfes zu ändern, verharrt sie (wie z.B. in der Reihe Brokdorf - Grohnde - Kalkar) auf der Ebene der offenen massenhaften Konfrontation mit den Bullen, scheitert sie an deren militärischen Überlegenheit. Deshalb gilt es, die Technik des bewaffneten Kampfes zu erlernen. Die Entwicklung illegaler Kampfformen wird oft mißverstanden. Es handelt sich hierbei um eine Methode, die viele Abstufungen kennt und dadurch massenhaft nachmachbar ist. Es ist eine Ebene des Kampfes, auf der die notwendigen politischen und militärischen Erfahrungen gemacht werden können, auf der man/frau sich selbst kennenlernen kann, auf der aber auch die Entscheidung getroffen werden kann, diesen Kampf bewaffnet zu führen. Das heißt zunächst ganz praktisch: die Aneignung von Wissen z.B. über den Bau und die Funktionsweise von Brand- und Sprengsätzen. Über das Fälschen von Papieren aller Art, über die Herstellung und Verbreitung der eigenen Propaganda (Zeitung, Flugblätter, Sender). Das bedeutet das strikte Einhalten von Sicherheitsmaßnahmen zum Selbstschutz (beim Quatschen, bei Treffen). Und schließlich den Aufbau eines logistischen Rahmens, der über die momentanen Anforderungen hinausgeht (Materialdepots, Untertauchmöglichkeiten). Es ist gefährlich, ohne dieses Wissen loszuziehen, irgendeine Aktion zu machen und zu hoffen, daß alles gutgeht.
Zur Frage: wie sich organisieren: Wir meinen nicht, daß es richtig ist, die militanten Genoss/innen aus allen möglichen Bereichen herauszuziehen und gesondert zu organisieren. Vielmehr geht es gerade darum, in möglichst vielen Bereichen diese Kampfformen innerhalb der bestehenden Gruppen zu erlernen und anzuwenden. Dies bedeutet schließlich auch die Parole:
Schafft viele revolutionäre Zellen
Sie ist politisch richtig, weil sie auf Autonomie, Eigeninitiative und Verankerung baut und sie ist aus Gründen der Sicherheit richtig, weil nur eine Organisation, die auf selbständig operierenden Gruppen basiert, in diesem Überwachungsstaat die Chance hat, nicht aufgerollt und zerschlagen zu werden.
Viva 8 Jahre RZ!
»Woran arbeiten Sie?« wurde Herr K.
gefragt. Herr K. antwortete: »Ich habe
viel Mühe, ich bereite meinen nächsten
Irrtum vor.« (Brecht)
Wir wissen, daß es für uns keine Garantie gibt, die gesteckten Ziele zu erreichen. Wir wissen aber auch, daß es in Anbetracht aller Ängste, aller Schwierigkeiten, aller Widersprüche für die Unterdrückten keine andere Möglichkeit zum Leben gab und geben wird, als zu kämpfen. Zu kämpfen mit allen Mitteln, die ihnen zur Verfügung stehen. Und das sind beileibe nicht nur die militärischen, aber ohne sie haben wir keine Chance ! »Was bringts ?«, die beliebte Frage der Null-Bock-Einbringer, hat das optimistische »alles verändert sich, wenn du es veränderst« längst abgelöst. Das buchhalterische Abwägen von Kosten/Nutzen wird zum handlungsbestimmenden - oder besser handlungsverhindernden - politischen Bekenntnis. Da kommt die Versichertenmentalität derjenigen zum Vorschein, die aufgrund ihres langen Marsches durch die Institutionen oder zu sich selbst allemal mehr zu verlieren haben als ihre Ketten. Sicherlich müssen alle, die die Entscheidung für unsere Art zu kämpfen oder ähnliche Kampfformen unterstützen und entwickeln wollen, neben dem allgemeinen Für und Wider auch ihre persönlichen Lebensbedingungen berücksichtigen. Nur sollten bei diesem Abwägen zwei Punkte beachtet werden:
1. Mein Leben gehört nur mir allein. Aber es wird nicht von mir bestimmt, die Lebensbedingungen bestimmen andere. Den Kampf um meine Selbstbestimmung führe ich mit anderen. Ich kann ihn auch nur gemeinsam mit anderen gewinnen. Deshalb kann ich auch die Frage des Nutzens meines Handelns nicht allein von mir her bestimmen. Selbstverständlich hat sich für mich ganz persönlich der Kampf nicht »gelohnt«, wenn ich dabei sterbe. Selbstverständlich »lohnen« sich viele Jahre Knast aufgrund einer schiefgegangenen Aktion nicht. Die Frage nach dem Nutzen läßt sich nur dann richtig beantworten, wenn ich dabei das Ergebnis für den gemeinsamen Kampf sehe und berücksichtige.
2. Die inhaltlichen Schwerpunkte dieses Kampfes um meine Selbstbestimmungen setzen andere. Es ist eben nicht so, daß uns der Staat in Ruhe ließe, wenn wir ihn ließen.
Die AKWs werden gebaut, wenn wir das nicht verhindern. Unsere Stadtviertel werden wegsaniert, wenn wir uns nicht dagegen wehren. Die Ausplünderung der 3. Welt führt zu Verteilungskriegen und weiterer Verelendung des größten Teils der Erdbevölkerung, wenn wir mit unserem Kampf gegen den Imperialismus hier bei uns nicht endlich ernstmachen. Nein, nicht einmal der Olivenanbau in Griechenland garantiert ein gesichertes Überleben.
Indem wir die Vereinzelung des Einzelnen in der kollektiven revolutionräen Praxis aufzuheben versuchen, werden sowohl die objektiven Bedingungen, als auch das Verhalten der Menschen untereinander verändert. Wir durchbrechen den Teufelskreis, in dem sich die zerstörerischen Bedingungen in der Selbstzerstörung bzw. gegenseitiger Zerstörung des Einzelnen fortsetzen und sich somit neu immer neu stabilisieren.
Der Wind dreht sich - die Zeichen stehen auf Sturm
Es ist eine Binsenwahrheit, daß die Guerilla jeden Fehler doppelt und dreifach bezahlt. Jeder Irrtum, der ihr unterläuft, jede Entscheidung für eine falsche Aktionsform schlägt auf sie zurück und zwar in einem Maße, daß es ihre politische und organisatorische Existenz bedroht. Eigene Unzulänglichkeiten - Unachtsamkeit, Großspurigkeit, Eitelkeit, Selbstüberschätzung - können schnell zu Fallstricken eines Zusammenhangs werden, der klandestin agiert. Schon kurze Momente von Gedankenlosigkeit, von Unaufmerksamkeit, von mangelnder Konzentration genügen, um sich den Bullen preiszugeben. Unerfahrenheit oder - die Kehrseite - Routine, übertriebene Vorsicht wie überhebliche Selbstsicherheit können der Grund sein, daß man unbewußt die eigene oder die Sicherheit, das Leben, die Gesundheit anderer Militanter riskiert. Da sich bewaffnete Politik nicht in Planspielen durchexerzieren läßt, sondern sich immer und unmittelbar in der Konfrontation mit der Realität bewähren muß, ist es ein Kampf auf des Messers Schneide.
Wir haben in der Vergangenheit Fehler gemacht und dafür einstecken müssen. Daß wir uns deshalb seit einiger Zeit zurückgezogen haben, ist nicht nur dem BKA nicht entgangen. Es ist jedoch Propaganda der Bullen, wenn sie sich heute hinstellen und behaupten, sie wären uns mit ihren Computern, mit Rasterfahndung und Spezialeinheiten auf die Schliche gekommen. Sie brauchen diese Lüge, nicht nur um sich selbst und der ganzen Welt gegenüber den Aufwand zu legitimieren, den sie betreiben, sondern vor allem, um zu demonstrieren: ein Konzept bewaffneten Widerstands, der sich in autonomen Kernen organisiert, hat in den Metropolen keine Chance. Es verfängt sich über kurz oder lang in den Netzen, die der sozialtechnokratische Überwachungsstaat ausgeworfen hat. Keine Frage, die Technologie politischer Kontrollen, die sie in den 70er Jahren als Waffe gegen den realen wie den potentiellen »inneren Feind« geschmiedet haben, hat die Bedingungen der Organisierung von Illegalität verändert, hat sie zunächst erschwert. Aber sie hat bestehende Ansätze weder zunichte noch ihre Verbreitung unmöglich gemacht. Selbst das dichteste Netz besteht bekanntlich aus Löchern.
Nein, die Rückschläge, die wir erlitten haben, brauchen sich die Bullen wahrlich nicht als ihre Erfolge ans Revers zu heften. Sie sind vielmehr dem Umstand geschuldet, daß wir in diesem Land begonnen haben,in dem selbst die historische Realität eines bewaffneten Antifaschismus dem Vergessen preisgegeben wurde, weil nicht sein kann, was nicht sein darf; in dem es galt und gilt, bewaffneten Widerstand erstmal denkbar und praktizierbar zu machen. Mangelnde Erfahrung sowie unsere eigenen Unzulänglichkeiten als Subjekte, die ihre Identität und Freiheit im Kampf um ein menschenwürdiges Leben aufgehoben sehen und doch zugleich als Kinder dieser jämmerlichen Gesellschaft mit ihrem Dreck behaftet sind, waren in den zurückliegenden Jahren immer auch eine Quelle von Fehlern, die den Bullen ihre Arbeit erleichtert haben. Die Fähigkeit zu Selbstkritik, der Mut, scheinbare Sicherheiten und Selbstverständlichkeiten immer wieder in Frage zu stellen, also Leben statt Erstarrung sind deshalb grundlegende Bedingungen eigenen Überlebens.
Nicht zuletzt deshalb zielte der Angriff jener antiterroristischen Kreise, die sich hinter dem geläuterten Horst Mahler [5] und einem reuigen Hans-Joachim Klein verschanzen, auch darauf, die Guerilla auf das Gleis der Dementis zu zwingen und ihr um jeden Preis die Ebene der Kritik und Selbstkritik zu verbauen. Von Leuten, für die am Anfang der »Rückkehr in die Menschlichkeit« [6] die Wiederherstellung des Dialogs mit der Macht steht, kann man schlecht erwarten, daß sie im gleichen Atemzug die ernstgemeinte Auseinandersetzung mit den subersiven Teilen der Bewegung suchen. Sie können die Realität bewaffneten Widerstands nur denunziatorisch bewältigen. Die »Anekdoten aus der Unterwelt«, die Gerüchte, die widerlichen Phantasien und Projektionen, der ganze Dreck, der dort gleich kübelweise ausgeschüttet wird, zeichnet nicht nur ein Bild von der Menschlichkeit, die sie meinen. Daß mit der Heftigkeit zur Sache gegangen wird, verrät zugleich das politische Kalkül des Angriffs. Die Behauptung eigendynamischer Entwicklungen innerhalb der Guerilla, die sich quasi mit Naturgewalt hinter ihrem Rücken Geltung verschaffen, zielt darauf, Lernprozesse überhaupt zu verhindern. Wenn der einzelne Militante wie die Gruppe als ganze immer nur Opfer übermächtiger Strukturen sind, kann Erfahrung nichts anderes als Selbstbetrug sein. Weil sich diese ehemaligen Häuptlinge der APO der Aufgabe verschrieben haben, alles zu bekämpfen, was sich nicht in die tugendhaften Pfade der Re-Institutionalisierung und Selbstgettosierung der Bewegung in den Alternativen einzwängen lassen will, ist ihnen schon die Fähigkeit der Selbstkritik ein Dorn im Auge. Sie wissen: nicht daß man Fehler macht, ist der Fehler, sondern, daß man sie nicht beizeiten erkennt. Eigene Fehler zu begreifen, beinhaltet auch immer die Möglichkeit, gestärkt aus den Rückschlägen hervorzugehen. Die Vermittlung von Erfahrungen in die Bewegungen hinein, heißt zugleich, daß sie in kommenden Auseinandersetzungen Ausgangspunkt eines Schrittes nach vorn werden können.
Das ist der Grund, warum wir diese Zeitung machen. Wir wollen Erfahrungen weitergeben an Gruppen, an Genoss/inn/en, die ihre eigene Praxis in der Kontinuität autonomen Widerstandes definieren, die begriffen haben, daß der revolutionäre Kampf viele Gesichter hat und die willkürliche Trennung von legalen und illegalen Aktionsformen nur eine Erfindung von Leuten ist, die uns ein Faustpfand aus der Hand nehmen wollen. Dabei lassen wir uns bewußt nicht auf die Ebene der Diskussion ein, wie sie uns aus Westberlin und Frankfurt [7] oft genug vorgegeben worden ist. Wer darauf hofft, sollte nicht weiterlesen. Dementis können nicht das Mittel sein, mit dem Linke ihre Glaubwürdigkeit unter Beweis stellen. Wir haben uns lange genug mit dem falschen Adressaten beschäftigt, nicht nur, weil wir fälscherweise das, was diese Szene mit Hilfe der von ihr kontrollierten Meinungskonzerne (ID, Pflasterstrand, TAZ) verbreitet hat, mit dem Stand und der Tendenz der Bewegung insgesamt verwechselt haben, sondern auch, weil wir den Anpassungsprozeß von Leuten nicht wahrhaben wollten, mit denen uns wichtige Etappen in der Geschichte der Revolte verbinden. Daß wir darüber auf einem Auge blind geworden sind für neue Ansätze von Subversivität, für andere militante Kerne, die sich fernab von dieser Scene und davon unberührt gebildet und ausgebreitet haben, sollte ihr einziger Erfolg gewesen ein.
Die Kritik aus der Guerilla an die Guerilla
Verläßt jemand ein Komitee, eine Bürgerinitiative, so wird darum in der Regel kein Aufhebens gemacht. Und selbst wer sich auf Zeit oder Dauer auf sein gutbürgerliches Altenteil zurückzieht, kann mit wohlwollendem Verständnis rechnen. Wegbleiben als eine Form der Vermittlung politischer Entscheidung ist gang und gäbe. Wo früher Maos Thesen »gegen den Liberalismus« [8] diskutiert wurden, ist heute - gewissermaßen als Antizipation des Kommunismus - Marx' [9] »jeder nach seinen Bedürfnissen« in die gute Stube eingezogen. Darin eine Rückeroberung individueller Freiheit gegen fremdbestimmten Inventionismus von annodunnemal zu sehen, dazu bedarf es allerdings einer guten Portion Gehirnakrobatik. Was Beliebigkeit und Unverbindlichkeit bestenfalls signalisieren, ist ein erschreckendes Maß an Gleichgültigkeit, ist die Auflösung von Solidarität. Dennoch mißt dieselbe Linke, die für sich »Freizügigkeit« beansprucht und entsprechend lax miteinander verkehrt, mit zweierlei Maß, wenn sie den bewaffneten Gruppen ihre »Dissidenten« unter die Nase reibt. Das Recht auf Fehler scheint ein Privileg derer, die nicht einmal mehr Fehler machten. Der Austritt auf der Guerilla dient als Bestätigung der eigenen Abgrenzung, der »Aussteiger« wird funktionalisiert als Personifizierung der eigenen Vorbehalte. Wenn er will, kann er Triumphe feiern, weil er den scheinbaren Niedergang des bewaffneten Kampfes repräsentiert. Wir haben mehr als einmal gesagt, daß die Entscheidung für die Guerilla nicht unwiderruflich sein kann. Würden wir die RZ als den Zwangsverband zusammenschustern, als der er denunziert wird, wären wir allemal längst aufgerieben. Unsere Stärke ist die Identität jedes einzelnen. Ohne den Willen, etwas zu tun, wird sich nichts tun. Subjektivität - und das beinhaltet auch Freiwilligkeit - ist die treibende Kraft des Ganzen und nicht etwa autoritärer Druck, Terror nach innen oder gar Erpressung.
Unsere Krise der letzten Jahre hat sich am sichtbarsten gerade darin niedergeschlagen, daß einzelne Militante den RZ den Rücken gekehrt haben. Nicht Leute wie Klein, die ihren Abgang in Szene setzen mußten, sondern Genoss/inn/en, für die einstige Perspektiven fragwürdig geworden waren, denen die Folgen eigenen Handels über den Kopf gewachsenen sind, die in die Mühle der inneren Widersprüche geraten sind und davon überrollt zu werden drohten. Jeder dieser Austritte hat einen erheblichen Rückschlag bedeutet: politisch, weil jede/r Genoss/in weniger uns objektiv schwächt, zumal die Entwicklung illegaler Strukturen noch in den Kinderschuhen steckt; emotional, weil die Zeit und die Bedingungen der gemeinsamen Organisierung Beziehungen zwischen den Mitgliedern einer Gruppe entstehen lassen, die nicht von einem Tag auf den anderen zu ersetzen sind; moralisch, weil jede Trennung zugleich eine grundsätzliche Infragestellung beinhaltet, die den Rest in den eigenen Überzeugungen verunsichert.
Die Einwände eines Menschen, mit dem man über Jahre gemeinsam gekämpft hat und der plötzlich eine Sackgasse sieht, wo man selbst meint auf dem richtigen Weg zu sein, lassen sich nicht ad acta legen, als wäre nichts geschehen. Die Kritik an der Guerilla aus der Guerilla hat ein eigenes Gewicht. Sie bedeutet immer auch, daß wir noch weit entfernt davon sind, interne Widersprüche als Moment der Entwicklung zu handhaben, anstatt von ihnen aufgefressen zu werden.
Wir wollen uns im folgenden vor allem an zwei Positionen orientieren, die innerhalb dieser Diskussionsprozesse eine Rolle gespielt haben. Von der einen Seite wurde gesagt, daß zwischen der radikalen Zielsetzung bewaffneten Widerstands und seiner tagtäglichen Realität ein Bruch bestehe. Während der Kampf im Zusammenhang der bewaffneten Gruppen immer auch als Prozess der Befreiung zum selbstbewußten Menschen beschrieben worden sei, diktieren die »Regeln« der Klandestinität den Militanten eine Lebensweise, die eben diesen Prozeß blockiert. Die subjektive Radikalisierung scheitere an den realen Sachzwängen. Damit entfalle aber ein Moment, das wir selbst zur absoluten Maxime erhoben hätten. Wenn die Kollektivität nicht entsteht, die entscheidenden Rückhalt dafür bildet, daß sich der einzelnen in diesem Kampf riskiert, wird die Guerilla auf Dauer ihre Militanten verschleißen.
Die zweite Position stellt die behauptete Effizienz der Politik der RZ in Frage. Jede unserer Aktionen habe lediglich die Bedingungen der nachfolgenden Aktionen erschwert, bis schließlich gar nichts mehr gehe. Bewaffneter Widerstand sei zwar legitim, weil jeder das Recht hat, auf die Zerstörung seiner Lebensbedingungen durch die kapitalistischen Produktions- und Machtverhältnisse mit dem Bedürfnis nach Destruktion zu reagieren.
»Man bleibt entweder terrorisiert oder wird selbst terroristisch« (Sartre) [10]
Aber dieser Widerstand habe keine Perspektive von Sieg. Es sei Selbstbetrug, wenn die Guerilla ihrer Praxis den Anstrich von Strategie verleiht. Deshalb kann jeder nur mit sich selbst abmachen, ob er die persönlichen Folgen eines ingesamt aussichtslosen Kampfes in Kauf zu nehmen bereit ist oder sich lieber der andauernden Unterdrückung und Erniedrigung zu entziehen versucht, indem er sich einen Platz in einem der Reservate der Alternativkultur sichert.
Zersetzung macht stark
Haben also doch all diejenigen recht, die schon seit langem unken, daß es sich bei der Darstellung der Guerilla eher um eine harmonisierende Legendenbildung als um Realität handelt ? Sind die zitierten Positionen nicht beredtes Zeugnis dafür, daß die Guerilla lediglich am eigenen Mythos bastelt, um ihre innere Aufweichung zu kaschieren?
Wir bleiben dabei: NEIN.
Dennoch hat es in unserer Geschichte Erfahrungen gegeben, die Frage der Individualität im Kampf um die Erneuerung der Gesellschaft ebenso wie das Problem der politischen Wirksamkeit einer Praxis bewaffneten Kampfes anders - weniger glatt, weniger unangreifbar - zu diskutieren.
Es scheint eine verkehrte Relation zwischen der tatsächlichen Stärke von Bewegungen und ihren jeweiligen Zielprojektionen zu geben. Je weniger greifbar die Zukunft ist, desto plastischer wird sie ideell vorweggenommen. Wo sich Resignation breitmacht, wuchern gleichzeitig wilde Phantasien von einer befreiten Gesellschaft. Die Parallelität zwischen realem politischen Bedeutungsverlust und der Hochkonjunktur alternativer Lebensentwürfe ist frappierend. Ob damit auch um politische Glaubwürdigkeit im Volk gewetteifert wird, sei dahingestellt. Vorrang hat sicherlich der Wunsch, sich im kleinen schon jetzt und unmitttelbar zu nehmen, was man machtpolitisch weder kurz- noch langfristig je zu kriegen scheint. In dem Bemühen, jene konstruktiven Modelle einer nachrevolutionären Periode zu entwerfen und diese womöglich schon heute in Taschenformat zu leben, ist jedoch eine Bestimmung des historischen Prozesses unter den Teppich gekehrt worden, die für das Selbstverständnis der autonomen Linken ursprünglich fundamental war: daß Revolution Zersetzung heißt, daß sich der Bruch mit der Gesellschaft in der radikalen Negation der kapitalistischen Verwertung im umfassenden Sinne vollzieht.
»Die erste positive Zielsetzung ist die Negation des Bestehenden » (Marcuse) [11]
Das Warenverhältnis hat die Verkehrsformen der bürgerlichen Gesellschaft, ihre Einrichtungen, ihre Technologien, ihre Moral derart durchtränkt, daß ein Kompromiß ausgeschlossen ist. »Wiederaneignung ist gleichbedeutend mit Verweigerung, mit Sabotage, mit Destruktion, während Konstuktivität, Vermittlung, Institutionen Attribute der Macht sind.« Es galt als Zeichen der Stärke, daß sich die Linke nicht hat zwingen lassen, ihre Wünsche und Träume in festgeschriebene Programme umzumünzen, die als Produkte des kolonisierten Kopfes lediglich Zeugnis der zugerichteten Engstirnigkeit und Verkümmerung hätten sein können. Die Aufforderung zur Produktivität - Kritik solle, bitte schön, doch auch mal positiv sein - wurde belächelt und zurückgewiesen als Versuch, uns die Flügel schon bei den ersten Flugversuchen zu stutzen. Die Autonomie der Bewegung basierte darauf, daß sie destruktiv war; das Verlangen nach einem konstruktiven Beitrag galt als reformistisch, als Initiative von oben, um die neuen Impulse einzusacken und zum Motor kapitalistischer Entwicklung umzuformen. Nicht zufällig wurde »macht kaputt was euch kaputt macht« zur perspektivischen Losung: Die Hoffung auf eine abstrakte Zukunft realisierte sich in notorischer Feindseligkeit gegen die greifbare und daher angreifbare Gegenwart. Gegen die Totalität der Macht gibt es nur ein Mittel - die totale Verweigerung. »Das radikale Bedürfnis nach Freiheit kann sich nur als militantes Bedürfnis gegen den herrschenden Machtkomplex wirklich Luft verschaffen.« (Dutschke). [12] Dieser Begriff von Revolution als Zersetzungsprozeß richtet sich gleichermaßen gegen das Individuum selbst, das die als falsch begriffene Welt attackiert, um wieder Geschichte zu werden. Die Unfähigkeit zum Kompromiß mit der Gesellschaft spart den Menschen nicht aus, der als Kind eben jeder Gesellschaft immer auch ihr Opfer ist. Er kann zu dem, was er ist, nur durch die radikale Negation dessen werden, was aus ihm gemacht worden ist. Identitätsfindung heißt, die Nabelschnüre zur eigenen Herkunft zu kappen; heißt, mit den kompensatorischen Gegenleistungen zu brechen, die diese Gesellschaft aufzubieten hat; heißt, entschiedene Zurückweisung von sozialer Anerkennung, von Belohnung und Bereicherung, von falschen Sicherheiten, von fremdbestimmter Bedürfnisbefriedigung, von Teilhabe an den unteren Gliederungen des Machtgefüges.
Die Radikalisierung der eigenen Person geht zunächst einmal damit einher, daß einem sämtliche Felle davonschwimmen. Wer den bestellten Boden aus guten Gründen verläßt, kann dennoch nicht darauf vertrauen, daß er unmittelbar und sofort gepflügtes Neuland betritt.
Die Attraktivität der Alternativbewegung bestand zum guten Teil darin, daß sie so tut, als verwirkliche sich der Bruch mit der Gesellschaft in der Herstellung einer neuen Positivität. Statt an der Revolution festzuhalten, bietet sie ihren Anhängern einen Hort der Zuflucht, worin vermeintliche Negation des Alten und Entwurf des Neuen eine beschauliche Synthese eingehen. Ihr Versprechen auf einen radikalen Wandel der Lebensverhältnisse löst sie durch »kontinuierliche Andersartigkeit« ein, als wäre es mit der »Reduktion der Differenz auf's Etikett« bereits getan. Das vage Gefühl der Unzufriedenheit kanalisiert sie, indem sie modelliert, wie es besser sein könnte. Sie spannt die »Austeiger« in ihre Zukunftsprojekte ein, ohne ihnen eine Chance zu lassen, »Rache zu üben für die erlittene Ausbeutung, Erniedrigung, Beleidigung und Unterdrückung, indem man die Verhältnisse zerstört, worin man der Gestoßene war. Der Verzicht auf Rache, dem keine Revolution vorausging, bedeutet, daß man die Unterdrücker gewähren läßt, wenn man sich ihnen durch Flucht entziehen kann.« (Pohrt). [13] Indem sich die Alternativen als »Fluchthelfer« des sich radikalisierenden Individuums anbieten, reproduzieren sie jedoch exakt die Verhältnisse, denen ihre Mitglieder eigentlich zu entkommen versuchten. Die Normen der Andersartigkeit sind nur Variaten der herrschenden Regeln. Nicht umsonst wird heute von den »Geschäftsführern« [14] der Alternativbewegung gewarnt, die die Leistungsgesellschaft hinten herum wieder einführen, nicht umsonst spekulieren einige ihrer Wortführer auf finanzielle Unterstützung aus der Staatskassen, wenn sie die entlastende Funktion der Alternativprojekte für den Arbeitsmarkt ebenso anpreisen, wie die dort realisierte Herausbildung eines neuen Produzententyps; nicht umsonst feiern Selbstausbeutung und Unterwerfung unter die Gesetze der Ökonomie gerade dort fröhliche Urstände, wo sie in einem verbalen Kraftakt für null und nichtig erklärt worden waren. Sachzwänge bleiben Sachzwänge, auch wenn ihnen das Wörtchen »Alternativ« vorangestellt wird. Um Mißverständnissen vorzubeugen: nicht, daß die Umwälzung des Alltagslebens schon heute beansprucht wird, greifen wir an. Wofür aber dieser Anspruch verabsolutiert und losgelöst wird von der prinzipiellen Feindseligkeit gegen die kapitalistische Kultur, wo der Rückzug auf die gettoisierte Selbstgefälligkeit als allein seligmachende Alternative zum militanten Angriff gegen den herrschenden Machtblock gehandelt wird, bleibt unter'm Strich bestenfalls die »lebensreformerische Marotte« des radikalisierten Individuums, das auf halber Strecke stehen bleibt und in Zukunft seine Kaputtheit auf Kosten des noch Schwächeren kultivieren und tätscheln wird.
Die Guerilla braucht sich diesen Vorwurf nicht machen zu lassen. Sie hat an dem Zusammenhang zwischen revolutionärem Kampf und Wiederaneignung von Identität festgehalten, als allerorten der Marsch zum Rückzug in die Kleingruppe und die abgeschottete Innerlichkeit geblasen wurde. Dennoch ist die Proklamation des neuen Menschen durch die Guerilla nicht frei von einem ähnlichen Mechanismus. Wo sich im Grunde erstmal ein Meer von Unsicherheiten, von Infragestellung und Absage auftut, wird dem sogleich die harmonisierende Version eines kämpfenden Kollektivs übergestülpt, dessen Militante allein schon durch die Entscheidung für den bewaffneten Widerstand alle Attribute des zukünftigen Mitglieds einer befreiten Gesellschaft auf sich vereinigen. Gleichsam als Entschädigung für den äußeren Druck wird die vollzogene Befreiung in den Binnenstrukturen suggeriert. Der emanzipierte Kämpfer, der frei von Leistungsdruck, Konkurrenz und Aggressivität liebevoll und zärtlich mit seinesgleichen verkehrt, ist das uneingelöste Versprechen, das die Guerilla gibt, um den inneren Schweinehund totzukriegen, der den entgangenen Privilegien einer bürgerlichen Existenz nachtrauert. Obwohl der »negatorische« Prozeß noch in vollem Gange ist, wird schon wieder an der Herstellung einer positiven Alternative gestrickt, damit der Sturz nicht allzu tief ist. Daß so »Helden« gezeugt und Gräben zur legalen Linken gezogen werden, ist nur die eine Seite. Die Person des Kämpfers wird so sehr ins Unvorstellbare transzendiert, daß die eigene Existenz zu einem Häufchen Elend verkümmert und man/frau besser Reißaus nimmt. Zugleich funktioniert die Proklamation des Subjekts nach innen als »Selbstansporn«: wenn sich die objektiven Bedingungen verschlechtern, muß das revolutionäre Individuum die Kastanien aus dem Feuer holen. Für Zweifel ist keine Zeit.
Innere Widersprüche sind ein Hemmschuh in der Erfüllung der Verantwortung für die Geschichte. Der Wille des Einzelnen wird zum ausschließlichen Motor gesellschaftlicher Dynamik, koste es, was es wolle. Und es kostet: selbst die ständige Beteuerung, daß sich in der Guerilla der neue Mensch verwirklicht, kann auf Dauer nicht darüber hinwegtäuschen, daß es sich dabei um einen widersprüchlichen, um einen schmerzlichen Prozeß handelt. Wird dieser Prozeß negiert, werden falsche Hoffnungen geweckt und genährt, deren Nichteinlösung allmählich an die Substanz geht. Was in der oben skizzierten Kritik an der RZ auch zum Ausdruck kommt, ist die enttäuschte Erwartung, daß die Entscheidung für den bewaffneten Kampf »entlohnt« wird, sei es nur in Form des sichtbaren politischen Erfolgs, sei es als Wiederherstellung der verlorengegangenen Menschlichkeit in den eigenen Reihen und zwar hier und heute.
»Gemessen an den landläufigen Vorstellungen hat der Alltag eines Guerilleros wenig Heroisches.«
Im Gegenteil: seine Entscheidung nötigt dem Militanten ein Doppelleben auf, das voller Widersprüchlichkeiten steckt. Seine sichtbare Identität ist nicht immer seine wirkliche Identität und seine wirkliche Identität unterliegt dem Vorbehalt, möglichst nicht sichtbar zu werden. Wo sich die Guerilla als Organisation in dem strukturellen Widerspruch bewegt zwischen der politischen Notwendigkeit, sich zu öffnen, um Teil der gesellschaftlichen Auseinandersetzung zu sein (und zu bleiben) und dem taktischen Zwang, sich abzuschotten, um sich vor Unterwanderung und Aufdeckung zu schützen, steht der Einzelne in dem Konflikt, die Radikalität seiner Entscheidung tagtäglich leben zu wollen und sich andererseits aus Gründen der Abschirmung immer wieder zurücknehmen zu müssen. Obwohl sich der illegale Zusammenhang aufgrund seiner eigenen Logik nicht mit Halbheiten zufrieden geben darf, sondern um Offenheit, Initiative und vorbehaltlose Solidarität kämpfen muß, kommen die tatsächlichen Bedingungen von Klandestinität und Illegalität der Entwicklung derartiger Verhaltensweisen immer wieder in die Quere. Kollektivität besteht oft nur in dem Bewußtsein, Gruppe zu sein und weniger in der erfahrbaren, fühlbaren Praxis. Dies umso mehr, als die direkten Aktionen nur einen verschwindend geringen Anteil an der generellen Praxis der Organisierung von bewaffnetem Widerstand haben. Es wäre naiv, die Guerilla auf die Momente ihrer praktischen Wirksamkeit reduzieren zu wollen, auch wenn sie sich erst darin verwirklicht. Und alle Mystifikationen und Idealisierungen, jegliches Flair von Abenteuerlust, müssen verblassen vor dem Hintergrund der tatsächlichen Relationen. Jede Intervention beruht auf einer Reihe von Vorarbeiten - Bewegungen, Qualifikationen, Untersuchungen, Absicherungen, die für sich selbst genommen in den seltensten Fällen den globalen Ansprüchen genügen. Es ist als isolierte Tätigkeit wahrlich nichts Revolutionäres, einen Transport zu machen oder Informationen zu sammeln oder eine Unterkunft zu organisieren oder Kilometer um Kilometer zu fressen, zu warten und wieder und wieder miteinander zu diskutieren, auch wenn jede dieser Aktivitäten unverzichtbares Glied einer ganzen Kette von Voraussetzungen ist, ohne deren Bewerkstelligung wir vielleicht einzelne Aktionen zustande gebracht, aber mit Sicherheit nicht eine gewisse Kontinuität bewaffneten Widerstandes gewährleistet hätten.
Keine Frage, die Widersprüche, die aus der Entscheidung für den gewaffneten Kampf folgen, zehren an der Identität. Die notwendige Zurücknahme der eigenen Person hier, die geforderte und doch nur ungenügend beanspruchte Totalität dort hinterläßt das Gefühl der Zerissenheit. Und dennoch wäre es eine Illusion zu hoffen, diese Widersprüche wären nach der einen oder anderen Seite hin befriedigend auflösbar, statt Kontrast gäbe es Harmonie. Ihnen entgehen kann nur, wer den Rückzug antritt und damit Widersprüche ganz anderer Qualität auf sich lädt: nämlich, statt gegen Unterdrückung und Ausbeutung zu kämpfen, von ihnen zu profitieren, statt Feind der herrschenden Verhältnisse plötzlich deren Nutznießer zu sein. »Widersprüche bewußt aushalten, sie flexibel zu handhaben und sie nicht leugnen oder verdrängen, kann hingegen ein Moment der Stärke, der Kraft werden. Sie sind unmittelbarer Ausdruck jenes Zersetzungsprozesses, den gerade der Metropolenmensch auf sich nehmen muß.« Daß dieser Prozeß schmerzlich ist, ist klar. Er ist Konsequenz der Situation des Revolutionärs in den Zentren, wo die Entwicklung von Radikalität einer Gratwanderung gleicht. Stets auf der Kippe zur Kumpanei mit der Macht, ist er darauf angewiesen, unerbittlich gegen sich selbst zu sein, an seiner Moral festzuhalten und alle Strukturen von Macht, die sich in ihn hinein verlängern, energisch zu bekämpfen. Wer Angst kennt bzw. sich eingesteht, weiß was gemeint ist, weiß, daß die »Überwindung von Angst ein gewaltiger Akt der Befreiung ist«, der nicht nur das Handeln, sondern auch das Denken aus der Umklammerung fremder Infiltration löst. Zu Recht kritisiert die AUTONOMIE, daß sowohl in der Legitimation der unbedingten Militanz als auch in der großen Geste der Ohnmacht, die sich selbst »gewaltfrei« nennt, Fragmente von Angst in Politik übersetzt werden. So wirkt Herrschaft selbst in den Köpfen derer nach, die eben diese Herrschaft doch mit ihrer ganzen Person durchbrechen wollten. Und wo die Erzeugung von Ohnmacht, die Demonstration der eigenen Nichtigkeit nicht ausreicht, treten andere Mechanismen auf den Plan, die diese Gesellschaft nach wie vor zusammenhalten. Die Rückversicherungstrategien, die den Marsch durch die Institutionen ebenso begleiten wie den Rückzug in die alternative Subkultur, sind ein Beleg dafür, daß die Kompensation- und Korruptionsangebote der Gesellschaft selbst unter »gestandenen« Linken noch lange nicht ihre Wirkung verloren haben. Wer kennt nicht den Lehrer, der sich für den Schulstress statt mit einer Bombe mit einer mehrwöchigen Erholungsreise auf den Spuren des europäischen Kolonialismus »revanchiert«, um sie dem nachsetzenden neokolonialen Massentourismus zu erschliessen; oder den genervten Sozialarbeiter, der Stück für Stück seine einstige Sperrmüllkultur durch skandinavisches Teak plus compact disc ersetzt und auf diese Weise doppelt reinfällt, anstatt sich gegen seine Funktionalisierung als Sozialkontrolleur zur Wehr zu setzen; oder den Prediger des biologischen Anbaus, der erst Befreiung durch Armut im selbstgewählten Reservat versprochen hat und nun die Früchte des Verzichts ernten will, indem er die menschlichen Beziehungen zu seinem eigenen Vorteil erneut kommerzialisiert. Konsum, Karriere, Prestige, Geld sind Verlockungen der Macht, die den Menschen an den globalen Schuldzusammenhang imperialistischer Strategie ketten sollen, deren Gegenpol auf Vernichtungskriegen, Hungersnöten, unsäglicher Armut basiert.
»Wenn wir sagen, daß Freiheit nur möglich ist in der Entscheidung gegen das herrschende System, so schließt das auch Kompromißlosigkeit gegenüber den verinnerlichten Gewaltverhältnissen ein.«
Befreiung ist immer auch Kampf gegen die Unterwanderung des Subjekts durch die Macht, die den Menschen bis in das Innerste seiner physischen und psychischen Strukturen geformt und deformiert hat. Das vorweggenommene »Reich der Freiheit«, das die Guerilla sein wollte, bleibt erst einmal ein harmonisierendes Zukunftsgemälde. Vor uns liegt ein langer Weg der Zersetzung, der Destruktion, des wirklichen Bruchs mit der Gesellschaft, auf dem jeder Versuch des frühzeitigen Glättens eher ein Schritt zurück, als einen Schritt voran bedeutet.
Es sollte klar sein, daß mit so verstandener Befreiung weder individuelle »Kraftmeierei« noch ein gruppeninterner, quasi therapeutischer Akt gemeint sein kann. Wenn wir Kampf sagen, so ist Befreiung implizit als Element sozialer Prozesse definiert. Und das schließt die ständige Wechselwirkung zwischen kämpfender Gruppe und Massenbewegung ein. Nur im gegenseitigen Austausch kann die Persönlichkeit des revolutionären Militanten Gestalt annehmen, die mit der Vielfalt der Wirklichkeit noch vermittelt ist. Wo dieser innere Kontakt wegfällt, läuft die Guerilla Gefahr, daß sie den sich befreienden Menschen »schnell zum reinen Kämpfer verselbständigt und die moralische Identität, die sie sich aneignet, unhistorisch bleibt und sich auf den inneren Gruppenzusammenhang beschränkt.« (Roth)
Der Ausstieg einzelner Genoss/inn/en aus den RZ erklärt sich auch aus diesem Zusammenhang. Nicht zufällig entsteht die Kritik unter den Eindruck des deutschen Herbstes 1977, der ja nicht nur eine Demonstration des tatsächlichen Gewaltpotentials »deutscher Rechtsstaatlichkeit« war, sondern zugleich den drohenden Bruch zwischen Massenbewegung und bewaffneten Gruppen endgültig zu besiegeln schien. Signale waren allerdings schon lange gesetzt:
Denunziation und Ausgrenzung
Mit Denunziation und Ausgrenzung hatte die Linke - von wenigen Ausnahmen abgesehen - auf die ersten Aktionen der RAF reagiert, obwohl sich in ihnen wenigstens anfangs vor allem ihr eigenes Dilemma widerspiegelte: was sollte der Phase moralischen Protests folgen, dessen politische Kraft sich abgenutzt hatte? Daß Ulrike durch Verrat aus den Reihen der nunmehr verbeamteten Linken (Rodewald [15]) ans Messer geliefert werden konnte, ohne daß es zum Eklat kam, eindrucksvoller hätte sich der moralische Verfall nicht inszenieren lassen. Selbst die »Solidarität mit den Opfern«, die erst den Tod von Holger Meins [16] brauchte, um von der Wirklichkeit der Isolationsfolter in BRD-Knästen überzeugt zu sein, stand auf tönernen Füßen; schon einen Tag später - in Berlin war der Richter Drenkmann [17] erschossen worden - »erwies sich, was sie auch war, nämlich Instrument der Spaltung.« Und als schließlich auch noch die radikale Frankfurter Spontiscene [18] nach dem Tod von Ulrike 1976 entsetzt vor dem zurückschrak, was ihre eigene Militanz zur Folge haben könnte, drehte sie den Spieß kurzerhand um und münzte ihre Niederlage in einen Generalaufwasch mit den bewaffneten Gruppen um: » Wir fordern sie von hier aus auf, Schluß zu machen mit dem Todestrip, runterzukommen von ihrer bewaffneten Selbstisolation, die Bomben wegzulegen und die Steine und einen Widerstand, der ein anderes Leben meint, wieder aufzunehmen.« (Joschka Fischer [19] 1976). Wo die Fürsprecher eines so verstandenen Widerstandes mittlerweile geendet sind, ist bekannt. Mit Steinen, die zum Werfen gedacht waren, frieden sie heute ihr »anderes Leben« ein.
Vom »solidarisch« gemeinten Appell bis zur versuchten Erpressung war es nicht mehr weit. Im Herbst 1977 formierte sich, was bis dahin noch Tendenz war, zur gnadenlosen Offensive gegen den »Terrorismus«. Es schien, als würde sich diese Linke unter dem Klima der Hemmungslosigkeit selbst die letzten Skrupel vom Halse schaffen. Die Ventile waren geöffnet, endlich konnte man sich ungezügelt Luft verschaffen. Da krochen einstige SPD'ler, die die Früchte des großen Runs auf die akademischen Planstellen nicht leichtfertig auf's Spiel setzen wollten, gleich scharenweise vor dem staatlichen Gewaltanspruch zu Kreuze und boten sich der Obrigkeit an, in die Bewegung zurückzukehren, um die Wurzeln der Subversivität von unten aufzurollen. Da häuften sich die erbärmlichen Gesten der Untertänigkeit, wurden Ergebenheitsadressen und Loyalitätsbekundungen gleich zu Hauf produziert, galt der Kniefall vor der Staatsgewalt als Zeichen der Humanität angesichts des Schrecken, den der Versuch der Gefangenenbefreiung verbreitete. Kaum einer, der um seinen Ruf zu fürchten brauchte, wenn er wie selbstverständlich zur politischen Isolierung oder gar persönlichen Denunziation der Organisationen und Militanten des bewaffneten Widerstands anstiftete. Nicht nur der
Es ist nicht an uns, den Anteil der legalen Linken an dieser Entwicklung aufzuzeigen. Die notwendige Selbstbesinnung ist sie sich selbst wie anderen schuldig geblieben.
Herbst 1977 - Bruch zwischen der legalen und bewaffneten Linken
Wir selbst nahmen die Herausforderung an und erklärten, nicht länger Teil dieser Linken zu sein. Wir vollzogen den Bruch, indem wir über die Verkommenheit des Legalismus herfielen und uns in der absoluten Notwendigkeit des beschleunigten Aufbaus illegaler Strukturen bestärkt sahen. Der Wirksamkeit anderer Formen des Widerstands als der des bewaffneten Kampfes schien angesichts der Toten von Stammheim jeglicher Boden entzogen zu sein. Daß wir uns mit dieser Verarbeitung des Geschehens selbst den Boden unter den Füßen wegziehen würden, daß wir im Begriff waren, Guerilla als eine von vielen Methoden des politischen Kampfes zu verabsolutieren, ist uns erst geraume Zeit später bewußt geworden. Denn in der Anerkennung des endgültigen Bruches zwischen legaler Linken und bewaffneten Gruppen lag zugleich das Eingeständnis des vorläufigen Scheiterns eines Konzeptes, in dem das Verhältnis zu den autonomen Bewegungen, zu den Massenkämpfen, zu den legalen politischen Kernen von Beginn an einen zentralen Stellenwert hatte. Die entstandene Kluft war auch ein Signal, daß wir uns mehr und mehr an den realen Prozessen vorbeigemogelt hatten und an Ideen und Hoffnungen festhielten, die durch den tatsächlichen Verlauf der 70iger Jahre zur Fiktion geworden waren.
1973, als eine Revolutionäre Zelle erstmals namentlich Verantwortung für Aktionen übernahm, hatten wir uns am Ausgangspunkt eines neues Aufschwungs von Massenbewegungen geglaubt, die die verschiedenen Sektoren der Gesellschaft erfassen würde. Anzeichen gab es zur Genüge: die Streikwelle, die auf Fabriken wie Hoesch, Mannesmann, John Deere, Klöckner usw. überschwappte, signalisierte eine für deutsche Verhältnisse neue Qualität in den Kampfzielen und -formen, an den Fabriktoren der Kölner Ford-Werke kristallisierten sich die Umrisse einer sich autonom organisierenden, multinationalen Arbeiterklasse heraus. Gleichzeitig gärte es in den Stadtteilen. Die Jugendbewegung hatte mit dem Kampf für selbstverwaltete Jugendzentren wieder ein verbindendes politisches Motiv gefunden, das bis in die kleinsten Provinzstädte widerhallte. In den Hausbesetzungen kam der radikale Wille zum Durchbruch, sich tatsächlich zu nehmen, was wir brauchten. Mit dem Schwarzfahren, dem Ladenklau, dem Krankfeiern wurden andere Formen des Widerstandes als eminent politisch entdeckt, die bis dahin lediglich privaten Charakter hatten. Zur gleichen Zeit entwickelte sich im rasanten Tempo mit der Frauenbewegung eine neue gesellschaftliche Kraft, die vor 1975 in der Kampagne gegen den § 218 ihren Höhepunkt als überregionale Bewegung erlebte. Und nicht nur die nationalen, sondern auch die internationalen Geschehnisse in der ersten Hälfte des Jahrzehnts gaben Anlaß zu Optimismus. Vietnam, Kambodscha, Griechenland, Angola, Mosambik, Spanien, Portugal stehen in dieser Periode als Namen für eine siegreiche Perspektive antiimperialistischer oder antifaschistischer Befreiungsbewegungen. Selbst in Chile schien mit dem MIR eine politische/militärische Kraft heranzuwachsen, die stark genug sein würde, um die blutige Pinochet-Diktatur wieder zu stürzen.
Diese Aussicht auf die bevorstehende Phase von Massenkämpfen neuen Inhalts koppelte sich mit unseren eigenen Erfahrungen. Wir wußten:
* Politik innerhalb der Normen formaler Demokratie blieb ohnmächtige Politik. All jene Vorstellungen, die auf eine lange Phase von Aufklärung und Propaganda bauten, ohne gleichzeitig Aktionsebenen zu definieren, standen stets an der Schwelle zur Vereinnahmung.
* Der repressive Staatsapparat hatte dazugelernt und war darauf eingerichtet, den Massenwiderstand in die Grenzen seiner Handlungsmöglichkeiten zu verweisen. Klandestinität war eine Basis gegen Repression.
* Subjektivität, der Wille zum revolutionären Handeln, kann Berge versetzen.
* Das Unvorstellbare galt nicht mehr. Die Praxis der RAF, aber auch etlicher anderer subversiver Kerne, hatte mit einem Tabu aufgeräumt, das in diesem Land eine lange Tradition hat. Die Organisation revolutionärer Gewalt gegen den totalitären Gewaltanspruch des Staates in allen seinen Formen war wieder richtig und möglich.
Vor diesem Hintergrund entstand ein Konzept bewaffneten Kampfes, in dem die Stärkung der Masseninitiative durch klandestin operierende, autonom und dezentral organisierte Gruppen der erste Schritt eines langwierigen Angriffs auf die Macht sein sollte. »Was wir wollen, ist die Gegenmacht in kleinen Kernen organisieren, die autonom in den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen arbeiten, kämpfen, intervenieren, schützen, die Teil von der politischen Massenarbeit sind. Wenn wir ganz viele Kerne sind, ist die Stoßrichtung für die Stadtguerilla als Massenperspektive geschaffen.« (Revolutionärer Zorn Nr. 1).
Die Kriterien, denen eine solche Praxis unterlag, nämlich Orientierung an gesellschaftlichen Konflikten, Vermittelbarkeit von Aktionen, Nachmachbarkeit, Verteidigung erkämpften Gegenmilieus, zeigen, worum es uns schon damals ging: um das Bewußtsein der Menschen, um die Zerstörung des Gefühls der Ohnmacht, um Überwindung der Hoffnungslosigkeit, also um den Kampf gegen jene spezifische Form der Verelendung, wie sie für die Metropole charakteristisch ist.
Rückblickend ist es leicht, hinter dieser Sorte von optimister Vorausschau auch Naivität gegenüber der tatsächliche Bewegung revolutionärer Prozesse zu vermuten. Unter dem Einfluß von Gruppen wie der Gauche Proletarienne [21], The Black Panther Party [22], den Tupamaros [23], der IRA [24], der ETA [25] und dem Schwarzen September [26], deren Stärke vor allem darauf beruht, daß sie sich auf ein zentrales, das Volk vereinendes politisches Motiv berufen können, hatten wir sicherlich die Hindernisse unterschätzt, die der Herausbildung einer Massenguerilla im Wege standen. Und auch die Hoffnung, die Klassenbewegung wäre - einmal ins Rollen gekommen - aus sich heraus fähig zu Kontinuität, erwies sich als Illusion. Weder sollten sich die verschiedenen Bewegungen in jener Gradlinigkeit fortentwickeln, die wir unterstellt hatten, noch sprang aus der Initiative einer Handvoll »Kämpfer« der Funke über, der den Steppenbrand hätte entfachen sollen. Die Zeichen für die Vermassbarkeit illegaler Politik standen fürs erste schlecht.
Der Zerfall der Bewegung erwies sich als unaufhaltsam. Die sozialliberale Einkreisung der Jugendrevolte von oben zeigte erste Wirkung:
Während sie der Mehrheit der mittelständigen Schichten des Massenprotestes mittels Amnestie und Hochschulreform einen Weg zurück offengehalten hatten, um sich so langfristig deren Fähigkeiten zu sichern, präsentierte sie sich eine Etage tiefer von ihrer rüderen Seite. Mit Bullenrazzien und einstweiligen Verhaftungen machte sie allen verfrühten Hoffnungen darauf, daß die eroberten Freiräume (wie das Georg-von-Rauch-Haus) [27] schon Bastionen einer neuen Gesellschaft seien, ein rasches Ende. An die Stelle der radikalen Utopie, die Phantasie, Selbstbestimmung, Entschlossenheit bedeutet hatte, trat nüchterne Realpolitik, in deren Folge die Auflösung der Einheit der Bewegung ihre verklärende Bemäntelung erfuhr. Die neuen/alten Organisationen hatten sich zu Instrumenten des Angriffs auf die antiautoritären Inhalte und Verhaltensweisen der Revolte entwickelt, der Prolet war zur Waffe geworden, mit der Aufsässigkeit und Anpassungsverweigerung zurechtgewiesen wurden. Mit der rückwärtsgewandten Selbstproletarisierung des studentischen Teils der 68er-Generation waren Disziplin, Opferbereitschaft, Geduld ebenso in die Scene zurückgekehrt wie Monogamie und der FaÁon-Schnitt. Die langfristigen Früchte mühseliger Aufbauarbeit wurden verrissen, während die Orientierung am unmittelbaren Erfolg, eine der entscheidenden Triebfedern der APO, als kleinbürgerlich denunziert wurde. Entdeckt war der Teilbereich, die Abteilung in der Fabrik, die Gewerkschaftsgruppe, der Straßenzug, eine Schule, ein Jugendheim, eine Obdachlosensiedlung. Aber über die Behauptung, daß es Widerstand nur durch seine Teilbereiche gibt, geriet in Vergessenheit, daß diese nur durch den gesamten Widerstand bestehen und überleben können. Der jeweilige Erfahrungsbereich wurde so zum Nabel der Welt, die selektive Wahrnehmung zum Fundus, aus dem die gesamte Weisheit gelöffelt wurde.
Natürlich können das nur grobe Kennlinien sein. Dennoch markieren sie eines: die objektive Entwicklung hatte einer Praxis bewaffneten Widerstands teilweise den Boden entzogen, der Bezugpunkt, der Adressat unserer Politik - die Jugendrevolte - hatte sich in die Basisprojekte aufgelöst und darüber fundamentale Elemente des ursprünglichen Selbstverständnisses preisgegeben, ein gemeinsamer Nenner, Voraussetzungen des inneren Kontaktes zwischen Guerilla und Bewegung, existierte nicht mehr. Für uns, die wir ungeachtet dessen an dem Ziel einer Massenguerilla festhielten, bedeutete dieser Prozeß zweierlei:
1. Mit der Zersplitterung der Bewegung reduzierte sich die Bedeutung gesellschaftlicher Konflikte, in denen die Linke präsent war, auf Auseinandersetzungen, die nur in den seltensten Fällen wenigstens lokale Ausmaße erreichten. Ob nun die Forderung nach einer Klimaanlage in einer Fabrik oder die Propaganda gegen ein Sanierungsprojekt in einem Stadtteil oder Ärger über einen besonders miesen Vermieter - all diese Aktivitäten wurden nicht mehr als Teil eines Ganzen begriffen, sondern waren Ausdruck weitgehend isolierter und gruppenspezifischer Interessen. Da es hunderte solcher Konflikte gab, mußten Aktionen zwangsläufig einen gewissen Grad an Beliebigkeit haben. Die typische Auseinandersetzung, innerhalb derer bewaffnete Politik ihre Funktionen und konkrete Wirksamkeit hätte faktisch unter Beweis stellen können, war eine leere Wunschvorstellung. Da theoretische Verpflichtung und praktische Möglichkeiten ohnehin in einem disproportionalen Verhältnis standen, stieg die Tendenz, auf symbolische Interventionen auszuweichen. Benennbare konkrete Zielsetzungen gerieten in den Hintergrund, während das Argument, es ging um den Nachweis, daß illegaler Widerstand in diesem Land überhaupt möglich ist, zunehmend an Gewicht gewann. Kontinuität entwickelten wir nicht am einzelnen »Fall«, sondern anhand der Tatsache, daß es von Zeit zu Zeit und hier wie dort überhaupt mal wieder brannte und krachte. Erschwerend wirkte sich aus, daß eine personelle Verbindung zu den verschiedensten Gruppen und Initiativen unter den gegebenen Bedingungen nahezu ausgeschlossen war, wir folglich mehr und mehr von Diskussionen abgeschnitten und auf indirekte Informationen, also Zeitungen, Flugblätter, »Zuträger« angewiesen waren, um die Objekte, die Zielrichtung, die Form und den Zeitpunkt von Aktionen zu bestimmen. Klar, daß sich damit das Risiko erhöhte, ungenau, abstrakt, unverständlich zu bleiben. Und selbst in den Fällen, wo Aktionen der Guerilla Erfolg hatten, wo sie auf Zustimmung und Sympathie stießen, also populär waren, zogen wir nur selten die richtigen Schlußfolgerungen. Fixiert auf eine - nicht existente - Einheit der Bewegung liefen wir dem falschen Adressaten hinterher, statt zu registrieren, in welchen Teilen der Gesellschaft bewaffnete Politik tatsächlich Hoffnungen und Kraft freisetzen konnte. Die einseitige Ausrichtung am Stand von Bewegungen, ohne gleichzeitig den sozialen Bezugspunkt der eigenen Praxis zu definieren, hatte zur Folge, daß wir die tatsächliche Bedeutung solcher Aktionen wie die gegen Kaußen, das Verteilen von Fahrscheinen und Sozialscheinen etc. nur selten angemessen zu werten wußten.
2. Als Folge dieser Schwierigkeiten wie aber auch als Kritik an dem Zerfall der Linken, der sich mit erschreckender Ignoranz und Gleichgültigkeit gegenüber gesellschaftlichen Prozessen paarte, die sich jenseits der eigenen Unmittelbarkeit durchsetzten, veränderte sich die Stoßrichtung unserer Aktionen. Statt sich an dem zu orientieren, was die Bewegungen machten, gingen wir dazu über, die Bewegungen an dem orientierten zu wollen, was wir für politisch brisant und notwendig hielten. Durch eine exemplarische Praxis sollten verlorengegangene Inhalte wieder ins Bewußtsein gerückt, frühere Gemeinsamkeiten wieder benannt werden. Die Kampagne gegen die Fahrpreiserhöhungen in verschiedenen Städten der BRD und Westberlin steht für den Versuch, die Linke dadurch zu remobilisieren, daß an alte »Traditionen« angeknüpft und zugleich die Möglichkeit der Wiederaufnahme dieser Traditionen mittels neuer, nämlich illegaler Methoden demonstriert wurde. Gleiches galt für die internationalistischen wie für die »staatsfeindlichen« Aktionen - mit ihnen sollte jene antiimperialistische und antiinstitutionelle Dimension des Massenprotestes wieder in Erinnerung gerufen werden, die die Linke auf dem Marsch an die Basis weitgehend hinter sich gelassen hatte.
Mit der Veränderung der Stoßrichtung unserer Aktionen änderte sich unter der Hand auch das organisatorische Selbstverständnis. Wir begriffen uns zunehmend weniger als integrierter Teil einer Bewegung, ohne jedoch gleichzeitig zu reflektieren, daß wir uns unmerklich in der Rolle der selbsternannten Avantgarde wiederfanden. Die Enttäuschung über die Entwicklung der Linken verschaffte sich Raum in einem uneingestandenen globalen Führungsanspruch gegenüber eben dieser Linken. Das ursprüngliche Selbstverständnis »endlich Subjekt sein zu wollen in diesem Kampf« anstatt »andere in den jeweiligen Bereichen agitieren zu müssen und können« (Revolutionärer Zorn 1) geriet in den Hintergrund angesichts der als vordringlich empfundenen Aufgabe, die Kontinuität der Bewegung gerade in den Zeiten ihrer Zersplitterung aufrechtzuerhalten. Fortan ging es deshalb weniger darum, innerhalb der Aktivitäten der Linken zu wirken, als auf die Linke einzuwirken; in der Tendenz wurde die eigene Linie zur einzigen Linie, wurden die Aktionen zu Appellen, die Erklärungen zu Vorwürfen; aus Vielfalt drohte Unvereinbarkeit zu werden, aus Differenzen Gegensätzlichkeiten, aus unterschiedlichen Prioritäten Rangstufen in einer Hierarchie politischer Wertigkeit. So trugen die internen Prozesse aus sich heraus zu jener Auseinanderentwicklung von Bewegung und illegaler Gruppe bei, die im Herbst 77 ihren einstweiligen Höhepunkt erreichte.
Gerade in einem Land wie der BRD - einem Land mit ohnehin nur schwach entwickelter Klassen- und Massenbewegung - kann ein solcher Auseinanderfall bedeuten, daß die Guerilla buchstäblich auf dem Trockenen sitzt. Zu keinem Zeitpunkt war die Kluft zwischen legaler und illegaler Linken größer und für die Herrschenden somit die Gelegenheit günstiger, der Guerilla mit integrativen wie repressiven Maßnahmen »das Wasser abzugraben«, das deren politische, moralische und logistische Existenzbedingung ist. Kein Wunder also, daß sich der heimliche Innenminister Herold [28] gerade in dieser Situation eines Kitson [29] erinnerte und einen neuen Akzent in der »Terrorismus«-Bekämpfung setzte: nun gelte es, das »terroristische Umfeld« lahmzulegen, den Sumpf auszutrocknen, um dann in einem zweiten Schritt die auf sich gestellten illegalen Kerne endgültig abzuräumen. Wir können hier nur bruchstückhaft beschreiben, in welche Sackgasse eine Gruppe zu geraten droht, die das Problem ihrer Basis vernachlässigt.
Als eine Tendenz innerhalb der Bewegung lebt die Guerilla vom wechselseitigen Austausch mit dieser und zwar in einem wesentlich umfassenderen Sinn als dem der bloßen materiellen Unterstützung. Die Basis in der Linken gibt dem Einzelnen den notwendigen moralischen Rückhalt, wie sie der Gruppe insgesamt erst ihren perspektivischen Zweck verleiht. Zerbricht dieser Zusammenhang, so reduziert sich der Kampf um ein menschenwürdiges Leben schnell auf einen Kampf um's nackte Überleben. Die Organisation, ursprünglich nur Mittel zum Zweck, rückt in den Mittelpunkt; ihrem Erhalt wird alles andere nachgeordnet:
(1) Die Sorgfalt und Verantwortung gegenüber jedem einzelnen Militanten werden dem Zwang zur Reproduktion geopfert. Durch persönlichen Einsatz muß er wettmachen, was die Struktur nicht mehr gewährleistet. Es mag paradox klingen, ist in der Tendenz aber dennoch real: bei dem Versuch zu überleben, geht die Gruppe das Risiko ein, ihre letzten Kräfte zu verschleißen.
(2) An die Stelle von Kontinuität, Zeichen der Stärke einer Guerilla, treten sporadische Anschläge oder das große Schweigen, da ihre Kräfte durch den Zwang zur Selbstversorgung zunehmend anderweitig gebunden sind. Das Dilemma gipfelt in der gleichermaßen falschen Alternative, daß politische Aktionen entweder gänzlich abgeblasen werden, um den Bestand der Gruppe zu sichern oder aber quasi als Ausgleich zur fehlenden Kontinuität das Spektakel gesucht wird.
(3) Obwohl die Lösung des Dilemmas wesentlich von der Überwindung des Bruchs mit der Bewegung abhängt, tendiert die Gruppe zum entgegengesetzten Extrem: sie sondert sich ab, nicht nur weil ihr nun die Zeit für den inneren Kontakt fehlt, sondern auch, weil sich aus der Not heraus der eigene Maßstab verschiebt. Alles, was läuft, wird daran gemessen, ob es der eigenen Gruppe zugute kommt oder nicht. Das linke Spektrum wird in zwei Lager geteilt: wer uns hilft, ist Freund; wer uns Unterstützung versagt, ein Gegner. Da sie über den eigenen Horizont kaum noch hinausschaut, verliert die Gruppe mit der Zeit den Sinn für tatsächliche politische Entwicklungen und damit überhaupt die Möglichkeit, ihre Isolierung zu überwinden. Die zwangsläufige Folge sind Ausweichmanöver:
- die fehlende politische Unterstützung wird durch den Versuch einer technischen Spezialisierung ausgeglichen;
- dem Verschleiß an Kräften folgt die Auflösung der autonomen und dezentralen Strukturen, um als zentralisierte Gruppe überhaupt noch handlungsfähig zu sein;
- angewiesen auf Unterstützung geht die Gruppe »Bündnisse« ein und riskiert dabei den Verlust ihrer Autonomie, gerade weil sie in der Regel ein Produkt der Schwäche sind.
Power gegen die Betonsargbauer
Die beschriebene Tendenz zum Auseinanderfallen von Bewegungen und Guerilla, die ihre Gründe sowohl in der Geschichte der deutschen Linken als auch in den besonderen Organisationsbedingungen selbst hat, wurde zusätzlich dadurch begünstigt, daß wir uns einem Problem gestellt haben, dem jede Guerilla verpflichtet ist - dem Problem der Gefangenen. Nicht um der eigenen Reproduktion willen, wie behauptet worden ist, sondern weil wir eine moralische und politische Pflicht gegenüber den eingekerkerten Kämpfer/inne/n haben, deren Identitätsauslöschung durch Eliminierung aller sinnlich-konkreten Existenzerfahrungen bis hin zur Liquidierung in den Trakts erklärtes Programm ist. Zwar ist eine Politik zum Scheitern verurteilt, die den Kampf gegen die Knäste und dessen spezifische Form, die Befreiung, als höchstes Ziel verabsolutiert, anstatt ihn als einen Aspekt im Spektrum des Widerstandes insgesamt zu führen. Dennoch sahen wir gerade Mitte der 70er Jahre (die Hungerstreiks drohten zu versanden, Holger Meins war tot, Erfahrungen, welchen »Preis« der Staat letztendlich verlangen würde, gab es für die BRD noch nicht) keine Alternative, wollten wir die Gefangenen nicht lediglich ihrem Schicksal in den Klauen der Gefängnistechnokratie überlassen, in einer Situation, in der die meisten zu sehr mit sich selbst beschäftigt waren, um sich noch sonderlich von den erschreckenden Nachrichten aus den Trakts beeindrucken zu lassen, in der verdrängt oder schon einmal als Propaganda abgetan wurde, was allen offiziellen Dementis zum Trotz dennoch bittere Wahrheit bleibt: daß in den neuen Gefängnissen Isolationsfolter als Instrument der Verhaltensmodifikation praktiziert wird. In einer solchen Situation konnte die Vermittlung zur Bewegung nicht uneingeschränktes Kriterium eigenen Handelns sein. Wollten wir nicht untätig zusehen, mußten wir uns bewußt in Widerspruch zu unseren sonstigen Vorstellungen setzen oder - wie wir es damals nannten - »Es gibt aber auch einen Teil unserer Politik, den viele Genoss/inn/en nicht verstehen und nicht akzeptieren und den auch die Massen nicht verstehen und der sie vorläufig auch nicht interessieren wird. Wir halten ihn dennoch für richtig.« (Revolutionärer Zorn 1) Sich dem Problem der Gefangenenbefreiung stellen, bedeutet zunächst, sich auf eine Praxis einzulassen, die einer anderen Logik und anderen Maßstäben folgt, als die Entwicklung einer erst in Ansätzen existenten Massenguerilla. Gefangenenbefreiung setzt die Bereitschaft und die Fähigkeit voraus, sich mit militärischen Mitteln auf die Ebene der machtpolitischen Konfrontation zu begeben; heißt, den Staat auf die Probe zu stellen, ihn dazu zu zwingen, Revolutionäre als »Gesprächspartner« anzuerkennen und sich ihren Forderungen zu beugen. Der Adressat einer derartigen Praxis sind die zentralen Machtinstanzen und erst in zweiter Linie die Menschen in diesem Land. In der Art und Weise, wie der Staat auf die ersten Keimformen eines bewaffneten Widerstandes in der BRD reagiert hat, nämlich mit dem Willen zur Vernichtung, mit Krieg, bekundete er zugleich seine Entschlossenheit, die bewaffneten Gruppen auf ein Terrain zu locken, auf dem sie kaum Erfahrungen hatten, auf dem sie wenigstens auf lange Sicht unterlegen sein mußten.
Daß der Versuch der Gefangenenbefreiung dennoch nicht zwangsläufig damit enden muß, daß die Guerilla auf das Gleis der Isolation gerät, daß er im Gegenteil ein befreiender Akt im doppelten Sinne sein kann, weil in seiner Konsequenz nicht nur Gefangene, sondern auch neue Energien, Hoffnungen und Orientierungen »freigesetzt« werden, dafür steht in der kurzen Geschichte westdeutscher Guerilla beispielhaft die Lorenz-Entführung. Ihr Erfolg besteht ja nur zum einen - wenn auch wesentlichen - Teil in der erzwungenen Freilassung von 7 Genoss/inn/en. [30] Gleichzeitig war sie immer auch eine praktische Demonstration dessen, daß man sich mit entsprechender Entschlossenheit, mit Mut und Phantasie, mit List und Witz sowie unter Ausnutzung bestimmter politischer Konstellationen die tatsächlichen Kräfteverhältnisse punktuell auf den Kopf stellen und der staatlichen Gewalt, die von der Behauptung ihrer Unangreifbarkeit lebt, durch die Organisation revolutionärer Gegengewalt eine Schlappe beibringen kann, ohne in der Verfolgung des Ziels auf Mittel und Formen zurückgreifen zu müssen, die denen des Gegners allzu ähnlich sind, als daß in ihnen noch die Inhalte einer radikalen Utopie erkennbar wären.
Und sie widerlegte all diejenigen, die das Verhältnis von legalen und illegalen Kämpfen in ein Korsett von Etappen zwingen, die das Niveau der Interventionen schematisch in Relation zum Entwicklungsstand der gesamtgesellschaftlichen Auseinandersetzungen diskutieren und damit drücken, für die kurzum im Grunde jede bewaffnete Aktion verfrüht ist. Gerade am Beispiel der Lorenz-Entführung gilt es zu begreifen, daß nicht das Niveau, der Level, über die Richtigkeit einer Aktion entscheidet, sondern die Frage, ob sie zielgerichtet ist, das heißt, ob sie sich Widersprüche innerhalb des Machtblocks zunutze macht, ohne den Staat derart in den Knie zwingen zu wollen, daß für einen »Deal« (und was anderes ist der Kern einer Gefangenenbefreiung ?) kein Raum mehr ist; ob sie in Inhalt und Form stimmt, also genau und deshalb nicht gegen die Guerilla umdrehbar ist, ob das Ende der Aktion gleichbedeutend mit dem Verlust der Initiative ist oder eine Gruppe noch zuzulegen hat, zumal der Machtapparat die Oberhand wieder zurückgewonnen hat. Die Alternative heißt nicht: Power oder kleine Brötchen, kleckern oder klotzen, sondern ob die Guerilla einem politischen oder militärischen Konzept folgt. Eben deshalb ließ sich die Lorenz-Entführung nicht dadurch kopieren, daß lediglich das Faustpfand heraufgesetzt wurde. Die Initiative zu behalten, meint auch und gerade, unberechenbar zu bleiben, neue Widersprüche auszunutzen, also den Staat zu überraschen und ihn nicht mit Modellen zu konfrontieren, die er bereits kennt und auf die er sich hat einstellen können.
Was schließlich zählt, ist der faktische Erfolg. Hätte die Lorenz-Entführung einen anderen Ausgang genommen, würde sie heute voraussichtlich in einer Reihe mit späteren, fehlgeschlagenen Befreiungsversuchen gehandelt. Es wäre allerdings auch zu einfach, diese Ausrichtung der Linken am Erfolg allein deren Opportunismus anzulasten.
Vielmehr ist es der Anspruch der Guerilla selbst, an dem so ihre Praxis gemessen wird. Wenn wir behaupten, eine Antwort darauf zu sein, wie gesellschaftlich insgesamt unterlegene Kräfte gleichwohl an einer Perspektive von Sieg festhalten können, so ist es müßig, darüber zu lamentieren, daß uns unsere Rückschläge vorgehalten werden. Die Hoffnung auf Sieg, und nicht die Bestärkung des Bewußtseins der eigenen Unterlegenheit, ist die Kraft, die die Herrschenden wirklich fürchten.
Bleibt also die Frage, wie wir den Erfolg unserer bisherigen Praxis selbst bewerten. Wäre das Kriterium dafür das Ausmaß an tatsächlichen Niederlagen, die wir dem Staat bereitet haben, so könnten wir vorbehaltlos jener eingangs wiedergegebenen Kritik zustimmen, die der RZ ihre mangelnde »Effizienz« zum Vorwurf macht. In der Tat sind die messbaren Erfolge auf der Ebene der machtpolitischen Konfrontationen gering. Nur, daß wir diese Ebene bewußt auch kaum gesucht haben, weil wir zum jetzigen Zeitpunkt jeglichen Versuch des Kräftevergleichs für aussichtslos halten.
Unser Ziel ist und war die Verbreitung des bewaffneten Widerstandes, war und ist die Unterstützung eines Netzes autonomer Gruppen, die als bewaffnete Tendenz innerhalb der Bewegung in ihren Städten und Regionen aus sich heraus aktionsfähig sind, die dort mit den Methoden der Subversivität Widersprüche forcieren und auf den unteren Gliederungen des Machtgefüges intervenieren, die also das Handlungsarsenal der legalen Linken um ihre Möglichkeiten der Sabotage, der Bestrafung, der Gegenwehr, der Eroberung von Lebensmöglichkeiten erweitern. Es geht uns - platt gesagt - zunächst und vor allem um die Zersetzung des Fundamentes von Herrschaft, nämlich Ohnmacht, also um die Veränderung der Menschen und nicht darum »den Staat zu kippen«. Denn das Herz des Staates ist das Volk und sind nicht seine einzelnen Repräsentanten.
Ob wir in der Verfolgung dieses Zieles Fortschritte gemacht haben, läß sich nur unzureichend bemessen, weil der Maßstab dafür weder die Anzahl der Aktionen noch der bewirkte materielle, sondern der politische Schaden ist, der sich in einer langfristigen Verschiebung des Kräfteverhältnisses äußert. Und in dieser Hinsicht sind wir guter Dinge. Nicht umsonst kommt der Verfassungsschutz in seinem Jahresbericht zu dem Ergebnis, daß die Anzahl der Gruppen zugenommen habe, die aus der Illegalität heraus operierten. Nicht umsonst ist die Anschlagstafel seit dem Herbst 77 unvermindert fortgeschrieben worden, wo doch allgemein erwartet wurde, daß der Guerilla auf Dauer der Garaus bereitet worden sei. Nicht umsonst zeichnet sich in der neuen Jugendbewegung [31] eine hoffnungsvolle Verquickung von Massenmilitanz und subversiven Aktionsformen ab. Sind dies nicht Anzeichen dafür, daß es gelungen ist, dem bewaffneten Widerstand eine - wenn auch schmale - Basis in diesem Land zu verschaffen ? Dieser Tendenz werden wir mit Kräften Vorschub leisten.
Das ist eine Hoffnung, keine Erfolgsgarantie. Wer die fehlende unmittelbare »Effizienz« bemängelt, die sich am greifbaren Resultat bemißt, legt nicht nur eine andere Elle an als wir, sondern spekuliert darüber hinaus darauf, daß sich die persönliche Investition kurzfristig und individuell rentiert, begreift Widerstand als notwendiges Opfer und nicht als Lebensmöglichkeit innerhalb einer Kultur, deren Ideal die Ausschaltung alles Lebenden im weitesten Sinne ist.
Das individuelle Risiko ist kein Tauschpfand, worauf sich die »Früchte« der Revolution einklagen lassen. Wenn wir uns gegen die kapitalistischen Bestimmungen des historischen Prozesses stemmen, so deshalb, weil wir damit die Möglichkeit einer Alternative verbinden. Eine Gewißheit haben wir ebenso wenig wie all die abertausende von Menschen vor uns, die im Kampf für ein menschenwürdiges Leben ins Exil vertrieben, eingelocht oder umgebracht worden sind, ohne ihr Ziel erreicht zu haben.
»Es gibt keine Notwendigkeit des Sieges der Revolution. Es ist eine Möglichkeit, eine Chance. Die kann scheitern und dann kann Barbarei herauskommen. Damit ist gemeint, daß die Geschichte eine offene Tendenz hat, wo also nichts sicher ist, sondern erst von uns sicher gemacht werden muß.« (der frühe Rudi [32]).
Jedes Herz ist eine Zeitbombe
Frauen haben zu jeder Zeit in bewaffneten Gruppen gekämpft, ihr Anteil am Kampf wurde aber meistens unterschlagen.
Aber die Zeiten ändern sich, inzwischen ist der Anteil der Frauen in der Guerilla so groß geworden, daß dieser Mechanismus nicht mehr funktioniert.
Aufgehoben ist auch die Arbeitsteilung, daß Frauen die Aufgaben der Infrastruktur übernehmen, Männer die Aktionen machen.
Subversive Frauengruppen wie die Rote Zora gibt es zwar noch wenige, aber auch das wird sich ändern!
Wir wollen aber nicht nur eigene Aktionen machen, sondern auch unsere Sichtweise der versteinerten Verhältnisse, in denen wir leben müssen, beschreiben - auch wenn uns dies nicht leicht fällt.
Klarheit wollen wir uns vor allem über zwei Punkte verschaffen:
1) Wie funktioniert der Mechanismus der imperialistischen Frauenunterdrückung hier und in den Ländern der 3. Welt? Bei dieser Frage mußten wir feststellen, daß Analysen des Imperialismus sich meist darauf beschränkten, die politischen, ökonomischen und militärischen Machtstrukturen des Imperialismus zu untersuchen, vernachlässigt wird die Analyse der Strategie gegenüber den Frauen hier und in der 3. Welt.
Uns reicht es nicht aus zu sagen: Aus der Analyse des Imperialismus ergibt sich das Angriffsziel Nato und indem wir Frauen die Nato angreifen, bekommt der Frauenkampf seine revolutionäre Stoßrichtung.
Der Befreiungskampf besteht bei dieser Sichtweise wieder nur im Angriff auf die zentralen Machtstrukturen des Imperialismus; die alltäglichen Gewaltverhältnise, in denen Zerstörung, Unterdrückung und Ausbeutung erfahrbar wird, werden ausgeklammert. Für uns ist es auch ein Stück Befreiung, ein Gefühl von Lebendigkeit und Stärke, wenn wir einem schweinischen Hausbesitzer oder seinen Handlangern, der Atommafia usw. ein bißchen Feuer unterm Arsch machen. Probleme haben wir damit, daß wir mehr wollen, als wir im Moment praktisch machen können.
Aber auch das wird sich ändern!!
Dazu kommt, daß die Aktionen gegen die Alltagsgewalt schon jetzt verständlich sind, zwar nicht von der Mehrheit, aber all denen, die sich das Gehirn nicht haben klauen lassen. Angriffe gegen zentrale/staatliche Machtstrukturen haben es da schwerer. Sie müssen genau geplant und überlegt werden, damit die politische Richtung klar wird.
Grundsätzlich denken wir, daß es nicht das »Angriffsziel« gibt, das den Staat »kippen« kann. Die Chance einer revolutionären Bewegung liegt vielmehr im Angriff auf die gesamten staatlich verordneten Lebensverhältnisse, der Angriff auf zentrale/staatliche Institutionen ist nur ein Teil davon. Es ist auch illusionär - besser dogmatisch - alle revolutionären Ansprüche in eine Aktion, ein Angriffsziel zu packen. Vielmehr ist die Organisierung einer Kontinuität in bewaffneten Gruppen der Weg, der eine Perspektive von Hoffnung und Sieg eröffnet.
Ein anderer Punkt, über den wir nachgedacht haben, ist die Frauenbewegung. Wir wollen genauer herausfinden, warum die Frauenbewegung ihre revolutionäre Sprengkraft verloren hat und ihren Weg in die »neue Innerlichkeit« gegangen ist.
»Es gibt nicht den einen und reinen Frauenkampf, sondern viele Formen von Frauenkämpfen und in jedem einzelnen sind immer mehrere Elemente in Bewegung, neben der Geschlechterfrage die Klassenlage, die Nationalität, die konkrete Situation.«
Auch wenn es heute in Vergessenheit geraten ist, hat die Anschauung des US-Rassismus der Frauenbewegung geholfen, ihre eigene Unterdrückung als Sexismus zu identifizieren.
Stokley Carmichael [33] hat einmal von der Bedeutung der Definitionen gesprochen. [34] Er hat dazu » Alice im Wunderland« [35] zitiert; in diesem Buch gibt es eine Diskussion zwischen Humpty Dumpty und Alice über Definitionen:
»Wenn ich ein Wort verwende,« sagte Humpty Dumpty, ziemlich von oben herab, »dann hat es genau die Bedeutung, die ich ihm gebe. Nicht mehr und nicht weniger.« »Die Frage ist«, sagt Alice, »ob du den Wörtern die Bedeutung von so vielen verschiedenen Dingen geben kannst.« »Die Frage ist«, sagte Humpty Dumpty, »wer der Herr sein soll. Das ist alles.«
Es ist tatsächlich die entscheidende Frage, wer der Herr sein soll. Schon, daß es unmöglich erscheint zu sagen, »wer die Frau sein soll«, zeigt, daß die weißen Herren es waren und sind, die den Menschen und Dingen ihre Bedeutung geben.
So ist die Geschichte Europas und Amerikas von weißen Männern geschrieben. Sie haben definiert, was die Farbigen und Frauen dieser Welt sind. Die Bedeutung, die sie sowohl Frauen als auch Farbigen gaben, war die von »ungebildeten Naturwesen«. Damit wurde die Herrschaft der weißen Männer legitimiert. Frauen und Farbige müssen »zivilisiert« werden, was nichts anderes heißt, als Zerstörung aller Formen eines eigenständigen Bewußtseins, das sich zum Beispiel in einer eigenen Geschichte und Kultur ausdrückt. Und wenn die Frauen und Farbigen die »Segnungen« der westlichen Männerkultur nicht akzeptieren wollten, sich wehrten, wurden sie erbarmungslos abgeschlachtet. So in Europa die Frauen zur Zeit der Hexenverfolgung und heute die Indianer in Südamerika.
Sexismus und Rassismus als integralen Bestandteil des patriarchalen Herrschaftssystems zu begreifen, verbleibt oft im Stadium des »frommen Lippenbekenntnisses«. So wird in den gängigen Imperialismusanalysen der Sexismus als Herrschaft- und Spaltungsmittel kaum erwähnt. Wenn wir jetzt über Sexismus und - als Teil davon - über die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung schreiben, dann nicht, um uns als Frauen auch zu Wort zu melden, sondern aus der Erkenntnis heraus, daß ohne die konkrete Untersuchung des Sexismus die Verhältnisse in der 3. Welt und in den Metropolen und auch die Frauenbewegung nicht begriffen werden können.
Die Frauenunterdrückung ist älter als der Kapitalismus, das ist nichts »Neues«. Eine ihrer Wurzeln liegt darin, daß die Fähigkeit der Frauen, Kinder zu bekommen, als eine Funktion ihrer Physiologie, ihrer Natur gesehen wurde und wird. Kinder zu bekommen oder nicht, wird nicht als bewußter Akt verstanden - als Interaktion mit der Natur - sondern als Natur selber. Als bewußte Auseinandersetzung mit der Natur - und damit als Arbeit - werden nur die Tätigkeiten des Kopfes und der Hände gesehen und nicht die der Brust und des Uterus der Frau.
Diese Sichtweise hat auch die marxistische Theorie nicht aufgehoben. Entsprechend dieser Sichtweise wird mit der sogenannten biologischen Natur der Frau umgegangen wie mit einer Naturressource. Sie wird je nach ökonomischen Bedürfnissen unterschiedlich ausgebeutet. In der 3. Welt werden die Frauen zwangssterilisiert, in den Metropolen werden ihnen materielle Versprechungen gemacht, um sie zum Kinderkriegen zu animieren. Abtreibung wird als Massenmord bezeichnet. Das ökonomische Moment der Ausbeutung der Gebärfähgikeit der Frauen wird ergänzt durch das rassistische. Das Gejammer und Geschrei in den Medien über sinkende Geburtenzahlen und die Gefahr des Aussterbens des »deutschen Volkes« zeigt klar, um was es geht: Nur »deutsche Frauen« sollen Kinder gebären, Frauen aus der Türkei, Spanien, Griechenland usw. wird Verhütung und Sterilisation empfohlen oder sogar verordnet.
Aber auch das reicht den HERR-schenden noch nicht, die Forschungen auf dem Gebiet der Retortenbabies und Genmanipulationen signalisieren den Versuch, den Frauen endgültig die alleinige Verfügung über die Fähigkeit, Kinder zu gebären, zu entreißen.
Die ausbeuterische, nicht reziproke Beziehung zur Natur, nach der zuerst Frauen, später andere Klassen und Völker zu Natur gemacht wurden, ist das Charakteristikum aller männlichen Produktionsweisen - einschließlich des Kapitalismus. Diese ausbeuterische Beziehung zur Natur hat uns heute nahe an die ökologische Katastrophe gebracht.
Hierauf aufbauend hat sich die geschlechtliche und rassistische Arbeitsteilung entwickelt, die die Prodkutionsverhältnisse gefestigt hat, in denen Zuckerrohrpflanzen und Reispflanzen keine Arbeit für Weiße , Hausarbeit keine Arbeit für Männer ist und wenn Frauen und Kinder geschlagen werden, so ist das keine Gewalt.
Diese Arbeitsteilung ist aber auch kein Überbauphänomen, sie gründet sich nicht auf falschen Ideen und Gedanken, die frau/mann nur erkennen muß, um sie dann zu verändern, sie ist ökonomische Grundlage der Überausbeutung durch den Kapitalismus.
In allen ernsthaften Imperialismusanalysen haben wir gelesen, daß es in der 3. Welt ein Nebeneinander von rückständigen, nur vorkapitalistischen Produktionsweisen und hochmonopolisierten gibt. Anhand der konkreten Entwicklung wurde herausgefunden, daß mit zunehmender kapitalistischer Entwicklung diese »rückständigen« Produktionsweisen nicht verschwinden. Genau das Gegenteil ist passiert, sie wurden und werden ständig neu produziert. Aufgefallen ist uns, daß das Problem der Heterogenität von Produktionsweisen fast nur für die 3. Welt untersucht wurde, in den Metropolen aber homogene Produktionsweisen angenommen werden.
»Von der anderen Seite her gesehen verwundert auch, warum die Frage der Heterogenität für die erste Welt nicht gestellt wird. Hier herrschen angeblich nur homogene Produktionsverhältnisse. Diese Behauptung ist nicht nur eurozentristisch und kapitalismusverherrlichend ... sie ist auch sexistisch, weil sie verschleiert, ja geradezu leugnet, daß auch bei uns Arbeitskraft überausgebeutet, also unter ihren Reproduktionskosten entlohnt wird, ja die Hälfte aller geleisteten Arbeitsstunden - Hausarbeit - überhaupt nicht entlohnt wird.« (C. von Werlhoff [36]).
Hier wird schon angesprochen, wer die nichtkapitalistischen Produzenten sind, die Waren nicht für Lohn produzieren,
- es sind dies die Hausfrauen der ganzen Welt,
- die Subsistenzbauern in der 3. Welt
- männliche und weibliche Marginalisierte, vornehmlich in der 3. Welt.
Sie sind ist, die den Mehrwert realisieren, wie Rosa Luxemburg schreibt: »Das Entscheidende ist, daß der Mehrwert weder durch Arbeiter noch durch Kapitalisten realisiert werden kann, sondern durch Gesellschaftsschichten, die selbst nichtkapitalistisch produzieren«.
Uns ist an diesen Fakten klar geworden, daß Sexismus und Rassismus keine Sache des Kopfes, des falschen Bewußtseins ist, das sich durch Aufklärung und guten Willen verändern läßt. Es sind die ökonomischen Verhältnisse, die Sexismus und Rassismus immer wieder neu produzieren. Sie sind notwendig, damit Imperialismus überhaupt funktionieren kann. Daß sie auf der anderen Seite auch als politisches Instrument der Spaltung der Unterdrückten benutzt werden, spricht nicht dagegen. Imperialismus ist das Stadium des Kapitalismus, in dem die »Rationalität« der kapitalistischen Produktionsweise - Menschen zu brauchen, um ihre Arbeitskraft ausbeuten zu können - nur noch für wenige in der 3. Welt Geltung hat. Die Mehrheit der Menschen dort wird ausgepresst, ohne Rücksicht auf Gesundheit und Lebensdauer - und wenn es zuviele sind, ist die Strategie: Vernichtung.
Die Barbarei ist keine Zukunftsvision, wir befinden uns bereits in diesem Stadium.
In den Metropolen sind die Gewaltverhältnisse verschleierter. Bestimmend ist hier noch die ökonomische Zwangsgewalt des Kapitalismus, die sich als verrechtliche Gewalt bereits in den Köpfen der Menschen festgesetzt hat. Die direkte physische Zwangsgewalt durch den Staat mit seinen Repressionsorganen gewinnt aber bei den sich abzeichnenden sozialen Konflikten an Bedeutung. Allgemein ist festzustellen, daß die Ausbreitung des Kapitalismus auch in den Metropolen nicht zu einer Ersetzung der direkten Gewaltformen durch eine andere, sondern zu einer Zunahme von Gewalt überhaupt geführt hat.
Die Frauen sind allen Ebenen der Gewalt ausgesetzt, der indirekten, strukturellen Gewaltförmigkeit dieses Gesellschaftssystems, das alle Lebensmöglichkeiten erstarren läßt und dem brutalen direkten persönlichen Gewaltverhältnis durch den Mann. In den letzten Jahren ist ein Ansteigen von Gewaltdelikten gegen Frauen in den Ländern festgestellt worden, wo formal, sozial und rechtlich Gleichberechtigung vertreten wird.
Offene Gewaltanwendung von Männern gegenüber Frauen ist durch die Arbeit der Frauenhäuser und Notrufgruppen in den letzten Jahren in ihrem Ausmaß öffentlicher geworden. Frauen erfahren ist Gewalt tagtäglich, in den verschiedenen Formen und Abstufungen, sie werden gedemütigt, erniedrigt, geschlagen, vergewaltigt. In der BRD wird alle 15 Minuten eine Frau vergewaltigt ! 50 % der Frauen werden von Männern vergewaltigt, die sie kennen. Jedes Jahr werden in der BRD 4 Millionen Frauen von ihren Männern mißhandelt! Bestimmendes Moment der Gewaltstrukturen sind die Frauenmißhandlungen in der Familie, Vergewaltigung, Vergewaltigungsdrohung und die Ästhetisierung von Gewalt gegen Frauen in Medien, Werbung und Kulturindustrie.
Gewalt gegen Frauen nicht als Ausnahme, sondern als durchgängiges HERR-schaftsprinzip zu begreifen, hat zu der Erkenntnis geführt, daß der Kampf gegen persönlich erfahrene sexistische Gewalt nicht zu trennen ist vom Kampf gegen jede Gewalt des Systems. Die Zunahme physischer Gewalttätigkeit ist allgemein gesellschaftlich festzustellen, mit zunehmendem Sinnverlust des Lebens und der Anonymität der Verhältnisse und findet in der gesellschaftlichen Rolle der Frau ihr Opfer. Die Deckung dieser Gewalt durch Polizei und Justiz verdeutlicht die Einbettung dieses Gewaltverhältnisses zwischen Mann und Frau über Ehe und Familie in das System patriarchaler Herrschaftssicherung. Gleichzeitig wird die Instabilität des Systems durch die Zunahme offener Gewalt signalisiert. Der Widerspruch zwischen dem Anspruch der völligen Gleichstellung der Frau und der Notwendigkeit ihrer handgreiflichen Unterdrückung zur Sicherung der HERR-schaft ist für dieses System ein unlösbarer Widerspruch.
Frauen leben im »Exil«, denn die gesellschaftsorganisierenden Institutionen wie Regierungssystem, Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur, Medien, Kirche, Polizei und Militär werden von Männern beherrscht und geprägt. Sie sind vom Prinzip der Hierarchie, der Macht und des Kampfes um die Macht bestimmt. Folglich sind auch die Männer von Herrschaft, Gewalt und Unterdrückung betroffen. Sie müssen sich diesen Prinzipien unterordnen, wenn die Vorherrschaft des »HERR-lichen« erhalten werden soll. Unsere Unterdrückung geht darüber hinaus. Frauen werden in einer patriarchalen Gesellschaft immer und überall unterdrückt und mit Gewalt konfrontiert, offen oder verschleiert.
Frauen neigen dazu, einer offenen Konfrontation mit der Macht und der Gewalt auszuweichen, solange es geht - im Exil bleibend. Eine Überlebenstechnik - aber auch eine Opferhaltung. Diese Opferhaltung führt dazu, sich der Verantwortung für gesellschaftliche Zustände zu entziehen, daran mitschuldig zu werden. So ist die Tatsache, daß Frauen Gewalt erfahren, keine Entschuldigung dafür, daß sie diese Gewalt weitergeben an ihre Kinder.
Die Verinnerlichung des Frauseins als effektivste Form der Herrschaftssicherung läuft über subtile Formen der Verhinderung von Selbstbewußtwerdung durch Erziehung, Moral, Liebe, die Normen setzen und Anpassung erzwingen. Macht wird gesicherter ausgeübt über nichtoffene Formen, so daß Frauen auch ohne Anwendung äußerer Gewalt ihre gesellschaftlichen Funktionen übernehmen und ertragen, sich mit ihnen identifizieren. So führt die Situation der Frau eher zur Aufgabe der Identität, zur Selbstzerstörung als zum Kampf gegen ihre Unterdrückung.
Die Frauenbewegung machte die persönliche Unterdrückungssituation zum Ausgangspunkt ihrer politischen Praxis. Die Trennung zwischen Privat und Politik konnte aufgehoben werden. Persönliches war politisch und das Politische wurde persönlich umgesetzt. Revolutionäre Sprengkraft lag in dem Bewußtsein der direkten Verbindung zwischen der Abschaffung des persönlichen Leidens und der Notwendigkeit einer sozialen Umwälzung. Die Vorstellung einer radikalen sozialen Veränderung - viel radikaler in ihrem Angriff auf die grundlegenden Institutionen dieser Gesellschaft und viel umwälzender in der Veränderung des Bewußtseins aller Menschen als alle vorhergehenden Revolutionen - erzeugte eine starke Kraft bei den Frauen.
Neue Formen und Inhalte führten zur Ablösung von der allgemeinen linken Bewegung, zur organisatorischen Autonomie der Frauenbewegung.
Die Autonomie hat wichtige Prozesse eingeleitet, Wertstrukturen der Männergesellschaft in Frage zu stellen, keine Perspektive innerhalb gesellschaftlicher Machtgefüge zu suchen, nicht über Partizipation an der Macht Einfluß ausüben zu wollen, Frauenbefreiung nicht über die Männerrolle zu definieren. Das hat dazu geführt, sich Freiräume zu schaffen, um patriarchalen Strukturen zu entfliehen. Das war und ist wichtig, weil keine Bewegung so sehr gegen die eigenen Identifizierung mit dem Unterdrücker ankämpfen muß wie die Frauenbewegung !
Im Angriff auf alle Strukturen entstand die Hoffnung, nicht integrierbar zu sein und schon im Kern den revolutionären Umsturz in sich zu tragen und zu entwickeln. Aufgrund der Überbetonung der subjektiven Erfahrung, die auch Folge der Tabuisierung in den linken Gruppen war und der Schwierigkeit, die Erkenntnis der persönlichen Unterdrückung in direkte Widerstandshandlungen umzusetzen, wurde aus der Politik der Subjektivität eine »Innerlichkeit«: persönliche Veränderung ohne Änderung der Gesellschaft.
Begünstigt wurde der Weg in eine neue »Innerlichkeit« durch die Klassenlage vieler Frauen in der Frauenbewegung. Für Frauen mit einer »guten« Berufsausbildung gab und gibt es reale Möglichkeiten, eine Nische in dieser Gesellschaft zu finden und das kleine subjektive »Glück« zu suchen. Da die Ohnmacht gegenüber den gesellschaftlichen Verhältnissen aber nicht aufgehoben wird, erweist sich dieser Weg als Sackgasse. Der Sehnsucht nach »Glück« wird hinterher gejagt, ohne es zu erreichen.
Nach der Kampagne gegen den § 218 entwickelte sich Widerstand in der Frauenbewegung fast ausschließlich an dem Punkt der Konfrontation mit dem einzelnen Mann. Es bildeten sich Selbstverteidigungsgruppen, Notrufgruppen gegen Vergewaltigung und vor allem die Frauenhäuser. Die staatliche Repression wurde zwar analysiert und beschrieben, es wurde sich aber kaum politisch zu ihr verhalten.
Die beiden Frauenkongresse 1978 »Frauen und Repression« in Frankfurt und »Gewalt gegen Frauen« in Köln verdeutlichten das Dilemma der Frauenbewegung. Das Nebeneinander von zwei Erfahrungen
- Gewalt als alltäglicher Angriff
- Gewalt als zielgerichtete Unterdrückung durch den Staat
wurden nicht miteinander vermittelt. Der Verzicht auf die Herstellung des Zusammenhangs zwischen kapitalistischer und geschlechtlicher Unterdrückung, der Verzicht zu analysieren, wer der HERR ist, führte dazu, daß in den »Selbsthilfeprojekten« (Frauenhaus, Notrufgruppen, Frauenzentren) eine Tendenz entstand, nur noch die Not der Frauen zu lindern. In dem Moment, wo Frauen sich darauf beschränken, das Elend der Frauen zu beheben, ohne die gesellschaftlichen Ursachen auf- und anzugreifen, entfällt die Gegnerschaft zum Staat, gibt es keine Garantie für Unbestechlichkeit, passiert es, daß die Radikalität gegenüber dem männlichen Geschlecht bei der Polizei aufhört. Verhandlungen mit den Bullen, dem Justizapparat, um der geschlagenen Frau zu helfen und den Vergewaltiger zu strafen, können die mangelnde Stärke nicht ersetzen und verkommen zur Komplizenschaft mit dem Staat. Und genau an diesem Punkt konnten die massiven Integrationsversuche des Staates ihre Wirksamkeit entfalten. Ziel der Integrationsversuche war und ist die Zerstörung der revolutionären Sprengkraft der Frauenbewegung, indem Frauen zu schlecht bezahlten Verwalterinnen des Elends funktionalisiert werden sollen.
Eine ähnliche Widersprüchlichkeit stellt sich im Bereich der Frauen/Lesbenkultur. Die persönliche Radikalität, mit der viele lesbische Frauen mit dem männlichen Geschlecht gebrochen haben - was sich auch in einer neuen blühenden Kreativität im Bereich des Theaters, Musik, Literatur und Malerei, in einer neu beginnenden Frauenkultur niederschlug - hat sie nicht davor bewahrt, Teil einer staatlich geduldeten Subkultur zu werden. Lesbische Träume sind zwar radikale Träume, finden aber hier in der Metropole einen Platz.
Für eine priviligierte Minderheit, die den Willen zum gesellschaften Handeln und damit die Hoffnung auf Befreiung für alle Frauen aufgibt, wird das autonome Frauenprojekt zur Illusion der Erreichung des persönlichen Glücks.
Die inhaltliche und organisatorische Autonomie der Frauenbewegung ist heute da festzustellen, wo ihre gesellschaftliche »Ausgrenzung« erfolgt ist. Es gibt keinen ursächlichen Zusammenhang zwischen Autonomie und Ausgrenzung. Die Autonomie der Bewegung kann und muß entwickelt werden, ohne Frauenpolitik auf frauenspezifische Probleme zu reduzieren, mit Selbsthilfeprojekten, die aber Provokation und nicht Vermeidung der Konfrontation zum Ziel haben, die gesellschaftliche Spielregeln brechen und keine funktionierenden Rädchen werden.
In der letzten Zeit äußern immer mehr Frauen ihre Unzufriedenheit über das politische Exil der Frauen/Lesben-Bewegung, durchbrechen die »Glasglocken« der Fraueninseln und versuchen, feministische Positionen und eine Praxis zu den Fragen der ökologischen Zerstörung z.B. durch Atomkraft, Chemie usw., gegen die Militarisierung und zum Problem des Internationalismus/3. Welt zu entwickeln.
Für uns ist es klar, daß der Frauenkampf nicht auf die Organisierung von Subversivität und Gegengewalt verzichten kann. Die Frauenbewegung hat schon allzu lange Analysen darüber geschrieben, daß Frauen dazu erzogen werden, Gewalt zu erleiden, aber nicht, sich zu wehren. Frauen werden darauf abgerichtet, sich in ihrer Ohnmacht einzurichten und die psychischen Zerstörungen, die dieses System anrichtet, mit ihrer Emotionalität zuzukleistern. Das Mitgefühl von Frauen gegenüber den Unterdrückten ist stark entwickelt, nicht entwickelt ist der Haß auf die Unterdrücker, die Feinde. Haß hat etwas mit Zerstörung zu tun und Zerstörung macht Frauen Angst. Bei der Beschreibung dieses Zustandes stehenzubleiben, heißt nichts anderes, als den Zustand der Ohnmacht zu akzeptieren, die Frauenrolle anzunehmen, die diese Gesellschaft anbietet. Die These von den »friedliebenden Frauen« ist dann Legitimation für das Verharren im Zustand des Opfers.
Ohnmacht ist die Tarnkappe der Feigheit
Aber jede Frau, die schon einen Stein geworfen hat, die auf Anmache von Männern nicht mit Rückzug reagiert, sondern zurückgeschlagen hat, wird unser Gefühl von Befreiung nachvollziehen können, daß wir hatten, als wir Sexshops zerstörten oder eine Bombe anläßlich des Urteils zum § 218 vor dem Bundesverfassungsgericht zündeten.
Befreiung hat in unserer Gesellschaft etwas mit Zerstörung zu tun. Zerstörung der Strukturen, die uns an die Frauenrolle ketten wollen. Und diese Strukturen lassen sich nur zerstören, wenn wir die Verhältnisse, die uns kaputtmachen wollen, angreifen. Angreifen in den vielfältigsten Formen, aber immer verbunden mit unserem unversöhnlichen Haß auf diese Gesellschaft. Die bewaffnete Form des Angriffs ist für uns ein unverzichtbarer Teil des Frauenkampfes. Diese Position ist - wie wir beschrieben haben - in der Frauenbewegung kaum entwickelt. Deshalb haben wir uns gemeinsam mit Männern in der Guerilla organisiert. Aber auch hier kommt es nicht zu einer Auflösung des Widerspruchs zwischen Geschlechterkampf und Klassenkampf. Unser Status als autonome Frauengruppe in den RZ ist bestimmt von der jetzigen politischen Situation der Frauen, die gekennzeichnet ist durch eine inhaltliche Schwäche der Frauenbewegung und eine sich mehr am Anfang befindende Organisierung von Militanz durch Frauen.
Wir sind keine zusätzliche Kampffront, mit der sich Organisationen schmücken können; wir sind nicht die Lösung des grundsätzlichen Problems, sondern ein Weg. Unser feministischer Weg bestimmt sich aus den politischen Perspektiven der Frauenbewegung, den internationalen revolutionären Kämpfen und nicht nur aus uns heraus.
Antiimperialistischer Kampf bleibt notwendig!
Das System der weltweiten imperialistischen Machtstrukturen ist schon oft - auch von uns - analysiert worden. Wir wissen um die Macht der supranationalen ökonomischen und militärischen Organisationen, die unter Vorherrschaft des US-Imperialismus und seines Juniorpartners BRD die Ausplünderung der 3. Welt immer weiter treibt.
An erster Stelle steht hier der IWF (Internationaler Währungs-Fond), der nach dem »Spiegel« zum »internationalen Wirtschaftspolizisten« geworden ist. Es entscheiden nicht mehr die nationalen Parlamente über die ökonomische Entwicklung eines Landes, sondern der IWF.
So sitzen in Zaire [37] IWF-Kontrolleure mit umfassenden Vollmachten in der Zentralbank und im Finanzministerium. Die Türkei wurde durch Verweigerung von IWF-Krediten an den Rand des wirtschaftlichen Ruins getrieben und so dem Militärputsch [38] der Weg geebnet.
Die räuberischen Brüder des IWF sind nicht besser: Die Weltbank mit Ex-US-Verteidigungsminister McNamara an der Spitze, die ICR (Internationale Entwicklungs-Assoziation) und die IDR (Internationale Finanz-Vereinigung), die Kredite nur an Privatunternehmen vergibt. Die IDR ist unmittelbar verantworlich für die Hungerkatastrophe in Äthiopien (1973), die 100.000 Menschen umbrachte.
Wir kennen die Methoden, die dem transnationalen Kapital nach der Krise 1973 wieder neue, optimale Verwertungsbedingungen schaffen sollen: die neue internationale Arbeitsteilung. Die 3. Welt wird nicht mehr nur als billiger Rohstofflieferant eingeschätzt, sondern als Reservoir billiger, disponibler Arbeitskräfte. Arbeitsintensive Produktionsanlagen - vor allem Chemie, Elektronik, Texil und Automobil - werden in sogenannte Billiglohnländer verlegt, um so dem Kapital Maximalprofite zu ermöglichen. Diese neue Arbeitsteilung ist nicht nur international, sie ist gleichzeitig geschlechtsspezifisch und rassistisch. So sind in den multinationalen Unternehmen mindestens die Hälfte der Arbeiter Frauen.
»Wenn die Waren in unserem Alltag eine Stimme hätten und ihre Geschichte berichten würden, würden wir nichts Märchenhaftes hören, sondern etwa folgendes:
Indienhemd: eine Hausfrau in Indien hat in Heimarbeit 2 Tage an mir gestickt und dafür 2 Mark bekommen.
Fernseher: meine Einzelteile sind von Frauen in Südkorea zusammengesetzt worden. Für einen 10- bis 12-Stundentag und dies 6 oder 7 Tage die Woche, bekommen sie einen Lohn von 9 bis höchstens 18 Mark. Aber schon nach drei, vier Jahren können sie nur noch schlecht sehen. In Hongkong grüßt frau/mann in der Elektroindustrie Arbeiterinnen unter 25 Jahren mit •Hallo Oma, wo hast du deine Brille gelassen?«
Wir wissen um den Versuch es US-Imperialismus, sich mit der Trilateralen Kommmission ein neues politisches Instrument zu schaffen, das keiner nationalen Kontrolle mehr unterliegt. Aufgabe dieser Kommission ist es, zu einer abgestimmten Politik zwischen den USA, Japan und Europa gegenüber der OPEC [39], den Befreiungsbewegungen in der 3. Welt und den sich zuspitzenden Widersprüchen in den Metropolen zu kommen.
Wir konnten in der letzten Zeit sehr genau beobachten, daß die Strategie der »Grünen Revolution« [40] (Entwicklung in Abhängigkeit) wieder ersetzt wurde durch die Vorbereitung von Angriffskriegen - vor allem gegen die Länder im Nahen Osten.
Wir wissen um die mörderische Macht der NATO, die unter Vorherrschaft der USA dieses Land mit Atomsprengköpfen gespickt hat und so die totale Vernichtung jederzeit möglich macht.
Unterdrückte und Komplizen
Wir erleben in der BRD täglich den fortschreitenden Prozeß der Einkreisung und Vernichtung aller Formen von Widerstand. Die Überwachung der Bevölkerung ist heute schon gegeben. Gegen die Liquidierung der Gefangenen aus den bewaffneten Gruppen ist nur noch vereinzelt Protest zu hören.
Die freiwillige Gleichschaltung der Medien ist seit 1977 ein fester Bestandteil einer Strategie, die in diesem Land jedem Widerstand den Garaus machen will.
Die überwältigende Macht der imperialistischen Kultur wird deutlich, wenn Menschen meinen, nicht mehr ohne Fernseher leben zu können.
»•Ich kenne die Macht des Fernsehens, aber ich nehme sie gern auf mich , sagte eine Frau in einem Film, der den Versuch zeigt, wie es zwei Familien geht, die vier Wochen ohne Fernsehen leben. Die andere Frau weinte in der 3. Woche ohne Fernsehen, weil sie meinte, ein Leben ohne Fernsehen nicht mehr ertragen zu können.«
Aber auch ohne daß frau/mann die Verflechtung der internationalen Machtstrukturen kennt, ist die Unmenschlichkeit dieses Systems identifizierbar. So ist in den Zeitungen zu lesen, daß rund eine Milliarde Menschen in Asien, Afrika, Lateinamerika hungern, daß 450 Millionen ständig an der Grenze zum Tode vegetieren. Allein ein Viertel der Bevölkerung Afrikas wird nicht satt. In der gleichen Zeitung gibt es dann sicher auch ein Rezept, wie der fettgewordene Westeuropäer seine überflüssigen Pfunde durch eine »Hunger-Diät« wieder verlieren kann.
Es drängt sich die Frage auf, warum diese Tatsachen keine mobilisierende Wirkung mehr haben wie zur Zeit des Vietnamkrieges. Ist die einzige Erklärung die Enttäuschung über die zum Staat gewordenen Befreiungsbewegungen in Cuba, Vietnam, Angola und heute Nicaragua [41], die die Träume einer »reinen« Revolution nicht erfüllten?
Wir denken, daß dieser Erklärungsversuch es sich sehr einfach macht. Gleiches ist zu einer Geschichtsschreibung zu sagen, die die Studentenbewegung posthum zu einer kulturrevolutionären Bewegung macht und den Antiimperialismus zur Nebensache erklärt.
Nicht mehr erinnert wird, was Antiimperialismus damals bedeutet hat; vergessen ist, daß wir einen Begriff der sublimen Unterdrückung in den Metropolen gerade an den Schandtaten des Imperialismus in der 3. Welt entwickelt haben.
Verdrängt wird, daß es einmal um mehr ging, als um »alternatives Leben« und »neue Sinnlichkeit«.
»Das Ziel ist nicht mehr die Abschaffung von Ausbeutung und Unterdrückung im Weltmaßstab, nicht also die militante und aggressive Konfrontation mit als falsch erkannten gesellschaftlichen Verhältnissen, sondern das Ziel ist ein Schonraum, eine Zuflucht, ein Reservat, gewissermaßen ein selbstgewähltes Ghetto, worin die Gesetze der Ökonomie dadurch außer Kraft gesetzt sind, daß es sich durch Subventionen, Unterstützungen, Schenkungen, Bettelei erhält.« (Pohrt)
Tabuisiert wird die Erkenntnis, daß wir auf der einen Seite Unterdrückte sind, aber gleichzeitig auch Komplizen der Unterdrückung in der 3. Welt. Daß jeder konkrete Kampf in den Metropolen immer in Gefahr steht, ein Kampf um Privilegien zu sein, die auf Kosten der 3. Welt gehen.
So läßt die politischen Ausrichtung der Anti-AKW-Bewegung sowohl auf die Bauplätze als auch auf die Gewaltlosigkeit die Vermutung zu, daß auch hier Privilegien im Spiel sind: die reine Umwelt für die Metropolen und den Dreck für die Länder der 3. Welt (vgl. zu unserer Einschätzung der Anti-AKW-Bewegung auch unseren Beitrag in der Autonomie Nr. 4/5).
Auch die Frauenbewegung bildet da keine Ausnahme: So ist in der westlichen Frauenbewegung eine breite Kampagne gegen die Beschneidung [42] der Frauen in der 3. Welt gelaufen. Überheblich und eurozentristisch war diese Kampagne dadurch, daß sie darauf verzichtete, die Lebensbedingungen der Frauen dort als imperialistische Herrschaft zu analysieren, die neben sexistischer Unterdrückung den Hunger als gezielte Methode der Vernichtung einsetzt. Die Klitoris-Beschneidung - die ohne Zweifel die brutalste Form sexistischer Unterdrückung ist - wird als Relikt einer »barbarischen Kultur« bekämpft, die es europäisch zu zivilisieren gilt.
Zweck der Analyse der imperialistischen Machtstrukturen ist, die Strategie des Imperialismus zu erkennen als das, was sie ist:
- physische Vernichtung in der 3. Welt durch Hunger, Ausbeutung und Militärintervention,
- psychische Verelendung und Ausbeutung in den Metropolen.
Ziel kann nicht sein, diese Analyse ohne Rückvermittlung auf die konkreten Widersprüche dieses Prozesses als revolutionäre Handlungsperspektive zu verstehen. Wir müssen uns statt dessen die Mühe machen, von der Abstraktion wieder zurückzugehen auf die konkreten Erscheinungen, auf die Besonderheiten der regionalen und nationalen Widersprüche, auf die nationalen und sozialen Kämpfe. Es ist deshalb ein verhängnisvoller Irrtum, wenn die RAF meint, sie bräuchte diesen Schritt zurück (vom Abstrakten wieder zum Konkreten) nicht zu machen, sondern statt dessen davon ausgeht, es sei ausreichend, den Menschen nur immer wieder zu erklären, daß physische und psychische Vernichtung der Inhalt des Imperialismus ist.
Jeder Angriff auf imperialistische Machtstrukturen findet nicht irgendwo im transnationalen Raum statt, sondern immer in einem konkreten Land mit seinen spezifischen Bedingungen.
Wenn Ziel der Aktion sein soll, »den Riß zwischen Gesellschaft und Staat zum Bruch zu machen«, dann ist zu fragen: welche Gesellschaft, mit welchen Menschen in dieser Gesellschaft, an welchen Widersprüchen soll das geschehen?
Das Beharren auf einem zentralen Widerspruch, der Hauptangriffspunkt ist, orientiert sich an einer dogmatischen Sichtweise, die z.B. nicht zur Kenntnis nehmen will, daß neben dem Klassenkampf zwischen Proletariat - das allerdings schon damals mehr zu verlieren hatte, als seine Ketten - und Kapital weitere Widersprüche sichtbar und zu lösen sind, die damals auch schon bestanden: wie die Befreiungsbewegungen und der Imperialismus als Überausbeutung der 3. Welt; die Frauenbewegung und die Überausbeutung und sexistische Unterdrückung der Frauen; die Ökologie-Bewegung und die Zerstörung der Lebensgrundlagen durch industrielle Technologie u.a.m.
Auch der Hinweis auf die Völker der 3. Welt bleibt abstrakt: welche Völker sind gemeint und wie führen die Menschen z.B. heute in El Salvador ihren Kampf?
Führen sie ihn nicht unter konkreten historischen und ökonomischen Bedingungen? Menschen machen ihre Geschichte nicht abstrakt in einem imaginären transnationalen Raum.
Gemeinsam ist der Feind, der in jedem radikal bis zum Ende durchgehaltenen Kampf sichtbar wird, das mörderische System des Imperialismus! Gemeinsam ist auch das Ziel: die weltweite Abschaffung der Herrschaft von Menschen über Menschen!
Dies schließt Aktionen ein, in denen unsere Unterstützung der Befreiungsbewegungen zum Ausdruck kommt: Entscheidend aber ist, ob es uns gelingt, die 3. Welt in verstehbarer Weise anwesend zu machen, in den sozialen Auseinandersetzungen hier.
Die BRD - eine US-Kolonie?
Im Zusammenhang mit der 1980 neu begonnen Diskussion über antiimperialistische Solidarität wollen wir noch zu zwei Aspekten Stellung nehmen: zu der Diskussion über das Verhältnis USA/BRD/Europa und zu der Auseinandersetzung über die Gefahr eines neuen Weltkrieges.
Die Einschätzung des Verhältnisses USA - BRD ist von eminenter Konsequenz für die eigene Orientierung. Wenn tatsächlich - wie es behauptet wird - die BRD nichts anders ist, als ein Satellit der USA, vergleichbar mit Südkorea, so hat dies zur Folge, daß entweder die Frage des Kampfes in der BRD beantwortet wird mit einem transnationalen Konzept oder aber in einer langfristigen Perspektive das Bündnis mit Teilen der einheimischen Bourgeoisie gesucht werden muß.
In der Tat existiert eine imperialistische Globalpolitik unter Hegemonie der USA, militärisch ausgedrückt durch die NATO, ökonomisch und entwicklungspolitisch durch den IWF und die Weltbank. Als stärkste imperialistische Macht sind die USA in der Lage, ihre Verbündeten zur Solidarität zu zwingen, wenn sie die Gesamtinteressen bedroht sehen: der Vietnamkrieg ist ein Beispiel. Unterhalb der Ebene der Globalpolitik gibt es zahlreiche Sonderinteressen, Konflikte, Bemühungen um eigenständige politische Lösungen.
Der ehemaligen EG-Kommissar Ralf Dahrendorf [43] nennt fünf wichtige Interessen der europäischen Außenpolitik (Zeit, 25.4.80):
- »Das europäische Währungssystem, als ein auf EG-Staaten beschränkter Ersatz für das mit der Krise zusammengebrochene Weltwährungssystem;
- militärische Aufwertung der EG-Staten in der NATO zur eigenständigen ízweiten Säule' neben den USA;
- die Abhängigkeit der EG-Staaten vom Rohstoffimport und vom Export ihrer Industrieprodukte hat zur Folge, daß die EG im Welthandel eine andere Position als die Supermächte vertritt und ein Arrangement höchstens mit Japan vorstellbar sei;
- die EG will die Nord-Süd-Entwicklungspolitik zwischen den Industriestaaten und den Ländern der 3. Welt vorantreiben und ihre Möglichkeiten ausnutzen, bevor eine stärkere internationale Klasenkampfsituation entsteht;
- in Westeuropa selbst sollen kriegerische Auseinandersetzungen vermieden werden.«
Damit ist ein Programm eigenständiger Politik der BRD und anderer europäischer Staaten angedeutet, das in vielen Fällen auch schon Realität geworden ist.
- Die Weltbank wird inzwischen durch die BRD mit 28 %, Schweiz mit 16 %, die USA mit 20 %, Japan und die OPEC-Länder mit jeweils 14 % finanziert.
Mit der Zunahme des europäischen Anteils haben sich die Darlehens- und Investitionsschwerpunkte verschoben: es sind nicht länger nur die lateinamerikanischen Militärdiktaturen und einige Länder, die sich in neokolonialer Abhängigkeit von den USA befinden - zunehmend erhalten auch afrikanische und osteuropäische Länder, mit denen die BRD und Frankreich kooperieren, Gelder der Weltbank.
- Die BRD stabilisiert in Europa die an der Peripherie befindlichen Länder mit finanziellen Krediten, Sozialdemokratisierung der oppositionellen Kräfte, Integration der Arbeiterbewegung in den Staat sowie den für die »innere Sicherheit« notwendigen Technologien. Die BRD war daran beteiligt, die überfälligen Diktaturen in Portugal, Spanien und Griechenland zu beseitigen und gleichzeitig die Entwicklung eines revolutionären Prozesses in diesen Ländern wie auch in Italien zu verhindern.
Ganz anders die Lateinamerika-Politik der USA. Sie vernachlässigt nach wie vor die Stabilisierung gesellschaftlicher Organismen (wie Parteien, Gewerkschaften usw.) und stützt sich im wesentlichen auf die Militärapparate. Putsch, Folter, Militärdiktaturen mit der Herrschaft der Geheimdienste, ökonomische Ausplünderung und Profittransfer in die USA sind die Kennzeichen dieser Politik.
- Der von den USA nach dem sowjetischen Einmarsch in Afghanistan [44] von der BRD geforderte Wirtschaftsboykott war so nicht realisierbar. Der Verzicht auf anstehende Großaufträge der UdSSR an die deutsche Stahlindustrie hätte für das Ruhrgebiet Massenarbeitslosigkeit und soziale Instabilität bedeutet. So war die Bundesregierung zwar mit dem Olympiaboykott [45] zu einer außenpolitischen Geste der Solidarität mit den USA bereit, nicht aber zu blinder, folgenschwerer Vasallentreue.
- Auch am Beispiel des von BRD und USA inszenierten Putsches in der Türkei läßt sich diese Linie in der BRD verfolgen. Allein im Jahr 1980 pumpte die BRD 300 Millionen Dollar (25 % der gesamten westlichen Hilfe) in das ausgepowerte Land, um die Demirel-Regierung zu stabilisieren und gleichzeitig Massenelend zu vermeiden. Die inneren Widersprüche in der Türkei eskalierten dennoch so schnell, daß die NATO putschen mußte, um ihre Süd-Ost-Flanke nicht zu gefährden. Wenn auch in diesem Fall nicht erfolgreich, zielt die BRD-Politik dennoch darauf, mit Hilfe von materiellen Zugeständnissen sozialen Konsens zu erreichen und möglichst diktatorische Lösungen zu vermeiden. Diese gilt auch für die Außenpolitik gegenüber Ländern der 3. Welt: »Dahinter steckt die Einsicht, daß die deutsche Außenpolitik nicht länger auf marode Regimes in der 3. Welt bauen darf, nur weil diese einen ípro-westlichen' Anspruch haben. Vielmehr setzen die Deutschen, anders als die Amerikaner, auf blockfreie Regierungen, auch wenn diese dem Westen nicht wohlsonnen sind. íWir erreichen', erläutert ein AA-Experte, ílangfristige Stabilität auf Kosten kurzfristiger Instabilität.'« (Spiegel, 4.8.80)
Krieg welchem Krieg?
Seit dem 6. Mai in Bremen [46] wird wieder über die Notwendigkeit antimilitaristischer Politik nachgedacht. Dabei werden teilweise aber wieder Fehler gemacht, die schon bei der Bewegung gegen die Remilitarisierung in den 50er Jahren und bei den Ostermärschen gegen den Atomtod in den 60ern zutage getreten sind.
Dennoch - schon damals traf diese Bewegung den Nerv. Der erste politische Mord in der Geschichte der BRD wurde 1953 von der westdeutschen Polizei an dem jungen Kommunisten Philipp Müller bei einer antimilitaristischen Demonstration in Essen begangen.
Damals wie heute setzt die Argumentation gegen die Bundeswehr, gegen die NATO an der diffusen Kriegsangst der Menschen an. Es ist nicht nur so, daß diese Angst nach 50 Jahren nationalsozialistischer und antikommunistischer Hetze allemal eine Angst vor den »Roten«, der Sowjetunion ist. Es ist auch eine lähmende, eine freiflutende Angst , die sich nicht mehr der Strukturen bewußt ist, aus denen sie entsteht.
In den Diskussionen dieses Jahres wurde immer wieder darauf hingewiesen, daß in den NATO-Konzeptionen die BRD im Kriegsfall der Zerstörung durch die Supermächte preisgegeben wird. An der Tatsache dieser Planungen wurde versucht, die Angst vor dem Schlachtfeld BRD zu mobilisieren.
Dies ist nicht nur problematisch, weil damit diffuse, antikommunistische Paranoia beschworen wird. Es ist falsch, weil die aktuelle Kriegsgefahr sich auf andere Regionen der Welt bezieht - vor allem Naher Osten, Afrika, Vorderasien. Es wird so getan, als sei die BRD abstrakt verfügbares Aufmarsch- und Raketenaufschlagsgebiet, wo es doch viel mehr darauf ankommt, die aktive Beteiligung und Unterstützung der BRD bei den Vorbereitungen zu neuen imperialistischen Raubkriegen zu denunzieren.
In der Fixierung auf die Zunahme der »Spannungen« in Europa und der Verhärtungen der Ost-West-Beziehungen erscheint auf ein Neues der eurozentristische Kopf, der die dunklen Befürchtungen vor dem möglichen Übermorgen immer noch wichtiger nimmt als die Realität der Kriege, die heute bereits in der 3. Welt geführt werden oder unmittelbar bevorstehen.
Eine ziellose Angstmacherei kann leicht zur Kehrseite der von oben betriebenen ideologischen Militarisierung werden. Deshalb ist es doppelt wichtig, die Ziele der Nachrüstungs- und Aufrüstungsbeschlüsse der NATO zu begreifen, um daraus eigene Handlungsmöglichkeiten abzuleiten.
Die dümmliche Halsstarrigkeit von SPD-Apel bei der Zelebrierung der Vereidigungsrituale hat uns in diesem Jahr die willkommenen Anlässe für die Auseinandersetzung präsentiert. Ein wenigstens durchschnittlich intelligenter Minister, ohne Wahlkampf, ohne Angst, sein Gesicht zu verlieren, hätte die Vereidigungen abgesagt.
Damit wäre aber die Entstehung des neuen antimilitaristischen Bewußtseins bei den Jugendlichen, in der Frauen- und der Öko-Bewegung und den immer noch mitmarschierenden Altlinken sehr viel schwieriger gewesen.
Die USA entwickelten seit 1978 eine neue »Eindämmungsstrategie« gegenüber der UdSSR. Durch eine Veränderung des strategischen Gleichgewichts soll die UdSSR in eine kostenintensive Rüstungspolitik hineingetrieben werden. Politisch zielt dies auf zweierlei ab:
- im sowjetischen Machtbereich wird bei zunehmenden sozialen und politischen Spannungen (z.B. Polen) der Spielraum für materielle Zugeständnisse an die Bevölkerung eingeengt und die Situation weiter eskaliert;
- außenpolitisch nehmen die Möglichkeiten der UdSSR, unabhängige und blockfreie Länder zu unterstützen, ab, was die Chancen des imperialistischen Blocks zur Ausdehnung bzw. Restabilisierung eigenen Einflußsphären vergrößert (z.B. Ägypten, Simbabwe in den letzten Jahren).
Militärisch soll die Situation zugunsten des imperialistischen Blocks so verschoben werden, daß die UdSSR bei den bevorstehenden Kriegen um Energien und Rohstoffe neutralisiert werden kann.
Der Krieg zwischen Irak und Iran [47] verdeutlicht dies. Der Irak - seit Jahren aufgerüstet und beliefert von Frankreich und der BRD, aber auch der UdSSR - hat sich seit dem Sturz des Schahs in die regionale Strategie der Amerikaner integrieren lassen. Der Irak führt - mit massiver finanzieller und militärischer Unterstützung der reaktionären arabischen Regimes - gegen den Iran einen Abnutzungskrieg, der diesen in neue ökonomische Abhängigkeiten von den europäischen Staaten hineintreiben soll. Damit ist aber auch unsere Linie des Widerstandes klar. Es geht nicht darum, daß die BRD Opfer sein kann, sondern daß sie heute Täter ist.
Die BRD wird sich kaum an direkten militärischen Interventionen beteiligen; das werden die USA, Frankreich, Großbritannien, Israel, Ägypten, Südafrika u.a. besorgen, aber die BRD wird weiterhin Waffen und Technologien exportieren, Materialien zur Herstellung von Atom-Bomben bereitstellen, Militärs und Bullen ausbilden, mit großen Geldern die amerikanischen, britischen und französischen Truppen in der BRD finanzieren, den USA logistische, technische und geheimdienstliche Unterstützung bereitstellen und mit der Bundeswehr abrückende amerikanische Truppenverbände ersetzen.
Die Mobilisierung muß der Tatsache gelten, daß die BRD im Schatten der Nachrüstung aggressive Raubzüge um Energien und Rohstoffe abdecken wird. Dagegen sind konkrete Widerstandsperspektiven zu entwickeln und nicht nur Angst vor dem Atomtod.
Wahlkampf mit Toten
Nur wenige Wochen nach dem Münchner Attentat vom 26.9.80 muß daran erinnert werden: es fand ein Anschlag statt, bei dem 13 Menschen ums Leben gekommen sind und 200 verletzt wurden. Niemand will so recht darüber nachdenken, es werden keine öffentlichen Diskussionen über Motive, Hintergründe oder Ziel des Anschlages geführt. Niemand fragt oder ist neugierig. Fast ist es so, als ob dieser Anschlag nicht stattgefunden habe.
Jedenfalls wissen wir nun, wie es passieren kann, daß niemand etwas von den Konzentrationslagern wußte. Es ist nachvollziehbar geworden, daß sich Leute beim Anblick von Güterzügen mit Menschen nichts Böses denken wollten.
Dabei ist nicht zu klagen über die Propaganda, die vielen Lügen und Halbwahrheiten. Wer wissen und klären will, d.h. wer sich aus der Verantwortung für gesellschaftliche Entwicklungen nicht hinausbegeben will, kann sich aus der bruchstückhaften Darstellung in den bürgerlichen Zeitungen ein Bild zusammensetzen oder die Fragen stellen, auf die es bisher noch keine Antworten gibt.
Die Haltung des Verdrängens und Nichtwissenwollens macht aus dem Münchner Anschlag Schicksal. Es ist aber unsere Aufgabe, Geschichte zu machen, es nicht als unbegreiflich abzuhaken, sondern seine Strukturen zu begreifen, das Münchner Attentat nicht als monströs zu mystifizieren, wo es neue Fragen auf die Tagesordnung setzt.
Wenn wir Fragen stellen und Vermutungen äußern, haben wir damit noch nicht eine Antwort gefunden. Aber wir schaffen uns die Möglichkeit, nicht nur zu erstarren, zu verdrängen, zu vergessen, sondern zu begreifen und zu handeln.
Der Anschlag wurde benutzt, um eine Stimmung zu erzeugen, in der Strauß noch die Bundestagswahlen gewinnen sollte. Anders als bei den Aktionen revolutionärer Gruppen in den letzten zehn Jahren war dieser Anschlag darauf gerichtet, eine Kräfteverschiebung innerhalb des herrschenden Machtblocks zu bewirken. Die CDU/CSU nutzte diesen Anschlag für ihren Wahlkampf, der bereits vorher mit dem Schwerpunkt Innen- und Sicherheitspolitik geführt worden war. Strauß nur wenige Stunden nach dem Anschlag: »Ja, Herr Baum [48] hat schwere Schuld in zweierlei Hinsicht auf sich geladen. Erstens durch die ständige Verunsicherung der Sicherheitsdienste, die sich ja heute nicht mehr trauen, im Vorfeld aufzuklären und den potentiellen Täterkreis festzustellen. Zweitens durch die Verharmlosung des Terrorismus.« Der »Spiegel« zitiert Strauß mit dem Vorschlag: »Man muß jetzt ein Flugblatt verfassen, was nur zeigt: Baum im Gespräch mit Mahler.« Strauß, Tandler [49] und die anderen Figuren reagieren genau in der Logik des Anschlages. Dies begründet keine Verantwortlichkeit, ist aber allein bereits ein neues Phänomen der bundesdeutschen Geschichte. Die vielbeschworene »Solidarität der Demokraten«, die bislang gegenüber dem »Terrorismus« galt, meinte zunächst nichts anderes, als daß die bürgerlichen Parteien auf die legalisierten und institutionalisierten, zumindest aber auf nachträglich legalisierbare Formen der Gewalt vertrauen und für sich darauf verzichten, aus der Auseinandersetzung mit dem revolutionären Widerstand politisches Kapital zu schlagen. Die Reaktion von CDU, vor allem aber der CSU, setzt diese Übereinstimmung zumindest im zweiten Teil außer Kraft. Die Defensive des Strauß-Flügels nach der Bundestagswahl, die Annäherung der CDU an SPD/FDP-Positionen, - selbst da, wo sie bis jetzt noch nicht übereingestimmt haben - soll nicht darüber hinwegtäuschen, daß dieses politische Potential in CDU/CSU groß ist, daß es starke Strömungen in diesen Parteien gibt, die an einen Wahlsieg nur bei einer außerordentlich zugespitzten Krisensituation glauben, in der die staatlichen Gewaltapparate nicht mehr funktionieren. Wer aber in dieser Art und Weise politische Leichenfledderei betreibt, hat grundsätzlich auch ein Interesse an solchen Situationen.
Tatsächlich finden sich aber auch zahlreiche Indizien, die gegen die öffentlich verbreiteten Tatversionen sprechen und eine Beteiligung/Kontrolle/Mitwissen von Teilen des Sicherheitsapparates und/oder einzelnen Repräsentanten von CDU/CSU möglich erscheinen lassen.
Seit Monaten war besonders in der Springer-Presse auf einen bevorstehenden Anschlag der RAF »in den Dimensionen von Schleyer« hingewiesen worden. Seit Ende August »häuften sich die Hinweise«. So wurde der Boden bereitet für Informationen über die Observation von Christian Klar [50] und Adelheid Schulz [51] und das »Versagen« der Sicherheitsorgane. [52] Einer der überführten Informanten der »Welt« war CSU-Zimmermann, immerhin ein Mitglied des Innenausschusses. Wenn also zusätzlich zu den Spekulationen über einen Anschlag solche hochwertigen Informationen verbreitet werden, werden dadurch nicht nur die spekulativen Teile der psychologischen Vorbereitung glaubwürdiger, sondern es wird eine Stimmung provoziert, in der bei einem tatsächlich erfolgten Anschlag jedem der Täter sofort klar sein muß. So kam der »Spiegel« drei Wochen vor dem Münchner Attentat zu der Einschätzung: »Was sich zunächst wie ein Zufallsvorteil der Unionsparteien im Wahlkampf ausnahm - jene erste Veröffentlichung in der »Welt« über eine angebliche »Fahndungspanne« - ist Teil einer von langer Hand vorbereiteten Kampagne.«
Diese Kampagne gegen das »Sicherheitsrisiko« Baum (ein Euphemismus, der den Rechten wirklich nicht zusteht) konnte so nach dem Münchner Anschlag bruchlos fortgesetzt werden. Der wochenlangen Hysterisierung folgte das Attentat. Nicht nur die Reaktionen von Strauß und Tandler - zufälligerweise inmitten der heißen Wahlkampfphase schnell erreichbar und in München - gingen in die psychologisch so lange vorbereitete Richtung. Samstag morgen war in französischen und italienischen Zeitungen zu lesen: »München: Baader-Meinhof ?«.
Wir haben uns abgewöhnt, so etwas für Zufall zu halten. Eine über Wochen andauernde Propaganda von rechts warnte vor einem blutigen Anschlag vor der Wahl, unkte über »Tote im Wahlkampf« und versuchte, durch die Veröffentlichung wichtiger Informationen glaubwürdig zu werden. Auch das »timing« der Aktion war so angelegt, daß in der kurzen Zeit bis zur Bundestagswahl eine Aufklärung kaum möglich gewesen wäre. Nur der Tod Köhlers verhindert - wie es sonst sicher geschehen wäre -, daß der RAF oder einer anderen revolutionären Gruppe diese Aktion in die Schuhe geschoben wird. Der Tod und die rasche Identifizierung Köhlers bringen die bereits intensivierte Kampagne gegen Baum, die Sicherheitspolitik der SPD/FDP-Regierung und Mutmaßungen über die Verantwortlichkeit linker Gruppen zu einem schnellen Ende.
Den Verantwortlichen im bayrischen Sicherheitsapparat, vollständig verflochten mit der CSU, ist ab Samstag mittag klar, daß durch den Tod und die Identifizierung Köhlers der Münchner Anschlag zu einem Bumerang für Strauß werden kann. Tandler legte sich so auf die Position fest, Köhler sei ein spinnerter Einzelgänger gewesen, eben ein Einzeltäter, der durch die allgemeine Verharmlosung des Terrorismus zu seiner Tat getrieben worden sei.
Tandler - und das heißt, die Verantwortlichen im bayrischen Innenministerium und Sicherheitsapparat - geht dabei so weit, die Ermittlungstätigkeit von Bundesanwaltschaft und BKA zu behindern. Der Justizminister am 9. Oktober (nach der Wahl!) in der »Frankfurter Rundschau«: »Tandler habe die verantwortungsvolle Zusammenarbeit der für die innere Sicherheit zuständigen Organe gestört und auch die Ermittlungen im konkreten Fall erschwert.«
Es ist naheliegend, daß Tandler die politische Motivation Köhlers und seine Zusammenhänge leugnen muß. Die in den nachfolgenden Tagen und Wochen verbreiteten Hinweise auf die Infiltration der faschistischen Gruppen und den Staatssicherheitsdienst der DDR bzw. auf Kontakte der Hoffmann-Gruppe [53] zur PLO [54] sind durchsichtige Ablenkungsmanöver.
Die Bundesanwaltschaft sowie die der SPD/FDP nahestehende Presse vermuten dagegen einen Gruppenzusammenhang, aus dem heraus dieser Anschlag durchgeführt wurde, sowie Verbindungen Köhlers zu faschistischen Gruppen wie z.B. der Wehrsportgruppe Hoffmann.
Es gibt zahlreiche Hinweise und Zeugenaussagen über Personen, mit denen Köhler in der Nähe des Explosionsortes gesehen wurde:
- Da ist die Rede von 2 kurzhaarigen jungen Männern mit Bundeswehrparka und aufgenähten deutschen Flaggen;
- Ein schwarzhaariges junges Mädchen wird in der Nähe des Tatortes mit Köhler gesehen;
- Zehn Minuten vor der Explosion wurde eine weiße Leuchtkugel und Sekunden vorher eine rote Leuchtkugel in unmittelbarer Nähe des Explosionsortes beobachtet;
- Einige der Verletzten sagten aus, sie hätten unmittelbar vor der Explosion einen Mann sich mit Köhler über eine weiße Plastiktüte beugen sehen, der dann schnell weglief.
Trotz der Vielzahl von Zeugen ist bis heute keine dieser Person identifiziert. Zum Vergleich sei nur darauf hingewiesen, wen die Bundesanwaltschaft bei der Entführung Schleyers in Köln »einwandfrei identifiziert« haben will, obwohl es da nicht einen einzigen Zeugen gab.
Auf jeden Fall muß von einer Gruppe von Leuten ausgegangen werden, die für diese Aktion verantwortlich ist.
Bundesanwaltschaft, »Stern« und »Spiegel« dokumentieren schnell, materialreich und einleuchtend eine Vielzahl von Hinweisen, aus denen die Kontakte Köhlers zur Hoffmann-Gruppe, die Bewaffnung der Hoffmann-Gruppe, deren Vorstellungen und internationale Verbindungen hervorgehen. Es handelt sich hierbei nicht um eine falsche Spur, von den wesentlichen Fragen lenken diese Hinweise dennoch ab. Die publizierten Fakten sind im übrigen seit Jahren bekannt und immer wieder in Zeitungen der DKP und dem Arbeiterkampf veröffentlicht worden. Entscheidend ist z.B., daß ausländische faschistische Gruppen selbst vielfältig mit Teilen der staatlichen Sicherheitsapparate ihrer Länder verflochten sind und ihre Aktionen Teil von Strategien institutioneller Machtverschiebung oder geheimdienstlicher Mordaktionen gewesen sind. So sind 20 % der französischen FANE Polizisten, die Identität der spanischen »Christkönigskrieger« mit den Kommandos des spanischen Geheimdienstes ist bekannt; die Zusammenarbeit der protestantischen Terrororganisationen in Nordirland mit der SAS und Polizei ist ebenso dokumentiert wie die Verwicklung italienischer Dienste in faschistische Aktivitäten. So lächerlich also die Einzeltäterthese Tandlers ist, so vordergründig ist der Versuch, die Verantwortlichkeit allein den faschistischen Gruppen zuzuschieben.
Die faschistischen Gruppen sind in großem Ausmaß von den Sicherheitsdiensten infiltriert und kontrolliert. In allen diesbezüglichen Prozessen der letzten Zeit erwiesen sich Angeklagte, Hauptbelastungszeugen oder Waffenlieferanten als Mitarbeiter des Verfassungsschutzes oder der Landeskriminalämter. So entpuppte sich bei einem Faschistenprozeß in Braunschweig der 37jährige Hans-Dieter Lepzien nicht nur als Bombenbauer, Sprengstoffeinkäufer und Initiator »größerer Dinge«, sondern auch als Mitarbeiter des niedersächsischen Verfassungsschutzes. Erstaunlich genau und schnell - also informiert - wurde nach dem Hamburger Anschlag auf ein Ausländerheim die Gruppe von Roeder, immerhin verteilt auf mehrere Städte im gesamten Bundesgebiet, abgeräumt.
Es ist nicht übertrieben, davon auszugehen, daß im faschistischen Untergrund nichts Wesentliches passiert, ohne daß es die Bullen mitbekommen. Ausgerechnet nun, bei dem größten und folgenreichsten Anschlag, soll dies anders gewesen sein. Sollte diese Aktion tatsächlich von einer faschistischen Gruppe durchgeführt worden sein, so ist darüber zuvor geredet, diskutiert und entschieden worden. So etwas wird nicht von ein oder zwei Leuten gmeacht. Es muß davon ausgegangen werden, daß Sicherheitsdienste von solchen Diskussionen erfahren haben, als sie stattgefunden haben. Rebmann hat Mitte November verlauten lassen, daß ihnen nunmehr bekannt sei, daß »Köhler in einem nicht näher beschriebenen Kreis im Zusammenhang mit der Bundestagswahl Möglichkeiten für einen Anschlag - so unter anderem ein Attentat auf dem Oktoberfest - diskutiert habe.« (Frankfurter Rundschau, 14.11.80).
Zweifel an der Verantworlichkeit der faschistischen Gruppen weckt für uns auch die Art des Anschlages. Die BRD ist nicht Italien, wo solchen Anschläge und die »Strategie der Spannung« eine ganz andere Tradition haben bzw. immer schon Mittel der Innenpolitik gewesen sind. Der Münchner Anschlag entspricht nicht dem, was die Faschisten im letzten Jahr gemacht haben. Sie haben sich an die ausländerfeindliche Stimmung angehängt und vereinzelt antisemitische Aktionen wie auch solche gegen Linke und die DDR gemacht. Der Münchner Anschlag steht jedenfalls in keinem erklärbaren Verhältnis zu den sonstigen Aktionen.
Aufschlußreich ist auch, daß zu wesentlichen Einzelpunkten der Ermittlungen bisher noch keine endgültigen Erklärungen abgegeben wurden. Während nach Aktionen von RAF oder RZ bis in die kleinsten Einzelheiten Waffen, Munition, Zündmechanismen, Vorgehensweisen erörtert wurden, fehlen im Fall des Münchner Attentats bisher plausible Erklärungen
- zur Herkunft der Bombe bzw. Granate und ihre Beschaffenheit
- zur Beschaffenheit des Zündmechanismus
- zur vorzeitigen Explosion.
Bombe und Zünder: militärisches Material
Zur Beschaffenheit der Bombe wurde extrem Widersprüchliches verbreitet. Während im »Stern« vom 9.10. »Sprengstoffexperten des BKA« erklären: »Hier haben Fachleute den Sprengkörper vorher zerlegt und mit zusätzlichen Metallteilen gefüllt, um die Splitterwirkung bei der Explosion zu erhöhen«, liest es sich in der »Zeit« ganz anders: »Der Typ der britischen Mörsergranate, die Köhler benutzte, wurde bis 1970 bei der Rheinarmee gelagert. Der Attentäter hatte einen eigenen Zünder eingebaut, die Granate in einen Feuerlöscher gesteckt, in den er Soll-Bruchstellen gefräst hatte, um damit die Sprengwirkung zu erhöhen.«
Ebenfalls die »Zeit« hat in einer kleinen Notiz die bisher einzige halbwegs nachvollziehbare Erklärung zur Beschaffenheit und vorzeitigen Explosion des Zünders geliefert. Danach hat Köhler offensichtlich einen Handgranatenzünder mit einer Normalverzögerung von 20 Sekunden benutzt. Grund der vorzeitigen Explosion war nach Vermutungen der »Zeit«, daß die Zündschnur brüchig war und dadurch ohne Verzögerung explodierte. Auch dies ist keine endgültige Erklärung, denn eine brüchige Zündschnur funktioniert im Normalfall überhaupt nicht. Völlig ungeklärt ist bis heute, wie Köhler an Granate und Zünder gekommen ist. In 2 Fällen wurden Nazis, bei denen typengleiche Mörsergranaten gefunden wurden, wieder freigelassen. Im ersten Fall handelt es sich um einen der zunächst festgenommenen Hoffmann-Leute. Im anderen um einen Karl-Heinz D. aus Düsseldorf, in dessen Wohnung ein umfangsreiches Waffenlager gefunden wurden, darunter sieben Granaten vom Kaliber 10,7 cm. Es ist nicht falsch, davon auszugehen, daß es sich bei diesem Menschen um einen bekannten Waffenlieferanten der faschistischen Szene, aber gleichzeitig um einen mit den Bullen kooperierenden Informanten handeln muß. Anders ist seine umgehende Freilassung nicht zu verstehen. Die Bestandteile der Bombe und der Zünder verraten eine deutlich militärische Prägung. Die durch den Zündmechanismus notwendige Art der Zündung ist die des heroischen militärischen Einzelkämpfers, bei dem es nicht darauf ankommt oder sogar gewünscht ist, daß der Bombenwerfer von Hunderten von Leuten gesehen wird.
Das militärische Material und die damit notwendige Form der Aktion passen ganz und gar nicht dazu, wie uns Köhler geschildert wird und was wir von seinem Leben erfahren haben. Köhler wird als Einzelgänger beschrieben, als kontaktarm, schüchtern, unselbständig. Als 21jähriger wohnt er noch bei seinen Eltern. Sein Vater, CSU-Mitglied und früherer Bürgermeister des Ortes, war Respektsperson.
In einer Erklärung wiesen seine Eltern im übrigen darauf hin, daß Köhler seit fünf Jahren keinen Kontakt mit Hoffmann gehabt habe.
Wie könnte es gewesen sein?
Wir halten es nicht für ausgeschlossen, daß Köhler gezielt von Mitarbeitern eines Sicherheitsdienstes angesprochen und geführt wurde. Dem MAD war bekannt, daß Köhler den Kontakt mit Hoffmann gesucht hatte, um eine eigene örtliche Wehrsportgruppe zu gründen und sich bei Sprengstoffexperimenten verletzt hatte. Die Isolation Köhlers und seine autoritäre Struktur, sein blinder Tatendrang machen ihn zu einer idealen Zielperson für eine nachrichtendienstliche Operation und anfällig für eine weitergehende Funktionalisierung. Es ist durchaus möglich, daß Köhler von einem Sicherheitsdienst angemacht und benutzt wurde, ohne daß er es bemerkte. Man kennt solche Fälle, wo auf der »Kameradenebene« mit staatlichen Mitarbeitern verkehrt wird.
Es mag sein, daß Köhler zunächst nur mit dem Ziel angesprochen wurde, über ihn einen weiteren Einstieg in die faschistische Szene zu haben. Eine Aktion wie das Münchner Attentat ist sicher nicht von dem gesamten Apparat eines Dienstes getragen worden. Vielleicht gibt es inzwischen beim BND, MAD oder Verfassungsschutz eine »Abteilung für unkonventielle Methoden« - wie die Mordabteilung früher bei der CIA genannt wurde.
Wir halten es jedoch für wahrscheinlicher, daß sich rechte und faschistoide Bullen von ihrem Apparat und der »rechtsstaatlichen Tour« eines Herold verselbständigen und Privatpolitik betreiben. Diese Sorte von Bullen hat sich besonders in dem in der Nähe von München ansässigen BND sowie dem sonstigen bayrischen Staatsschutz gesammelt.
Es ist nicht auszuschließen, daß auf einer informellen Ebene Kontakte zwischen Leuten aus dem Sicherheitsbereich und einzelnen Politikern stattgefunden haben, bei denen angedeutet wurde, daß »da was laufen wird«. Das »Timing« der Hysteriekampagne, die Konzentrierung des Wahlkampfes auf Baum,. der Zeitpunkt des Anschlages und die ersten Reaktionen der Politgangster sprechen zumindest für eine gewisse Koordinierung. Das ausschlaggebende Motiv für Köhler, seine Kontaktleute, Bullen und Politiker wird die Einsicht gewesen sein, daß nur noch eine solche Aktion den Wahlsieg von Strauß möglich macht, daß darüber hinaus auch langfristig eine offen reaktionäre Position sich nur dann durchsetzen kann, wenn das innenpolitische Klima verändert wird.
Fassen wir zusammen:
Strauß und führende Mitglieder der CSU reagieren in der politischen Logik dieses Anschlages.
Von langer Hand war eine Kampagne geführt worden, die auf eine große Terroraktion vorbereitete.
Nur der Tod Köhlers und seine sofortige Identifizierung verhindern, daß dieser Anschlag linken Gruppen in die Schuhe geschoben wird, wie es geplant war.
Die bayrischen Behörden behindern die Ermittlungen und vertreten die These, Köhler sei ein Einzeltäter gewesen.
Es gibt erhebliche Zweifel an der alleinigen Verantwortlichkeit faschistischer Gruppen.
Herkunft von Bombe und Zünder sind nicht geklärt.
Köhler war eine Figur, die sich für eine nachrichtendienstliche Operation geradezu anbot; dies würde auch den Widerspruch von Köhlers Persönlichkeit und der Art der Aktion erklären helfen.
Natürlich sind ein großer Teil unserer Überlegungen spekulativ, aber die Wirklichkeit hat in den vergangenen Jahren regelmäßig unsere schlimmsten Vorstellungen übertroffen.
Die der CSU und Strauß nahestehenden Kräfte würden damit eine Entwicklung nachvollziehen, die es in fast allen anderen Ländern auch gegeben hat: die Verselbständigung staatlicher Politiker, die Strategie der Angst und Spannung, die Entwicklung von Terrorkommandos aus dem Polizeiapparat heraus. Wir halten eine solche Entwicklung nicht für ausgeschlossen, sie ist in den politischen Reaktionen auf den Münchner Anschlag bereits angelegt. Die Warnung vor einer solchen Entwicklung soll nicht zu voreiligen Schlüssen führen. Nach wie vor ist für die Entwicklung eines revolutionären Widerstandes die von SPD/FDP und großen Teilen der CDU betriebene Politik institutionalisierter Herrschaft und verrechtlicher Gewalt von vorrangiger Bedeutung. Die Entwicklung eines von Geheimdiensten organisierten und von parlamentarischen Rechten propagandistisch genutzten sowie der außerparlamentarischen Rechten konkret mitgetragenen Terrorismus würde sich in erster Linie direkt gegen Linke richten und die politischen Bedingungen weiter verschlechtern. Auch dies wäre jedoch eine Erscheinungsform des Zerfalls des »Modell Deutschland«.
Die Linke zu München: no future
Die Reaktion der deutschen Linken war schlimm, aber bezeichnend. Während es in Italien und Frankreich zu breiten antifaschistischen Mobilisierungen gegen den Staat kam, hat es in der BRD praktisch keine Reaktionen gegeben. Wenn auch die Mobilierung in Italien und Frankreich kein Maßstab sein kann, so sind doch das vollkommene Schweigen hier, das Fehlen von wirklicher Betroffenheit, die Begriffslosigkeit, das Verdrängen und Wegschieben ein Vorgang ohne Beispiel. Die Taz - immer noch Ausdruck von vor allem Gefühlen, aber wenig Gedanken eines Großteils der Linken - sitzt völlig der Katastrophen- und Schicksalsstimmung, dem Gefühl teutscher Götterdämmerung auf. Die einst von frankfurter und berliner Spontikreisen geforderte Rückbesinnung auf den eigenen Bauch findet in dieser Sprachlosigkeit ihren Endpunkt, symbiotisch verbunden mit der Rückbesinnung auf die inneren Werte der Pornographie. [55] Das »Blatt« [56] in München stand ehrlich, aber dennoch kokettierend mit unbedruckten Seiten zu seiner Ratlosigkeit. Schlimm ist es dennoch, wenn Peter Schult [57], der es wie die anderen besser wissen müßte, zunächst die RAF als Urheber des Anschlages befürchtet (Taz) und damit sicherlich nicht allein steht. Das völlige Versagen dieser Linken ist auch ein Resultat ihres wutschnaubenden Feldzuges der Jahre 76-78 gegen RAF und RZ. In der Stunde des beginnenden wirklichen Terorismus sind sie stumm und durch die bürgerliche Propaganda konditioniert.
Wer sich so - wie es in der Linken, der Scene stattgefunden hat - Denken, Fragen und Protestieren verbietet, hätte sich vor 40 Jahren auch nur in die innere Emigration begeben und die Haustür den Antifaschisten, Juden, Schwulen und Zigeunern verschlossen. Die 68er-Generation hat endlich zu ihren Eltern und Großeltern aufgeschlossen.
Der Widerstand wächst - Hausbesetzungen
Billiger Wohnraum wird durch Abriß und Modernisierung unwiderruflich zerstört bzw. brachgelegt, weil private Hausbesitzer ebenso wie die großen Wohnungsbaugesellschaften mit Blick auf die Neuverplanung der Städte auf das dicke Geschäft mit Grund und Boden setzen.
Untersuchungen haben ergeben, daß sich die Entwicklung von innen nach außen um den Kern der Städte vollziehen wird. Bisher war der teure Boden den Dienstleistungsbereichen vorbehalten. Die Verringerung des Wohnraums durch Abriß führte aber zu einer Verödung der Innenstädte. Um dem entgegenzuwirken, wird heute in der City teurer Wohnraum geschaffen, der den besseren Bevölkerungsschichten vorbehalten bleibt. Durch Modernisierungsmaßnahmen und Sanierung werden die Innenstädte gesindelfrei gemacht. Für die neuen modernen Großstädte werden andere Menschen gebraucht, die dem Angebot der innenstädtischen Versorgung würdig sind, die die Vorteile der City nutzen, die sich in den aufgemotzten Einkaufszentren sehen lassen können, die das Geld haben, in den teuren Boutiquen einzukaufen. Die Luxusappartements für die neue Generation der »Singles« aus dem gehobenen Mittelstand und die nostalgisch aufgemachten, mit Stuck verzierten Großraumwohnungen für einstige »Kommunarden«. Der Ausschuß der Gesellschaft, die Ausländer, die Arbeitslosen, die Sozialhilfeempfänger und auch die jugendlichen »Jobber« hingegen werden an den Rand gedrängt. Sie werden - wie vor allem die Ausländer - in die zukünftighen Abrißprojekte verschoben, damit der Hausbesitzer aus ihnen noch Profit ziehen kann, ehe er zum Kahlschlag ausholt, das Haus wegsaniert, um dann an derselben Stelle einträglichere Betonpaläste hochzuziehen.
Die andere Seite der Medaille sind die Trabantenstädte an der Peripherie, die von den Wohnungsbaugesellschaften in der Blütezeit ihrer Spekulationspraktiken hochgezogen wurden. Diese Wohngettos werden die Slums von morgen sein - eine Tendenz, die den ursprünglichen Planungen für diese Betonsilos entgegenläuft. Entworfen als profitable Wohneinheiten für die Gesamtbevölkerung, in der es keinen Klassen mehr gibt und deren Begriff von Wohnqualität sich am Vorhandensein von Zentralheizung und Badezimmer misst (so jedenfalls die Vision der Planer in den 60er Jahren), sind die Trabantenstädte mehr und mehr zu einem sozialen Pulverfaß geworden. Dies nicht nur aufgrund der sozialen Zusammensetzung der dort eingepferchten Menschen, sondern auch aufgrund der Auswirkungen, die die »Lebensqualität Beton« auf die Köpfe der Menschen hat.
Die Trabantenstädte werden zu Mitteln der Aussonderung und Kontrolle der nicht mehr vernutzbaren Menschen. Wo die Herausbildung von Slums durch die Verhängung von Zuzugssperren nicht zu bremsen ist, wird versucht, die Bewohner des Gettos nach Gesichtspunkten optimaler Kontrolle zu sammeln. Die entscheidenden Kontrollfunktionen in diesen Vierteln übernehmen Bullen, Sozialarbeiter, das Arbeits- und das Sozialamt. Offensichtlich ist, daß die Planungen der 60er zur sozialen Befriedung nicht hingehauen haben. So ist denn auch die Tatsache, daß das BKA auf seiner vorletzten Jahrestagung die Situation in den Wohnsilos zum Leitthema gemacht hat, eher ein Zeichen von Ratlosigkeit als Ausdruck dafür, daß die Durchplanung der Gesellschaft mit architektonischen Mitteln bereits gelungen ist.
8 Jahre RZ
8 Jahre bewaffneter Widerstand
8 Jahre RZ Revolutionäre Zellen sind
8 Jahre Kampf für Freiheit und gegen Unterdrücker!
Bei dem Versuch der Befreiung deutscher Genossinnen und Genossen aus den Trakten, palästinensischer Kämpferinnen und Kämpfer aus den zionistischen Konzentrationslagern wurden 1976 unsere Freunde Boni Böse und Brigitte Kuhlmann getötet.
8 Jahre RZ sind 100 Angriffe mit Waffen und Sprengstoff, Feuer und Flamme, List und Tücke
1973 gegen die Schweinebande ITT in Nürnberg und Berlin -
1974 Chilenisches Generalkonsulat Berlin, EL Al in Frankfurt -
1975 Bundesverfassungsgericht Karlsruhe, 100.000 Falsche Fahrkarten Berlin, Fahrkartenautomaten Frankfurt/Köln/Stuttgart/München
1976 Oberlandesgericht Hamm, Spekulantensau Kaussen Köln, US-Offizierskasino Frankfurt, Schwarzfahrerkartei Frankfurt
1977 Schwarzfahrerkartei Berlin, MAN Nürnberg, Bundesärztekammer Köln
1978 Arbeitsamt Frankfurt, Bundesanstalt für Zivildienst Köln, Wachkommando Nord Stade, Bürgermeister Delorme Mainz, US-Kaserne Garlstedt
1979 Sexshops, Israelische Exportfirma Frankfurt, Wetterturm Arhaus
1980 Bundesamt gegen Arbeitslose Nürnberg, Spekulantenanwalt Köln, Kreiswehrersatz München
1981 - das würdet ihr gerne wissen
1982 ... 1983 ... 1984 ... 1985 ... 1986 ... tik tik tik, bis wir ganz viele geworden sind und gewonnenen haben.