August 1983
Dieses Papier ist das vorläufige Ergebnis unserer Aufarbeitung des Kampfes gegen die Startbahn 18 West.
Wir haben diese Untersuchung versucht, weil wir es wichtig finden, die Gründe für die Entwicklung von Kämpfen, ihren Siegen und Niederlagen herauszufinden und auf den Begriff zu bringen, um Konsequenzen daraus ziehen und damit arbeiten zu können.
Für die bevorstehenden Auseinandersetzungen um das AKW Wyhl, die WAA in Dragahn [1] etc. ist es wichtig, daß die Startbahn-Bewegung ihre Erfahrungen zusammenfaßt und weitergibt. Denn gerade der Konflikt um die Startbahn war der erste, in dem die Herrschenden ihre Interessen trotz riesiger Mobilisierung und massenhafter Radikalisierung militärisch durchgesetzt haben. Die Erfahrungen, die hier gemacht wurden, konnten in Wyhl und in Dragahn/Gorleben so noch gar nicht gemacht werden. Wir beanspruchen mit unserem Beitrag weder Vollständigkeit noch absolute Richtigkeit. Es geht uns vielmehr darum, einen Diskussions- und Aufarbeitungsprozess in der Bewegung in Gang zu setzen und diese Diskussionen auch öffentlich (schriftlich) zu führen.
Daß das Papier Einschätzungen enthält, die viele provozieren und manche als zu hart oder gar unerhört empfinden werden, ist uns klar. Andererseits ist dies unumgänglich, weil das Ziel offene und radikale Diskussion über den und nicht Glorifizierung und Beweihräucherung des Widerstands heißt. Die Linke hat es bisher nie geschafft, gekämpfte Kämpfe gründlich und genau zu analysieren, um aus den gemachten Fehlern überhaupt lernen zu können. Dieses Manko muß schleunigst aufgehoben werden.
Praktisch könnten wir uns vorstellen, aus den Ergebnissen einer Vielzahl von Diskussionen eine Broschüre oder ein Buch zu machen. Ein Buch/Broschüre, das/die erscheint, weil so viel gedacht und geredet worden ist. Und keine Diskussionen, die geführt werden, weil was veröffentlicht werden soll.
Es wäre an der Zeit, eine eigene Geschichtsschreibung zu entwickeln, die weniger die Repressions- als vielmehr die Widerstandserfahrungen, Erfolge wie Niederlagen vermittelt. Eine Geschichtsschreibung der Bewegung selbst, die das nicht mehr den mehr oder weniger Professionellen und in der Regel Außenstehenden überläßt.
In vielen Bereichen und Gruppen sind wir natürlich nicht drin, kennen uns nicht aus (v.a. in solchen, die nicht unbedingt im Rampenlicht stehen) und können deshalb nicht einschätzen, was dort läuft und wie. Viele positive Ansätze haben wir aus diesem Grund nicht mitgekriegt und konnten deshalb auch nicht in unsere Einschätzung einfließen. Es wäre gut, wenn sich gerade auch die Gruppen und Leute mal äußern würden, die heute noch aktiv gegen die Startbahn kämpfen und mal darstellen würden, wie sie das Ganze betrachten.
Die Verhinderung eines Großprojektes könnte ein wichtiges Etappenziel eines langfristig angelegten Kampfes sein, das durch seine Signalwirkung die Perspektive von Widerstand, gegen die Resignation und Ohnmacht, verbreitert und stärkt. Das Gefühl, doch nichts ändern zu können, letzten Endes immer der Verlierer zu sein, hält viele Leute davon ab, sich beharrlich zu wehren.
* Um den Startbahnkomplex unter diesen Voraussetzungen - wenigstens im Nachhinein - zu untersuchen, ist natürlich die erste Frage, um was für ein Projekt es sich überhaupt handelt. In welchem politischen, ökonomischen und militärischen Kontext steht es, ist es seitens der Herrschenden aufgebbar oder nicht?
* Die Bewegung selbst haben wir primär unter dem Gesichtspunkt betrachtet, wann es in ihrer Entwicklung eine Stärke gab, die - weiterentwickelt - es möglich gemacht hätte, das Projekt zu kippen oder wenigstens erheblich zu verzögern. Was hätte besser oder anders gemacht werden können, wie war die Bewegung zusammengesetzt, welche vorhandenen bzw. fehlenden politischen Strukturen sind evtl. Ursache ihres Scheiterns?
* Für die Frage nach den Entwicklungsmöglichkeiten und Perspektiven einer regionalen Bewegung ist es von zentraler Bedeutung, wie es eigentlich um die radikale Linke in der Region ausschaut. Beschränken wir uns dabei auf Frankfurt, weil Kapitalmetropole dieser Region und Ende der 60er / Anfang der 70er eine »Hochburg« der linksradikalen Bewegung. Daß die Situation der autonomen Szene hier weit weniger rosig ist, als es außerhalb vielleicht scheinen mag, hat einen historischen Hintergrund, den wir - notgedrungen kurz - anreißen wollen.
* Das Volksbegehren [2] war für die überregionale Mobilisierung ein wichtiger Faktor. Welche Funktion kam ihm regional zu?
* Bürgerinitiativen prägen die AKW- und Umweltbewegung, ebenso die Friedensbewegung. Für eine Einschätzung ihrer Taktik und Konfliktbereitschaft, wie für die Frage nach möglichen »Bündnispartnern« ist es unverzichtbar, zu wissen, mit wem mensch es dabei zu tun hat, was deren Hintergrund und ihre Perspektiven sind.
* Die Startbahnbewegung ist initiiert und hauptsächlich getragen von der ansässigen Bevölkerung. Was sind die lokalen Voraussetzungen und welche Folgen hat das Projekt für die dort Lebenden?
* Unser Engagement im Konflikt war relativ groß und kontinuierlich: wie haben wir unsere Beteiligung am Kampf gegen die Startbahn gesehen, was finden wir in Nachhinein richtig, was falsch und kritikwürdig?
Im Anschluß daran folgt dann noch der Versuch einer Auseinandersetzung mit der Karry [3]-Aktion.
Der weitaus überwiegende Teil des Papiers ist bereits über ein halbes Jahr alt und deshalb teilweise nicht mehr auf dem neusten Stand. (August 1983)
Die Startbahn West - und andere Großprojekte
Die Startbahn West ist Anfang der 60er Jahre auf dem Höhepunkt des sog. Wirtschaftswunders projektiert worden. Die Nachkriegsära mit dem Wieder- sprich Neuaufbau des durch den 2. Weltkrieg zerstörten Kapitals und insbesondere seiner Infrastruktur war abgeschlossen. Die Arbeiterklasse als revolutionäres Subjekt der 20er und 30er Jahre war durch Faschismus und Krieg zunächst zerschlagen und paralysiert, während und nach dem Krieg (Ausländische Zwangsarbeiter - Flüchtlingsströme aus dem Osten - süd- und südosteuropäische Arbeitsemigranten) wieder neu zusammengesetzt und das westdeutsche Kapital auf einer technologisch höheren Stufe neu strukturiert worden. Der darin begründete langanhaltende Boom Mitte der 50er bis Mitte der 60er ermöglichte dem in der BRD investierten Kapital hohe Profitraten und dementsprechend vor allem in den deutschen Facharbeiter- und Angestelltenschichten breite Schichten von Konsum und gesellschaftlichem Konsens auszubauen.
Aufgabe staatlicher Wirtschaftspolitik war, die Bedingungen dieser Entwicklung möglichst lange fortzuschreiben. Nach der Depression Ende der 20er/Anfang der 30er Jahre hatte der englische Ökonom John Maynard Keynes [4] die nach ihm benannte Wirtschaftspolitik (»Keynsianismus«) entwickelt, die ein gewisses Maß sozialer und wirtschaftlicher Stabilität in den kapitalistischen Metropolen sichern sollte.
Der Keynsianismus - mittlerweile offiziell längst zu Grabe getragen - bestimmte entscheidend die Richtung der damaligen Wirtschaftpolitik.
Er beinhaltet u.a. eine staatliche Geldpolitik, die bspw. durch Senkung des Zinsniveaus Investionsanreize schaffte wie durch Erhöhung der Geldmenge eine »flexible«, d.h. konfliktmindernde Lohnpolitik ermöglichte (staatliche Reallohnsenkung durch Inflation). Des weiteren die Ausweitung eines künstlichen, weil ausschließlich durch staatliche Nachfrage geschaffenen »Marktes«. Die dafür notwendigen Gelder treibt der Staat über Teilenteignungen (Steuern und Abgaben) sowie über Kredite (Staatsverschuldung) ein. Die zentralen Bereiche dieses durch staatlichen »Konsum« geschaffenen »Marktes« sind die Rüstungs- und die Bauindustrie. Der Bausektor beinhaltet vor allem den Ausbau einer Infrastruktur, die zwei Nutznießer hat: das Kapital und das Militär (Nato).
In diesen Zusammenhang gehören sämtliche Ende der 50er/Anfang der 60er entworfenen Großprojekte, von denen die Startbahn eines unter vielen ist. So stammen aus dieser Zeit allein im Bereich Luftverkehr folgende Projekte:
- Flughafen Hamburg-Kaltenkirchen
- Norddeutscher Großflughafen bei Bremerhaven
- Dritter Verkehrsflughafen für Nordrhein-Westfalen bei Drensteinfurt
- Flughafen Rhein-Main 2 zwischen Mainz und Kaiserslautern
- Flughafen Stuttgart-München zwischen Ulm und Augsburg
- Flughafen Stuttgart 2
- Flughafen München 2 bei Erding. [5]
Von diesem gigantischen Flughafenausbaukonzept der 60er Jahre ist die Startbahn - neben dem noch offenen München 2 - als einzige übriggeblieben. Hinzugekommen sind in der jüngsten Zeit allerdings neue Ausbaupläne (z.B. Hannover und Bremen), die mit der Startbahn eines gemeinsam haben: die Einbringung in die aktuelle Nato-Strategie (dazu später). Dieselbe Gemeinsamkeit besteht mit allen anderen sog. zivilen Großprojekten aus jener Zeit, die allein unter ökonomischen Gesichtspunkten ein totaler Flop sind, aber dennoch mit ins Unermeßliche steigenden Milliardensummen hochgezogen werden.
Dazu gehören unter anderem (und kann jeweils nur kurz und thesenartig angerissen werden):
Der Rhein-Main-Donau-Kanal
Bis zu seiner Fertigstellung soll er nach offiziellen Angaben noch (!) 4,5 Milliarden DM verschlingen. Ein Projekt, an dem ökonomisch nur die bayrische Landesregierung und selbstredend die Bauindustrie ein Interesse haben kann. Für die bayr. Landesregierung bedeutet es Anbindung des traditionell extrem »strukturschwachen« Gebietes zwischen Regensburg und Passau (Bayr. Wald) an einen Schiffahrtsweg, der sich dann vom Rotterdamer Hafen über das Ruhrgebiet, die Rhein-Main-Region, das Industriedreieck Nürnberg/Erlangen/Fürth durch Österreich (Linz/Wien), die Tschechoslowakei (Bratislava), Ungarn (Budapest), Jugoslawien (Belgrad), entlang der rumänisch-bulgarischen Grenze (Bukarest und Sofia) bis ins Schwarze Meer erstreckt (zusätzliche Anliegerstaaten UdSSR und Türkei).
Forcieren würde dies eine Industrialisierung des bisherigen »Feriengebiets« Bayrischer Wald. Attraktiv für's Kapital ist dieser als - bedingt durch traditionell hohe Arbeitslosenzahlen, Heimarbeit etc. - ausgesprochene »Billiglohnregion«. Nach der »Wende« vom letzten Oktober und dem kurz darauf gefällten Entschluß, den Kanal fertigzustelen, hat der BMW-Konzern prompt reagiert und Regensburg (an der Donau) zum Standort für ein schon länger geplantes neues Zweigwerk bestimmt.
National gesehen wird die Fertigstellung des Kanals allerdings erhebliche wirtschaftliche Folgen für den Hamburger Hafen (zugunsten von Rotterdam) und für die sowieso schon defizitäre Bundesbahn haben, die, um konkurrenzfähig zu bleiben (das ist nun mal die immanente Logik), ihre Frachttarife senken müßte. Welche darüber hinausgehende Funktion hat also dieser keiner gesamtstaatlichen ökonomischen Kosten-Nutzen-Analyse standhaltende Kanal, außer Unsummen an Geldern in die Bauindustrie zu verpulvern?
Der ehemalige Bayr. Innenminister Tandler hat's in aller Offenheit angedeutet: der Kanal könne im Kriegsfall als Aufmarsch- und Versorgungslinie dienen. Was die Aufmarschlinie betrifft: der Kanal (als 25 m tiefe und bis zu 290 m breite Betonrinne) deckt mit und als Verlängerung der Donau die gesamte deutsch-tschechoslowakische Grenze (zwischen Bamberg und Passau) in einer Entfernung von minimal 35 km und maximal 120 km Luftlinie ab.
Darüberhinaus drängt sich geradezu auf, daß der Kanal Bestandteil einer Vorverlegung der 1. atomaren Verteidigungslinie ist. Dies vor allem im Zusammenhang mit dem »Master Restationing Plan« (MRP), der eine Verlegung der in der Rhein-Main-Region stationierten US-Truppen in nordöstlicher Richtung zur DDR-Grenze hin beinhaltet. Der neue Verlauf dieser Linie wäre dann die Achse aus folgenden zumeist Stationierungsorten von Bundeswehr und (vorwiegend) US-Truppen:
Mühldorf - Ohu(AKW)/Landshut - Rottenburg - Kelheim(Mündung Donau/Kanal; in unmittelbarer Nähe A-Waffenlager) - Nürnburg (massierte US-Präsenz; zahlreiche Depots) - Grafenrheinfeld(AKW)/Schweinfurt - Bad Kissingen - Wildflecken(geplanter US-Standort im Rahmen von MRP)/Gersfeld - Fulda (u.a. Chemical Detachment) - Schlitz (geplanter US-Standort auf dem Eisenberg im Rahmen von MRP) - »Fulda Gap« (Fulda Senke) - Hattenbach (»Ground Zero« = 0-Punkt = Aufschlagspunkt der A-Bombe)/Bad Hersfeld - Schwarzenborn - Borken(geplantes AKW/Schnittpunkt mit nördlichem Teil der Linie)/Homberg.
Unweit westlich dieser Linie befinden sich die - im Rahmen von MRP - gerade fertiggestellten bwz. noch im Bau befindlichen hessischen Munitionsdepots (Alsberg, Gundhelm, Gieseler Forst, Grebenhain, Ottrau).
Das Großklinikum Aachen
Nach Angaben eines Krankenkassen-Direktors wurde bewußt mit falschen Zahlen operiert, um den Bau dieses größten Klinikums der Welt inmitten der Unikliniken Köln, Düsseldorf und - jenseits der Grenze - Maastricht, Lüttich und Heerlen durchzusetzen. Das Ganze ist dermaßen gigantisch angelegt worden, daß es unter dem eigenen Gewicht schon 10 cm in den Boden gesunken ist. Kostensteigerung: von 632 Millionen auf 2 Milliarden. Inbetriebnahme: nicht absehbar. Betrachtet mensch das Klinikum unter militärischen Gesichtpunkten, so fällt v.a. dessen geographische Lage in den Blick: Aachen als westlichste Stadt und auf der mittleren Achse der BRD hinter dem Industrie- und Militärzentrum Ruhrgebiet und ca. 60 km Luftlinie hinter der Rhein-Rhone-Linie, der 2. atomaren Verteidigungslinie der Nato, gelegen. In einem Radius von 130 km befindet sich das gesamte Ruhrgebiet einschließlich Dortmund, fernerhin die Linie Koblenz - Siegen - Trier. In einem Radius von etwa 300 km befindet sich im Norden die Linie Oldenburg - Bremen - Hannover, östlich die Grenze zur DDR und südlich die Linie Würzburg - Stuttgart - Freiburg (darin also auch die gesamte Rhein-Main-Region und die Pfalz/Saarland).
Das Atomprogramm
das nicht nach Kriterien von gesellschaftlichem Bedarf und Wirtschaftlichkeit funktioniert, sondern sich danach bestimmt, welche Energieform für die Betreiber und Erbauer am profitabelsten ist. Da bei der Atomenergie der Staat nahezu die ganzen Forschungs-, Entwicklungs-, Bau- und Entsorgungskosten trägt, sind die AKWs für die Betreiber durchaus profitabler als jedes andere Kraftwerk und ermöglichen billige Stromtarife für die automatisierten Großfabriken (die »Otto Normalverbraucher« durch entsprechend hohe ausgleichen darf). Ein Ingenieur aus Trier hat am Beispiel Biblis A mal errechnet, daß der Reaktor 29 Jahre störungsfrei laufen müßte, um die allein für seinen Bau verbrauchte Energie wieder zu erzeugen.
So waren auch die Energiekonzerne bei den bis Herbst 81 in Kalkar verbauten 5 Milliarden Mark nur mit ganzen 41 Millionen dabei. (Historischer) Hintergrund der staatlichen Forcierung und Finanzierung des Atomprogramms sind hier ebenfalls v.a. militärische Interessen: die deutsche Option auf die A-Bombe (Plutoniumerzeugung) und der Aufbau von »regional geschlossenen Teilverteidigungswirtschaften« (dazu ausführlichst: Autonomie - Neue Folge, Nr. 4/5).
Der zivile Teil des Frankfurter Flughafens
ist heute der mit Abstand größte der BRD, der zweitgrößte Europas und seit 1980 der größte Frachtflughafen Europas (vor London mit insgesamt 3 Flughäfen). Hinzu kommt die im südlichen Bereich des Flughafens gelegene Air-Base der US-Army mit dem größten Terminal des Militärischen Lufttransportkommandos (Military Airlift Command) mit jährlich ca. 500.000 »Passagieren« und dem größten Frachtflughafen der Army außerhalb der USA (1980 ca. 66.000 t); die Air-Base ist damit der zweitgrößte Frachtflughafen in der BRD vor Köln (1980: 52.000 t) und München (1980: 39.000 t).
Bereits 1955 hatte Frankfurt mit (angesichts der heutigen Zahlen) bescheidenen 833.000 Verkehrseinheiten (VE) 33,9 % aller VE in der BRD an sich gezogen. Ursächlich dafür waren zunächst der unmittelbar nach Kriegsende erfolgte Ausbau des Flughafens durch die Yanks. Insofern ist er vergleichbar mit dem Düsseldorfer Flughafen, dessen relative Spitzenstellung sich daraus erklärt, daß er ebenfalls nach 45 von den britischen Streitkräften in Betrieb genommen und den neuen Erfordernissen angepaßt wurde.
Die Benutzung des Frankfurter Flughafens durch die Air-Force in Verbindung mit der Konzentration der US-Streitkräfte in der Rhein-Main-Region prädestinierte Frankfurt von Anfang an als Knotenpunkt nicht nur der militärischen, sondern aller Interkontinentalflüge. Ein zweiter wesentlicher Punkt war die wirtschaftsgeographische Lage des Frankfurter Raums, wo sich zahlreiche Nord-Süd- und Ost-West-Verkehrsachsen bündeln. Das »Frankfurter Kreuz« als Schnittpunkt dieser Verkehrsachsen und der direkt anliegende Flughafen bilden militärisch und ökonomisch eine infrastrukturelle Einheit, die als solche bereits im »3. Reich« konzipiert und gebaut worden war. (Der von den Nazis betriebene Autobahnausbau incl. Frankfurter Kreuz und seine militärischen Hintergründe sind weitgehend bekannt. Weniger dagegen, daß der Frankfurter Flughafen sich bis 1936 am Rebstock (nahe Messegelände) befand und die ersten Rodungen für den heutigen Flughafen 1934 begannen. Die auch heute an der Startbahn West beteiligte Stuttgarter Baufirma Züblin benutzte übrigens für den Anfang der 40er erfolgten weiteren Ausbau des Flughafens Frauen aus dem KZ Natzweiler-Struthof, für das am Flughafengelände extra eine Außenstelle errichtet wurde.)
Aufgrund dieser Gegebenheiten war es nur logisch, daß die Deutsche Lufthansa nach ihrem Wiederaufbau 1955 zwecks optimaler Kostendeckung Frankfurt zu ihrem Zentralflughafen bestimmte (Ausgangs- und Endpunkt ihres Interkontinentalverkehrs; Bestimmung der anderen westdeutschen Flughäfen als Zubringer für die Zusammenführung der Langstreckenverbindungen in Frankfurt). So beträgt der Anteil der Lufthansa an den in Frankfurt erbrachten Verkehrsleistungen 52 %. Da die BRD-Flughäfen für ausländische Fluggesellschaften nur in dem Maß attraktiv sind, wie das dort angebotene Abfertigungs- und Frachtumschlagsvolumen bereits von der Lufthansa genutzt wird, bedeutete diese Entscheidung eine doppelte Konzentration des internationalen Luftverkehrs auf Frankfurt. Dies führte dazu, daß sich die in Frankfurt umgeschlagenen VE von 1955 bis 1974 verzwanzigfachten (1974 : 16.361.00 VE = 44 % aller VE in der BRD).
Im gleichen Zeitraum (1959) wurde die Air-Base im Rahmen der Nato-Planungen zum zentralen Luftstützpunkt für die Logistik der US-Army in Europa bestimmt. Dieser »Nachfrage« kam der in öffentlicher Hand befindliche Konzern FAG (Aktionäre: Land Hessen 45 %, Stadt Frankfurt 29 %, BRD 26 %) mit der Erweiterung der beiden Start- und Landebahnen auf 3.600 bis 3.900 m (1959-1965) und der Beantragung einer 3. Startbahn 1965 nach.
Der nächste Konzentrationsschub erfolgte Anfang der 70er mit der sog. »Ölkrise«. Die Verringerung der Nachfrageexpansion Ende der 60er und die Auslieferung der (schon Jahre vorher bestellten) Großraumflugzeuge Anfang der 70er hatten bereits zu einem Kapazitätsüberhang bei den Fluggesellschaften geführt. Die 1973 inszenierte »Ölkrise« als Beginn der dann seit 74 in den transnationalen Konzernen geschaffenen »Dauerkrise« in den kapitalistischen Metropolen bedeuteten für den Luftverkehr rapide steigende Treibstoffpreise bei gleichzeitigem tendenziellen Rückgang der Massennachfrage. (Deren Zielsetzungen sind: 1. die Um- und Neuverteilung der gesellschaftlich produzierten Mehrwertmassen zwecks Maximierung der eigenen Profitraten. 2. Angriff auf die Masseneinkommen und die Revolten und Kämpfe der multinationalen Massenarbeiter und Jugendlichen in den westlichen Metropolen. Darüber gewaltsame Durchsetzung einer »neuen Arbeitsmoral« und der Niedriglohnarbeit zur Wiederherstellung hoher Mehrwert- und Profitraten.)
Um die daraus entstehenden Einbußen aufzufangen, war die Folge eine erneute Konzentration der Beförderungsleistungen auf die Knotenpunkte der internationalen Verkehrsräume - und damit auf Frankfurt. Der den Gesetzen kapitalistischer Konzentration und Monopolisierung unterliegende Luftverkehr bündelt die Verkehrsströme zu gigantischen Konzentrationspunkten.
Das Zentrum ist rentabler, saugt dadurch immer mehr an sich, wird immer größer, was wiederum seine Rentabilität und Attraktivität (z.B. kürzere Bodenzeiten, Anschlüsse in alle Welt) steigert usw. Das hat zur Folge, daß Frankfurt selbst beim heutigen allgemeinen Rückgang des Flugverkehrs die geringsten Einbußen bzw. sogar noch ein leichtes Plus zu verzeichnen hat.
Die Air-Base
ist nicht den US-Luftstreitkräften in Europa (US Air Force Europe - USAFE Hauptquartier: Ramstein), sondern direkt dem Military Airlift Command (MAC) unterstellt. »Sämliche US-Flughäfen in Europa beziehen den Teil ihres Nachschubs, der per Luftfracht befördert wird, über Frankfurt.« (aus »Flughafen-Nachrichten« der FAG).
1980 landeten auf Rhein-Main von den strategischen Transportern im Schnitt täglich ca. 10 Starlifter und 2-3 Galaxies (größtes Transportflugzeug der Welt). Außerdem jede Menge Turbopropmaschinen vom Typ Herkules, die für den taktischen Lufttransport innerhalb des europäischen Kommandobereichs eingesetzt werden. Im Jahresdurchschnitt 1980 machte das 74 % aller Flugbewegungen auf Rhein-Main.
Neben der Verteilerfunktion des Nachschubs für Europa hat die Air-Base die Funktion einer interkontinentalen Luftbrücke für Waffen und Truppen nach Nahost, Asien und Afrika. Beispiele sind die Libanon-Besetzung 1959, der Vietnam-Krieg, drei Nahost-Kriege, die gescheiterte Iran-Intervention, Manöver in Ägypten (Big Lift, Reforger). So wurde auch während der Libanon-Invasion im Sommer 82 eine erhebliche Zunahme der Militärflüge beobachtet. Hinzu kommen wird in Zukunft Transport der und Nachschub für die offensichtlich in der Türkei vorgesehene Stationierung der »Schnellen Eingreiftruppe«. [6] Darüber, wie über die im Rahmen der Nato-Aufrüstung geplanten Maßnahmen wird sich der Anteil der von der Air-Base in Beschlag genommenen Kapazität des Flughafens ganz erheblich erhöhen.
Aber selbst wenn sich der bisherige Anteil des militärischen Flugverkehrs dadurch verdoppeln würde (was reichlich hochgegriffen erscheint), würde dies die 3. Startbahn nicht unbedingt erforderlich machen - vorausgesetzt, die FAG wäre bereit, den Privatflugverkehr, der immerhin 5 % der Gesamtflugbewegungen ausmacht, entscheidend zu reduzieren (mit dieser Begründung wurde vor Jahren der in der Nähe von Rhein-Main liegende Kleinflughafen Egelsbach ausgebaut).
Was sind dann die eigentlichen Hintergründe der Startbahn?
Der Charakter des Frankfurter Flughafens als ziviler und militärischer deutet bereits darauf hin: Kapital- und Militärinteressen. Der zivile Teil lebt vom militärischen und umgekehrt.
- Wie vorher bereits ausgeführt, machte die militärstrategische Bestimmung Frankfurts durch die US-Besatzer den zivilen Teil des Flughafens zu dem, was er heute ist. So konnte 1955 selbst gegen den Widerstand der damaligen Adenauer-Regierung, die Köln bevorzugte, die Lufthansa-Basis in Frankfurt durchgesetzt werden.
- Daß Frankfurt im Gegensatz zu anderen westdeutschen und europäischen Flughäfen kein bzw. nur ein bedingtes Nachtflugverbot hat, ist ebenfalls eine Folge seiner militärischen Nutzung.
Umgekehrt profitiert der militärische Sektor davon, daß
- im »Spannungsfall« alle zivilen Anlagen und Einrichtungen beschlagnahmt werden können (d.h. die 15- und incl. Startbahn über 20fache Kapazität seines heutigen »Bedarfs« in Reserve hat).
- sich aufgrund des dualen Charakters des Flughafens v.a. die mit zivilen Maschinen getätigten militärischen von den »rein« zivilen nicht bzw. nur schwer unterscheiden lassen.
Das bestehende Frankfurter Parallelbahnsystem (Nord- und Südbahn mit einem Abstand von 503 m) kann nicht unabhängig voneinander betrieben werden. Das heißt, es kann auf beiden Bahnen gleichzeitig entweder nur gelandet oder nur gestartet werden (aus Sicherheitsgründen beträgt der Mindestabstand von unabhängig voneinander betriebenen Parallelbahnen 1.500 m). Die im Bau befindliche Startbahn West kann dagegen unabhängig von diesen betrieben werden.
Nur: aufgrund der jeweils einzuhaltenden Mindestabstände zwischen aufeinanderfolgenden Flugzeugen ist die Startkapazität generell höher als die Landekapazität. Andererseits ist die Startbahn - der Name sagt's schon - angeblich eine reine Startbahn. D.h. auf ihr darf - jedenfalls nach Planfeststellungsbeschluß - nicht gelandet werden (was allerdings technisch möglich ist). Hinzu kommt, daß sich der zivile Verkehrsablauf jeweils in vier tägliche Start- und Landespitzen einteilt. In diesen Verkehrsspitzen wird die maximale Landekapazität unter Instrumentenflugbedingungen fast immer erreicht und meist überschritten. Gerade dieser Wechsel von Start- und Landespitzen ist Voraussetzung dafür, daß schnelle Umstiegverbindungen, minimale Bodenzeiten und maximale Auslastung der Flugzeuge (d.h. die Attraktivität des Frankfurter Flughafens) erreicht werden. In diesen Spitzen beträgt die Kapazitätsteigerung durch eine neue Startbahn etwa 6 %.
Eine erheblich über diese 6 % hinausgehende Kapazitätssteigerung ist dagegen nur außerhalb der Landespitzen möglich. Mit Fertigstellung der Startbahn hätte die FAG also die Möglichkeit, selbst bei steigendem Zivilflugverkehr auch die in die (relativ kurzen) Spitzenzeiten fallenden Militärflüge besser zu verkraften und außerhalb derer den Militärs große Kapazitäten zur Verfügung zu stellen.
Die eigentliche Funktion der Startbahn wird klarer, wenn mensch sie in Zusammenhang mit den anderen laufenden und geplanten baulichen Maßnahmen am Flughafen sieht. Diese bestehen nahezu ausschließlich in einem nur gigantisch zu nennenden Ausbau der Frachtkapazitäten:
Das am Kopf der Startbahn gelegene neue Frachtzentrum schafft allein in der 1. (von insgesamt 3!) Ausbaustufen eine Jahreskapazität von 1,5 Mio. t. Zusammen mit dem 1971 in Betrieb genommenen Frachthof 3 bedeutet dies schon eine Jahreskapazität von 1,8 Mio t. Das ist fast das dreifache (!) der 1980 umgeschlagenen Fracht (642.850 t). Was bedeutet das? Einmal, daß die FAG (einschließlich Lufthansa) in der Steigerung des Frachtumschlags (und nicht der Passagierzahlen) ihre wirtschaftliche Zukunft sieht. (Die geplante weltweite Einführung elektronischer Fernkommunikationsmittel - Fernkopierer, Video-Konferenzen etc. - würde einem weiteren Anstieg der Geschäftsreisen - als zentralem Faktor für die Zahl der Fluggäste - zumindest enge Grenzen setzen.) Die Schaffung derartiger Kapazitäten (auch ohne die - bisher nur geplanten - Ausbaustufen 2 und 3) rechtfertigt dies allein aber nicht.
Eine Antwort darauf gibt das 1981 von den USA und der BRD unterzeichnete Abkommen »Wartime Host Nation Support« (Unterbringung durch Aufnahmestaaten in Krisenzeiten). Nach Aussagen des US-Generals Jim Allen vor dem Verteidigungsausschuß des amerikanischen Repräsentantenhauses sichert es den Yanks im Krisenfall »den Zugang und die Nutzung aller Einrichtungen des zivilen Teils des Rhein-Main-Flughafens in Frankfurt, eingeschlossen der Bodenfahrzeuge, der Frachtanlagen und anderer Flughafenausrüstungen« (zit. nach »Stern« vom 18.2.82). Dem liegen die seit langem bestehenden Nato-Planungen zugrunde, im »Krisenfall« sechs zusätzliche US-Divisionen in die BRD zu verlegen. Das sind 600.000 Mann plus 1.000 Kampfflugzeuge. Der Umschlagplatz für diese sechs Divisionen ist natürlich Rhein-Main. »Daraus erklärt sich der Umbau im großen Stil« (»Stern« vom 18.2.82).
In diesem »Krisenfall« ist die Startbahn selbstverständlich keine reine Startbahn mehr, sondern auch Landebahn. Als Start- und Landebahn bewirkt sich aber im Verhältnis zum bestehenden Parallelbahnsystem eine Kapazitätssteigerung von 75 % (Das hört sich erstmal unlogisch an, beruht aber auf folgendem: Eine Start- und Landebahn hat unter Instrumentenflugbedingungen eine Kapazität von 30 Flugbewegungen pro Stunde. Da die bestehenden 2 Bahnen wegen ihres geringen Abstands betriebstechnisch nur wie eine Bahn benutzt werden können, wobei jedoch - weil zwei Bahnen - bei Starts eine Rollphase - 50 Sek. - und bei Landungen die Abrollphase - 23 Sek. - eingespart werden kann, haben sie eine Kapazität von zusammen 40 Flugbewegungen/Stunde. Weil die Startbahn von den beiden anderen Bahnen unabhängig betrieben werden kann, erhöht sie - als Start- und Landebahn - die Gesamtkapazität von jetzt 40 auf 70 Bewegungen/Stunde.)
In diesem Zusammenhang ist auch der in den 70er Jahren forcierte Autobahnbau und -ausbau rund um das Frankfurter Kreuz incl. Flughafen zu sehen.
»Wartime Host Nation Support« beinhaltet weiterhin den Bau von 1.000 Munitionsdepots und Nachschublagern (Kosten ca. 1,2 Mrd.), in denen Waffen und Geräte für die sechs US-Divisionen eingelagert werden sollen.
Inhaltlich dazu gehört ferner der »Master Restationing Plan«, die nord-östliche Verlagung der im Rhein-Main-Gebiet stationierten US-Truppen.
Dies erklärt sowohl den geplanten Ausbau der B 3 zur B 3a (Paralle zur E 4) von Frankfurt aus nach Norden (Friedberg/Butzbach) wie den Ausbau der bereits bis Gelnhausen fertiggestellten B 40 zur A 66 von Frankfurt aus nach Osten (Fulda/Rhön). Ein Teil der Depots sollen entlang dieser beiden Verkehrsführungen gelegt werden.
In diesem Zusammenhang muß auch die Bedeutung des Autobahnnetzes rund um den Frankfurter Flughafen als mögliche Start- und Landebahnen v.a. für Kampfflugzeuge und die Turbopropmaschinen erwähnt werden.
Ohne die Startbahn und den laufenden Ausbau der Frachtkapazitäten würde es im sog. Krisen- oder Spannungsfall auf Rhein-Main nur noch einen sehr eingeschränkten Zivilverkehr geben. D.h. der Konzern FAG müßte - für einen unbefristeten und möglicherweise sehr langen Zeitraum - ganz erhebliche Anteile seines Umsatzes den Konkurrenten abtreten, was seine Monopolstellung rapide untergraben könnte. (Unter diesem Aspekt ist wohl die von Karry im Dezember 80 geäußerte Kritik an der Öffentlichkeitsarbeit der FAG zur Startbahnfrage zu verstehen, daß sie »der Bedeutung dieser Sache nicht entsprochen« habe. Es sei schließlich nicht Aufgabe des Landes Hessen, die unternehmerischen Fragen und Positionen des Flughafens in der Öffentlichkeit auszutragen.) Als nationaler Ausweichflughafen für den Zivilverkehr war bislang wohl der Kölner Flughafen vorgesehen, der als einziger der westdeutschen Flughäfen aufgrund seiner wirtschaftsgeographischen Lage in Verbindung mit den für Großraumflugzeuge erforderlichen Bahnen und modernsten Abfertigungseinrichtungen bei gleichzeitig brachliegenden Kapazitäten (Auslastung unter 40 %) eine Alternative zu Frankfurt darstellt.
Die Startbahn 18 West von vorneherein ausschließlich als »reines« US/NATO-Projekt zu thematisieren, bewirkt nur zwangsläufig falsche Schematisierungen und unsinnige wie unfruchtbare Auseinandersetzungen. Wie bei nahezu allen Projekten, wo die Interessen des ökonomischen und des militärischen Sektors zusammenkommen, führt auch hier jede auf ein (absolutes) Entweder-Oder reduzierte Fragestellung in die Sackgasse. Wichtig für die Perspektiven des Widerstandes ist vielmehr, den für ein Projekt dominierenden der beiden Sektoren herauszupuzzeln. Und das aus zwei Gründen:
1. Um den hinter dem Projekt stehenden Machtblock konkreter zu machen, auf seine Schwachstellen und Angreifbarkeit hin abzuklopfen, dessen schwächstes Glied wie den eigentlichen Gegner kennenzulernen und zu benennen.
2. Um herauszufinden, ob überhaupt und wenn, unter welchen Bedingungen und Voraussetzungen ein Projekt zu kippen ist: ob es zu ver- oder nur zu behindern ist und mit welchen Perspektiven für die Bewegung.
Wie wir gesehen haben, ist der militärische Sektor mehr Anlaß denn Grund des Startbahnbaus. Anlaß, weil sich sein Anteil an der Gesamtkapazität des Flughafens erhöhen wird und im - angesichts der aggressiven imperialistischen NATO-Politik absehbaren - »Krisenfall« große Teile der bestehenden Kapazitäten beschlagnahmen wird. Andererseits braucht die NATO die Startbahn nicht um jeden Preis, umso mehr aber die FAG, will sie nicht einer von den Militärs verursachten Aushöhlung ihrer Monopolstellung tatenlos zusehen. Wenn wir FAG sagen, meinen wir damit immer auch den Magistrat der Stadt Frankfurt und die Regierung des Landes Hessen als Anteilseigner der FAG, wie politisch Verantwortliche für die kapitalistische Infrastruktur der Region. Der Frankfurter Flughafen ist aufgrund seiner »Dienstleistungsfunktion« für das in der Region konzentrierte Kapital der größte »Wirtschaftsfaktor« in Hessen und darum mit ursächlich für die Kapitalkonzentration im Rhein-Main-Gebiet. Was den »Haushalt« der Stadt Frankfurt angeht, steht und fällt dieser - da er sich im wesentlichen über Gewerbesteuereinnahmen finanziert - mit der Bedeutung »seines« Flughafens.
Unbestimmter als bei diesem Trio sind dagegen die Interessen der Lufthansa am Bau der Startbahn. So reichte auch die Palette ihrer Äußerungen bezüglich der »Notwendigkeit« des Startbahnbaus von Nein, Jein, Ja bis hin zur Drohung, bei Nichtbau Kapazitäten zugunsten des geplanten Großflughafens München 2 im Erdinger Moos abzuziehen. Klar ist einerseits, daß sie im besagten »Krisenfall« sowohl einen Teil ihrer Luftflotte, als auch ihrer Frankfurter Frachtkapazitäten (1980: 750.000 t bei einem Bedarf von etwa 330.000 t) für militärische Transporte zur Verfügung stellen muß. Andererseits ist für sie als Airline Bau oder Nichtbau der Startbahn aufgrund ihrer Mobilität viel weniger existenziell als für die standortgebundene FAG.
Eindeutig sind die Interessen der letzten im Bunde, wenn sie auch mit der Startbahn an sich recht wenig zu tun hat: die Bauindustrie. An nahezu jeder Schweinerei beteiligt (AKWs, Munitionsdepots, Wohn-Knäste usw.), ist sie gleichzeitig in der Regel das schwächste Glied in der Kette, weil überall präsent und nur bedingt (am Bau, aber nicht am Projekt selbst) interessiert. Damit auch überall Angriffspunkt, ob im Baskenland (AKW Lemoniz, das mittlerweile keine Baufirma mehr fertig bauen will), in Brokdorf oder auf der Startbahn.
Auf der Seite der politisch für den Bau Verantwortlichen, der hessischen Landesregierung, bis Herbst 82 bestehend aus SPD/FDP-Koalition, gab es zwar nicht in Bezug auf den Bau, dafür umso mehr aber in Bezug auf die Vorgehensweise tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten (das gleiche gilt für das Atomprogramm). Diese resultierten aus der traditionellen Integrationsrolle (gerade) der (südhessischen) SPD. So stimmten auf dem Parteitag im November 1980 in Gießen-Allensdorf noch ca. 80 % der südhessischen Delegierten gegen die Startbahn. Ein Abfallprodukt dieses Parteitages wie der Auseinandersetzungen in den unteren Gliederungen der Partei war z.B. das Kasperle-Hearing im hessischen Landtag vom Februar 81. Umso eindeutiger und bestimmter dagegen das Vorgehen der FDP, personalisiert und kristallisiert in ihrer politischen Leitfigur Karry.
Wenn wir zuvor die Startbahn als ein - aufgrund der immer weitergehenden Vereinnahmung des Flughafens durch die NATO - für die FAG existenziell wichtiges Projekt bestimmt haben, wird klar, daß es für diese im Prinzip nicht aufgebbar ist. Hinzu kommt, daß hier der bei dem Atomprogramm evtl. noch vorhandene Spielraum in der Standortfrage von vorneherein wegfällt.
Was heißt nun »im Prinzip nicht« aufgebbar? Für uns heißt das nicht, daß ein Projekt überhaupt nicht zu verhindern ist, sondern nur unter bestimmten Bedingungen. Daß es in der Bewegung entweder gelingt, über einen langen (!) Zeitraum die Region »unregierbar« zu machen, damit die Herrschenden vor die Alternative stellt, das Projekt entweder fallen zu lassen oder eine qualitativ neue Stufe von Unterdrückung und somit politischer Herrschaftsform zu beschreiten. Oder - das ist zwar kein Gegensatz, aber auch nicht unbedingt dasselbe - die Bewegung bzw. Teile von ihr entfalten ein qualitatives und quantitatives Ausmaß an Militanz und Angriffen auf die Betreiber, daß das Projekt nicht durchziehbar ist. (Bsp.: ETA/Lemoniz).
Hopp, Hopp, Hopp, Startbahn Stopp!
Die Startbahn 18 West ist nicht verhindert worden. Heute, über eineinhalb Jahre nach der Rodung des gesamten für die Startbahn benötigten Geländes, ist ihr Bau mit der Betonierung der Pisten und der Fertigstellung des Tunnels an der Okrifteler Straße zwar zunächst eine Tatsache. Fakt ist aber auch, daß die Bewegung gegen die Startbahn trotz der allmählichen Vollendung des umkämpften Projekts nicht totzukriegen ist. Ein harter Kern von einigen Tausend tummelt sich noch immer an Sonntagnachmittagen (und nicht nur dann) rund ums Baugelände und sorgt nun bereits über eineinhalb Jahre dafür, daß Bullen und FAG-Werkschützer nicht zur Ruhe kommen.
Dieser positive Aspekt kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Bewegung - nicht nur zahlenmäßig - sehr geschrumpft ist. Die Startbahnbewegung war (und ist) in ihrer vielschichtigen Zusammensetzung eine äußerst breite, viele verschiedene Bevölkerungsgruppen umfassende Bewegung. Gleichzeitig war dadurch ihre politische Bestimmung - außer der Feindschaft dem Projekt gegenüber - aber undefiniert.
Ins Leben gerufen von Teilen des ansässigen Besitzbürgertums, das einerseits um die Lebensqualität in der Region, andererseits um den Wert des eigenen Haus- und Grundeigentums fürchtete, wurde sie Sammelbecken der unterschiedlichsten Motivationen und Gruppen:
* Naturschutz, Erhaltung des Waldes und damit eines wichtigen Naherholungsgebietes
* Wahnsinn von Großprojekten und der damit verbundenen ökologischen Zerstörungen ganz allgemein - also als ökologisches Bewußtsein, das über die eigene, unmittelbare Lebenssituation hinausgeht (Hintergrund v.a. AKW-Bewegung)
* mit zunehmender Konkretisierung des Projekts und sich abzeichnendem Durchsetzungswillen der Landesregierung gegen den Protest der betroffenen Bevölkerung, Infragestellung der Entscheidungsstrukturen sowie der dazugehörigen politischen (militärischen) und ökonomischen Kriterien
* antiimperialistische Momente auf dem NATO-Hintergrund der Startbahn (KP-Tradition in Mörfelden)
* vor allem überregional durch das Volksbegehren: Die Entdeckung des verfassungsrechtlich verankerten »demokratischen (Mitsprache-)Rechts« des Volkes verbunden mit dem Wunsch, es anzuwenden bzw. durchzusetzen (siehe auch die in der Folge entstandenen Initiativen zur Durchsetzung von Volksbegehren in Bayern und NRW)
* politische Gruppierungen aller Schattierungen: von den Jusos, den Spontis, den Autonomen der verschiedenen Städte, die zum Teil ideologisch mit den Anti-US-Imps verwandt sind, bis hin zu den Grünen
* unzufriedene, revoltierende Jugendliche, für die die Startbahn Symbol einer feindlichen, kaputtmachenden Umwelt und Gesellschaft war und ist, der Widerstand gegen die Startbahn damit Ausdruck einer - wenn auch diffus - umfassenden Ablehnung der bestehenden Verhältnisse.
Diese Pluralität ist ebenso charakteristisch für die Bewegung, wie das sich im Verlauf des Konflikts entwickelnde umfassende Spektrum von Kampfformen. Daß es weitgehend bei einem sich akzeptierenden Nebeneinander geblieben ist, ist das politische Manko. Es ist nicht gelungen - und auch kaum versucht wurden - von der Duldung der Vielfalt zu einer politischen Auseinandersetzung und Verbindung der verschiedenen Teile und Strömungen zu kommen.
Es stellt sich heute die Frage, was angesichts der selten breiten Mobilisierung und Einbindung in den Konflikt an politischem Bewußtsein und Verhalten bei den »Betroffenen« übriggeblieben bzw. entwickelt worden ist.
Ein großer Teil der Bewegung hat sich - nachdem er nach dem November 81 schon halb den Rückzug angetreten hatte - mit der Ablehnung des Volksbegehrens im Januar 82 endgültig resignativ zurückgezogen. Mit dem faktischen Bauvollzug im Laufe des Jahres 82 bröckelten weiter Leute ab; auch die Linken wandten sich mehr und mehr anderen Themen zu.
Bei den übriggebliebenen, nach wie vor Mobilisierten, relativierte sich die Gewalt-Freiheits-Frage weiter - jedenfalls ideell. Ein nicht unbeachtlicher Teil ging zu organisierten, militanten Angriffen auf Betreiber, Mauer, Gerätschaft und Kontrollorganen über, was öffentlich kaum durchkommt wegen einer vor etlichen Monaten von den Bullen verhängten Nachrichtensperre.
Dieser Radikalisierung, die in dieser Form sicher nur für bestimmte Gruppen in Frage kommt, stehen auf der traditionellen politischen, für die Bevölkerung aber immer noch bedeutsamen Ebene, negativ die regionalen Ergebnisse der Landtags- und Bundestagswahlen im September 1982 und im März 1983 gegenüber.
Die Rechnung der Grünen, die darauf setzten, daß sich das Protestpotential der Startbahnbewegung mit ein bißchen Engagement (so z.B. einige üble Schein- und Propagandablockaden im Wahlkampf beim dafür günstig gelegenen Beginn der Betonierung) in viele Wählerstimmen ummünzen ließe, ist nicht aufgegangen. Eine Erfahrung,die schon die KPF machen mußte, als sie nach der Revolte im Mai 68 [7] durch von ihr ausgehandelte hochprozentige Lohnerhöhungen glaubte, bei den von ihr betriebenen Neuwahlen massiv Wähleranteile kassieren zu können und dabei eine ordentliche Pleite erlebte. Es ist vielmehr anzunehmen, daß gerade die immer noch mehr oder weniger Aktiven - trotz z.T. bestehender Differenzen - ihr Kreuz bei den Grünen gemacht haben.
Daß viele, viel zu viele, in der einen oder anderen Form wieder zur Resignation des Alltags zurückgekehrt sind, hätte in dem Maß sicher nicht stattgefunden, wenn in den entscheidenden Phasen die Bewegung in der Lage gewesen wäre, entschlossener und offensiver vorzugehen, ihre Größe und Breite in politische Stärke umzuwandeln und damit wenigstens anzudeuten, daß Schritte in Richtung Veränderung durchaus eine reale Perspektive haben.
Um hier substanziellen sozialrevolutionären Widerstand zu organisieren, ist es eine Voraussetzung, die bestehenden Ansätze dahingehend zu entwickeln und zu intensivieren. Das Kippen eines Großprojektes wie die Startbahn könnte eine wichtige Etappe in die Richtung sein, den Herrschenden mehr als etwas Nervenaufreiben zu bescheren und das Machtgefüge gründlich durcheinanderzubringen.
Es genügt nicht, das festzustellen. Es genügt auch nicht, z.B. »Keine Startbahn West« zu fordern, ohne zu überlegen, ob und wie sich dieses Ziel erreichen läßt. Wir wollen uns wenigstens im Nachhinein fragen, wie es möglich gewesen wäre und woran es gescheitert ist.
Die nun folgende Chronologie der Ereignisse vom Oktober und November 1981 hielten wir für notwendig, um einen zusammenhängenden Überblick über die Hochphase der Bewegung zu geben. Einerseits liegt das alles schon länger zurück, andererseits ist das Wissen um den konkreten Ablauf Bedingung für eine Analyse und Diskussion. Den Oktober haben wir grob skizziert, die erste Novemberhälfte detailliert dargestellt.
* 5.10.
Nach Auslösung der Alarmkette wird das bereits im November 80 gerodete und für die Untertunnelung der Okrifteler Straße (über die die Startbahn hinwegführt) benötigte 7-Hektar-Gelände von mehreren tausend Leuten besetzt.
* 6.10.
Der am späten Vormittag aufmarschierte Bullenapparat, der sich noch an die »Spielregeln« (Pflasterstrand) des gewaltfreien Widerstands hält, zieht sich nach mehrstündigen, ergebnislosen Räumungsversuchen unverrichteter Dinge wieder zurück.
* 7.10.
Als sich im Lauf der Nacht bis zum Mittag die Reihen der Platzbesetzer auf max. 1.000 gelichtet haben, gelingt den Bullen - immer noch relativ soft - die Räumung. Gegen Abend, als immer mehr Menschen sich an den Absperrungen im Wald versammeln, gibt es die ersten massiven Knüppeleinsätze.
* 11.10.
Der »blutige Sonntag«: Nach einer Demonstration von über 10.000 zum Mitte der Woche geräumten Gelände mit anschließendem Gottesdienst und Anbuddeln der inzwischen aufgestellten Mauer, bekommen die BGS-Einheiten Knüppel frei. Unterschiedslos wird auf alles geschlagen, was sich bewegt, ob jung oder alt, Mann , Frau oder Kind.
* 12. - 31.10.
Mit immensen Arbeitseinsätzen wird das Hüttendorf befestigt und die Zufahrtswege verbarrikadiert. In der letzten Woche beginnt die FAG mit der Untertunnelung. Auf dem Flughafengelände werden große Bullenverbände zusammengezogen.
* 1.11.
Auf den Beginn der Untertunnelungsarbeiten und die für einen der nächsten zwei Tage erwartete Hüttendorfräumung reagiert die Bewegung mit den ersten massiven Angriffen auf die Mauer um das 7 ha-Gelände.
* 2.11.
Gegen 9 Uhr - zur gleichen Zeit findet in Wiesbaden eine seit langem anberaumte Pressekonferenz der BI zum Volksbegehren statt - überrennen die SEKs aus den verschiedenen Bundesländern das schlafende Hüttendorf; die Rodung von Baulos 1 beginnt. Trotz aller Hinweise hatte der dafür zuständige KO (Koordinationsausschuß; Spahn, Treber, Martin u.a.) keinen Alarm ausgelöst: die in den vergangenen Wochen errichteten Befestigungen und Barrikaden waren damit für die Katz. Hinter den eingenommenen Wällen verschanzen sich nun die Bullen. Von hier aus starten die SEKs den ganzen Tag über ihre Knüppelorgien gegen die in den Wald strömenden Menschen.
* 2.-5.11.
An diesem und in den folgenden Tagen erlebt die Region eine noch nie dagewesene Mobilisierung, deren Zentren der Wald und die Frankfurter City sind. Hinzu kommen Solidaritätsdemos und -aktionen in der ganzen BRD, ja selbst in Rom.
- in Darmstadt demonstrieren bspw. täglich bis zu 5.000 pro Demo, in Frankfurt bis zu 10.000
- in den Wald strömen - über den ganzen Tag verteilt - bis zu 18.000 Menschen
- Schulstreiks und Bahnhofsblockaden in Frankfurt, Rüsselsheim, Groß-Gerau und Darmstadt
* 2./3.11.
In dieser Nacht läßt eine RZ eine Funkfeuereinrichtung des Flughafens in Flammen aufgehen (Schaden ca. 400.000 DM); in Frankfurt werden 156 Banken entglast und ein Bagger angesteckt; in Darmstadt fliegt ein Molli auf's Kennedy-Haus.
* 3.11.
In Mörfelden demonstrieren abends 8.500 Leute. In der Frankfurter Rohrbachstraße wird gegen Mitternacht eine Demo von ca. 1.500 Leuten von süddeutschen SEKs (sog. Todesschwadrone) überfallen. Als die in Panik geratenen Leute in angrenzende Wohnungen und Häuser flüchten, dringen die Bullen auch dort ein. Kurz darauf brennt im Frankfurter Westend eine Filiale der Deutschen Bank vollständig aus.
* 4.11.
Ruhe gab es auch am Mittwoch (erst recht) nicht. Schon mittags zogen fast 3.000 Leute von der Uni vor den Frankfurter Römer. [8] Aus Sachsenhausen kamen ein paar hundert streikender Schüler dazu. Die Ereignisse der letzten Nacht wurden besprochen, eine kurze Kaffeepause eingelegt, um am Nachmittag dann durch die Innenstadt zum Hessischen Rundfunk zu ziehen. Über 10.000 Demonstranten wollten dort eine Live-Diskussion zwischen Startbahngegnern und der Politikerriege Börner [9], Gries [10], Dregger [11] erreichen. Ein paar hundert von ihnen ignorierten die locker verschlossenen Glastüren und hielten das Hauptgebäude des HR für eine halbe Stunde besetzt (Taz vom 6.11.81)
* 5.11.
Die BI kündigt für Samstag die Besetzung von Baulos 1 an.
* 6.11.
Um 4 Uhr früh beginnen die Bullen das - am 3.11.begonnene - 2. Hüttendorf zu räumen. Noch während die Räumung im Gange ist, detoniert - wegen der Rodung des Waldes durch österreichische Holzfäller - vor dem österreichischen Generalkonsulat in Frankfurt eine Bombe (RZ); im Westend brennt die Filiale der Stadtsparkasse aus. Vormittags demonstrieren »einige tausend Schüler« (FR) sowohl in Rüsselsheim als auch in Frankfurt. Nachmittags und abends in Frankfurt 15.000 (mit anschließendem ersten Open-Air-Konzert auf der Hauptwache), 3.000 in Offenbach, mehrere Hundert in Heusenstamm, Neu-Isenburg, Langen und Bad Nauheim. In Friedberg wird das Büro des SPD-Unterbezirks Wetterau besetzt, in Kassel besetzen 300 Leute das Redaktionsgebäude der »Hessisch-Niedersächsischen Allgemeinen«. Die Gewerkschaft der Polizei verteilt ein Flugblatt unter dem Titel »Wir haben die Schnauze voll« und kündigt eine eigene Demonstration für den Dezember an. Der südhessische SPD-Vorsitzende und stellvertretende Landesvorsitzende Görlach schlägt eine »Dialogpause« spätestens für den Zeitpunkt vor, zu dem der Antrag für das Volksbegehren vor dem hessischen Staatsgerichtshof verhandelt werde. Begründung: Damit die gewalttätigen Auseinandersetzungen wieder in friedliche Bahnen gelenkt werden. Zwischen den KO-Mitgliedern Spahn und Martin und dem Polizeidirektor Vogel und dessen Stellvertreter Wetzel findet abends eine mysteriöse Unterredung unter acht Augen bzgl. der bevorstehenden Platzbesetzung statt. Als »Taxi« benutzen Spahn und Martin einen Streifenwagen. Zitat aus einem Papier Martins vom 11.11.: »Wir haben in diesem Gespräch Vogel und Wetzel von unserer Aktion unterrichtet ...«
* 7.11.81 Der »Nacktensamstag«:
Trotz geringer Mobilisierung (-szeit) ziehen 30-40.000 in den Wald, von denen der Großteil für eine Konfrontation mit den ca. 4.000 Bullen auf Baulos 1 gerüstet ist. (Zeitgleich laufen in mehreren westdeutschen Städten Solidaritätsdemos, so z.B. 4.000 in Stuttgart, wo der Hauptbahnhof lahmgelegt und der Busbahnhof des Flughafens besetzt wird, in Freiburg sind es ebenfalls 3.000 bis 4.000, in Michelstadt/ Odenwald wird das FDP-Büro besetzt.)
Gemäß einem (angeblichen) Beschluß des erweiterten KO vom Vorabend überqueren 50-60 »nackte« BI'ler als Spitze eines »Keils«, den die Massen bilden sollen, ungehindert auf Teppichen den Natodraht. Hinter den »Nackten« schließen sich sofort die Ketten von Bullen und BI-Ordnern, die einen jenseits, die anderen diesseits der Absperrung. Der größte Teil der »Nackten« in von diesem Verlauf ebenso überrascht wie die Menschen auf der anderen Seite des Zauns.
Die unruhige Menge wird in Schach gehalten, indem der »Nackte« Jürgen Martin sich und seine »Leidensgenossen« über Bullenlautsprecher (!) zu Geiseln erklärt, deren Leib und Leben in Gefahr sei, wenn die Menge keine Ruhe halte (O-Ton). Die diesseits des Natodrahts postierten Ordner erklären jede/n zum Provokateur, der/die an diesem rumhantieren. Präsentiert wird dann die Forderung nach einem Gespräch mit Innenminister Gries, die auch alsbald erfüllt wird, da Gries offensichtlich in räumlicher Nähe bereits auf diese Forderung wartet.
Derweil wird an den Flanken von Baulos 1 der Mauerbau ungehindert vorangetrieben.
Als es bereits dunkelt, werden die »Verhandlungsergebnisse« der 5-köpfigen »Nackten«-Delegation mit dem Minister bekanntgegeben, als »großer politischer Sieg« verkauft und die »Scheiße« brüllenden, seit Stunden ausharrenden Leute aufgefordert, nach Hause zu gehen. Eine Wasserwerfer-Besatzung bringt die Situation auf den Begriff, indem sie über Lautsprecher die Bundesliga-Ergebnisse verkündet. Niedergeschlagen bis wütend ziehen die Zehntausenden aus dem Wald, der kurz darauf leergefegt wie selten zuvor ist. Auf der Nachhausefahrt wird das »Frankfurter Kreuz« durch an die 100 quergestellte Pkw's blockiert. Auch die Strecke Frankfurt-Darmstadt wird durch mit Warnblinkern fahrende Wagen, die zeitweilig stehen bleiben, total verstopft. Ähnliches ereignet sich auf den Autobahnen Richtung Würzburg und Köln.
Am frühen Abend fliegt in den Vorgarten eines leitenden FAZ-Redakteurs in der Frankfurter Nordweststadt ein Molli.
* 8.11.
Mehrere hundert Leute statten in Bickenbach den dort wohnenden Ministern Hoffie und Schneider einen Besuch ab. Der SPD-Unterbezirks-Parteitag in Wiesbaden fordert die Einstellung aller Bauarbeiten bis zur Entscheidung des Staatsgerichtshofs. Der Vorsitzende dieses Unterbezirks und Pro-Startbahn-Landtagsabgeordnete Frank Breucker wird wie folgt zitiert: »Die Startbahn ist politisch nicht mehr durchsetzbar« und »so wie es jetzt aussieht, stehen wir das nicht durch« (FR vom 9.11.81)
* 9.11.
Der DGB-Landesvorstand (dessen Vorsitzender Richert in Personalunion auch das Amt des Landesvorsitzenden der SPD auf sich vereinigt) schlägt eine »Atempause« vor. Bis zur Entscheidung des Staatsgerichtshofs sollen alle Bauarbeiten und Demos eingestellt werden.
In den Städten der Region flaut die Bewegung in dieser Woche rapide ab. So sind auf der täglichen Frankfurter 17-Uhr-Demo nur noch etwa 1.500 Leute - im Gegensatz zu den 15.000 vom Freitag.
* 10.11.
Die »Sonderkommission Karry« veranstaltet eine bundesweite Razzia mit Schwerpunkt Frankfurt. Offensichtliches Ziel: in die aufgebrochenen Kontroversen um den Samstag mit einer Aktion gegen die Militanten in den Städten einzugreifen, um diese einzuschüchtern und von den aufgebrachten und radikalisierten Bürgern der Region zu isolieren.
Willy Brandt und Volker Hauff [12] reisen nach Wiesbaden, um die ins Wanken geratene SPD-Landtagsfraktion wieder auf Linie zu bringen. Zeitgleich findet eine Kabinettsitzung statt, auf der ein »Moratorium« abgelehnt wird.
* 11.11.81
Abends findet die erste VV (ca. 800 Teilnehmer) seit Samstag statt. Der KO kommt mit seiner öffentlichen Selbstkritik und dem Verweis auf die Gefahr einer Spaltung der Kritik der Bewegung zum Teil zuvor. Weitgehender Konsens ist, daß die Pleite vom Samstag so nicht stehen bleiben kann. Deshalb beschließt die VV, der Landesregierung für Sonntag, 12.30 Uhr, ein Ultimatum für einen Baustopp zu setzen, andernfalls werde der Platz besetzt.
* 12.11.81
Die abends tagende Delegiertenversammlung schmeißt den VV-Beschluß dergestalt um, daß bei Beibehaltung des Ultimatums die angedrohte Platzbesetzung durch eine Blockade des Terminals ersetzt wird.
* 14.11.81
In Wiesbaden findet die - seit Monaten terminierte - Abgabe der Unterschriftenlisten für das Volksbegehren im Rahmen einer Massendemonstration statt, an der zwischen 120.000 und 150.000 Menschen teilnehmen. Diese Demonstration spiegelt das gesamte Protestpotential der Startbahn-Bewegung wieder (Kirche, Gewerkschaften, Naturschutzverbände, Parteijugend etc.)
Auf der Abschlußkundgebung verkündet Alexander Schubart [13] das Ultimatum in Gestalt des Delegiertenversammlung-Beschlusses vom 12.11. (Flughafenblockade); dafür bekommt er im Januar 83 vom hessischen Staatsschutzsenat 2 Jahre auf Bewährung wegen Nötigung eines Verfassungsorgans.
Für den VV-Beschluß (Platzbesetzung) mobilisiert dagegen niemand! In Berlin (3.000) und Bremen (600) laufen Solidaritätsdemos.
* 15.1.82
Nach Ablauf des Ultimatums sind zwischen 15.000 und 20.000 »draußen«, der Großteil am Flughafen. Da der Flughafen von Bullen und FAG-Werkschutz abgeriegelt ist, verlagern sich die Auseinandersetzungen immer mehr auf die angrenzende Autobahn, die damit ebenfalls im Umkreis von 50 Kilometern dicht ist. Zeitgleich läuft einige Kilometer entfernt, der Sturm von ca. 3-5.000, darunter viele »Bürger« gegen die inzwischen fertiggestellte Mauer von Baulos 1, die dabei zwar erheblich beschädigt, aber nicht überwunden wird.
Abends gibt's am Ortseingang von Walldorf Putz mit 2 Hundertschaften, als Walldorfer und Mörfeldener die zur Sperrung der Okriftler Straße verwendeten Container abräumen.
* 16./17.11.81
In Bezug auf die Auseinandersetzungen am Flughafen (demgegenüber werden die Auseinandersetzungen an der Mauer kaum erwähnt) überschlagen sich die Berichte und Kommentare in den Medien in ihrem Gegeifere. In diesen Chor reihen sich die BI-Sprecher ein und distanzieren sich im Nachhinein von dem »Kuckucksei«, das sie selbst gelegt haben: Leo Spahn distanziert sich von dem Ablauf der Flughafenbockade als Sache irgendwelcher Angereister, klammert aber die Aktionen an der Mauer ausdrücklich aus seiner Distanzierung aus; als Grund mutmaßt die FR wohl nicht zu Unrecht: »An den gewaltsamen Auseinandersetzungen an der Mauer beteiligten sich erstmals auch zahlreiche ältere Bürger vor allem aus dem Raum Mörfelden-Walldorf »(FR v. 16.11.81)
Gegenüber DPA erklärt A. Schubart: Vielleicht sei der Aufruf zur Flughafenblockade das falsche Mittel gewesen. Doch ohne den Aufruf wäre es zu noch größeren Auseinandersetzungen an der Mauer gekommen. So habe der Plan für einen »Totaldurchbruch« bestanden (zitiert nach Frankfurter Rundschau am Abend vom 16.11.81). Und: »Mir ging es darum, den zu erwartenden ganz großen Ramba-Zamba zu kanalisieren.« (Spiegel vom 23.11.81)
Wir gehen nicht unter in Niederlagen ...
Die Bewegung, die sich zwischen dem 2.11. und 6.11. sowohl im Wald wie auf den Straßen und Plätzen der Region - vor allem in Frankfurt in einer nahezu ununterbrochenen 24stündigen Mobilität - artikulierte und präsentierte, war weitgehend spontan, unorganisiert und vielschichtig zusammengesetzt. Der Startbahnkonflikt hatte als »Aufhänger« lange unterdrückte und kanalisierte Gefühle und Energien freigesetzt, die so bunt und vielfältig waren wie die Bewegung. Das machte sie nicht nur unberechenbar und schwer kontrollierbar für die Bullen, sondern auch für jeden Führungsanspruch.
»Während noch Gerichte tagen, die Kirche verhandelt und das Volksbegehren jetzt erst so richtig in Hochform läuft, hat ein plötzlicher und unerwartet harter Angriff der Staatsgewalt dieses Gefüge noch mehr durcheinandergebracht. Der Angriff hat eine massenhafte Mobilisierung bewirkt. Die Eigendynamik der Aktivitäten eilt den BIs weit voraus und ist zum kleinen Teil von ihnen initiiert geschweige denn unter ihrer Kontrolle. War für viele vorher nicht mal klar, was denn •aktiv und •gewaltfrei sein sollte, wächst urwüchsig und massenhaft die Bereitschaft, sich zu •wehren. Wehren aus Selbstschutz, sich die Kommandotruppen mit Stockwürfen vom Hals zu halten, Polizei- und Baufahrzeuge unschädlich zu machen. Es herrscht eine Stimmung, die das Demolieren von Banken und Reisebüros immer mehr zur Verlockung macht, weil die Demos sowieso verboten und brachial zusammengeschlagen werden. Polizeiwaffen und Elitesoldaten lassen keinerlei Chance zur Gegenwehr in Form einer Straßenschlacht zu. Das sehen jetzt auch die Alten, die Kommunalpolitiker, die Pfarrer, befragte Gemeindearbeiter von Walldorf, ihr Bürgermeister vor einer Straßensperre und Hausfrauen. Eine Gruppe älterer Frauen aus Walldorf, die nach Diskussion mit einer Gruppe Jugendlicher Scheißebeutel abfüllen: •Sie werfen nur, wenn die Kommandos ausbrechen. Wir können ihnen keine besseren Mittel geben, sie müssen sich schützen und •Sowas ist doch harmlos gegen diese Chaoten, gemeint sind die Beamten der Polizei. Die Bevölkerung radikalisiert sich zunehmend. Da fällt oft das Wort von •in die Luft sprengen, einige Jungen fangen an und viele überlegen herausragende Punkte des Wahnsinns (Flughafeneinrichtungen und Baumaschinen) zu zerstören, abzufackeln, mit dem Gefühl, wir haben wenig Chancen, aber wir können auch nicht anders, um uns selbst zu behaupten.« (Burg, Taz v. 6.11.81)
In der Geschichte der Startbahn-Bewegung sehen wir die erste Novemberhälfte 81 als die Phase an, in der sich entschied, ob die Bewegung eine Stärke entwickelt, die eine Verhinderung der Startbahn in Aussicht stellt, in der Lage ist, zumindest punktuell die Machtfrage zu stellen und die Herrschenden zu einem Zugeständnis zu zwingen.
Um diese Stärke zu gewinnen, hätte die quantitative Ausdehnung dieser Tage in qualitative Stabilität und Kontinuität umschlagen müssen, um ihre Anziehungskraft und ihren Wirkungsgrad zu erhöhen. Das ist nicht geschehn. Im Gegenteil war die Bewegung nie wieder so attraktiv wie zu diesem Zeitpunkt.
Die für den 7.11. (kurzfristig) angesetzte Platzbesetzung macht die Zähmung der im Aufwind befindlichen und »außer Rand und Band« zu geraten drohenden Bewegung für die Erhaltung des Führungsanspruches der BI (bzw. ihres Führungskreises) selbst um den Preis der Demobilisierung notwendig.
Die Bewegung bot wegen ihres unorganisierten Charakters bei entsprechender Regie die idealen Voraussetzungen für die Wiedergewinnung der Kontrolle und politischen Hegemonie. Die Initiative über den Ablauf konnte nur gesichert werden, indem die Demonstration der »nackten Gewaltlosigkeit« als Spitze des nachfolgenden Sturms auf den Platz verkauft und als medienwirksames Spektakel zugleich inszeniert wurde; alles weitere war dann nur noch das Problem einer dramaturgischen Regie, in der BI und Bullen ihren gleichberechtigten Part hatten.
Das gleiche Spiel setzte sich in der darauffolgenden Woche fort, wenn auch mit stark reduzierter Massenmobilisierung und in variierter Form.
Der Führungsanspruch war zwar am 7.11. behauptet worden, gesichert war er, angesichts der heftigen Emotionen und Reaktionen auf die Niederlage aber keineswegs. Der Plenums-Beschluß vom 11.11. war ein eindeutiger und unter den gegebenen Bedingungen - schlagartige Demobilisierung nach dem 7.11., Ausbleiben neuer dezentraler Aktionen und Aktionsformen - politisch einzig richtiger Beschluß, die Manifestationsoffensive auf der sog. politischen Schiene (Volksbegehren) über die Massendemonstration in Wiesbaden am 14. mit einer Wiederbelebung und -aufnahme der praktischen Offensive am 15. zu verbinden.
Diese konnte nur auf dem Bauplatz erfolgen.
Zum einen, weil der Kampf nur dort wieder aufgenommen werden konnte, wo er zuvor sein vorläufiges Ende gefunden hatte; den 7.11. mit einem erneuten, aber zielstrebigen und komromißlosen Platzbesetzungsversuch praktisch aufzuheben und - soweit überhaupt möglich - mit all seinen fatalen Folgen »auszuradieren«. Daß er damit in starkem Maße den von den AKW-Kämpfen her bekannten Charakter einer ersten »Entscheidungsschlacht« annehmen würde, war dabei unumgänglich. Zum anderen, weil aufgrund der fortschreitenden Rodungs- und Bauarbeiten die Konfrontation vorrangig dort angedroht werden mußte, wo der Kern des Konflikts lag (und zudem von der bürgerlichen Presse am wenigsten ausschlachtbar war); und der lag nun mal im Wald und nicht am Terminal. (Um nicht zum wiederholten Mal diesbezüglich mißverstanden zu werden, wollen wir hier klarstellen, daß unser damaliger wie heutiger Verweis auf den Wald als »Knackpunkt« des Widerstandes nicht im geringsten meint, andere Widerstandsebenen und Angriffspunkte rausfallen zu lassen. Im Gegenteil: Flughafenblockaden - und noch mehr - hätten im Idealfall jeden Tag stattfinden können und müssen. Wenn wir mehr gewesen wären, auch am 15., aber als Unterstützung und nicht Ersatz für eine Bauplatzbesetzung.)
Der Plenumsbeschluß, über die Teilnehmenden hinaus nicht öffentlich bekanntgegeben, wurde mißachtet - jedenfalls nicht dafür moblisiert. Auch nicht von den Linksradikalen, die zum Großteil auch dem von Schubart verkündeten Aufruf zum Flughafen folgten und so - wenn auch unbewußt und ungewollt - an der nun endgültigen Demobilisierung der autonomen Massenbewegung mitwirkten.
Damit war genauso endgültig die Initiative an die Herrschenden abgegeben worden, die von nun an das Heft in der Hand behielten. Die Chance, die Startbahn - wenn auch vorläufig und befristet - »politisch nicht durchsetzbar« zu machen, war vertan.
... sondern in Kämpfen, die wir nicht kämpfen
Dafür, daß der so mobilen und breiten Massenbewegung der ersten Novemberwoche nach dem »Nacktensamstag« der Atem stockte, sehen wir verschiedene Gründe als ausschlaggebend an:
1. Konkret: Der Ablauf des Samstag und dessen demoralisierende Wirkung. Wesentlich war dabei nicht, daß das eigentliche Ziel, die Platzbesetzung, nicht erreicht wurde, sondern was da und wie es ablief. Das Gefühl, total verarscht und verschaukelt worden zu sein, die Unfähigkeit und Hilflosigkeit, den Teufelskreis aus Verarschung auf der einen (»eigenen«) und Verhöhnung auf der anderen (Bullen) Seite zu sprengen, erlebt zu haben, war den »Kids« und den »Alten«, dem »Militanten« wie dem »Bürger« weitgehend gemeinsam. Das trifft ins Mark und lähmt, ist um ein Vielfaches schlimmer als es jede noch so harte - und körperlich schmerzhafte - Niederlage bei einem realen Besetzungsversuch hätte sein können.
Das ist der Unterschied zwischen militärischer und politischer Niederlage, der da zum Tragen gekommen ist. In den Tagen zuvor waren sowohl barbarische Prügel von den Bullen wie auch die schmerzliche, aber punktuelle Niederlage der Hüttendorfräumung, in deren Befestigungen und Verteidigungswällen immerhin wochenlange Arbeit und 'ne Menge Hoffnung steckte, ein- und weggepackt worden. Beides hatte nicht zu Resignation und Demobilisierung geführt, sondern das genaue Gegenteil zur Folge. Die für diesen Tag vorgesehene Platzbesetzung hatte nicht den Charakter einer Entscheidungsschlacht, mit der alles steht oder fällt. Es war aus der Entwicklung der vorherigen Tage klar, daß sie ansteht. Das Fatale war, daß aus den eigenen Reihen der Versuch, die gewonnene Stärke der Bewegung auf die Probe zu stellen, vereitelt wurde, ihr quasi von innen heraus die Spitze genommen wurde.
2. Die Quantität der Bewegung ist nicht in Qualität umgeschlagen. Ihre einzige Stärke war ihre Größe und Mobilität. Eine darüber hinausgehende Zielgerichtetheit fehlte ihr. In der Woche vor dem 7.11. sind keine massenhaft durchführbaren Aktionsformen gegen die politischen und vor allem ökonomischen Strukturen der Betreiber gefunden und erprobt worden, die den Druck auf die Herrschenden insgesamt noch verstärkt hätten. Aktionen, die der Bewegung über das »Wir sind Zehntausende« hinaus ein eigenständiges politisches Gewicht und Selbstbewußtsein hätte geben können und als Folge dessen eine Perspektive aufgezeigt hätten, an die nach dem Einbruch vom Wochenende hätte angeknüpft werden können.
Die unzähligen Demos und Umzüge, für die die tägliche Frankfurter 17-Uhr-Demo exemplarisch war, blieben real darauf beschränkt, allein durch ihre Summe wie darüber, daß irgendwo, gleich welche Uhrzeit, immer was lief, die Bullen permanent auf Trab zu halten und so langsam aber sicher physisch zu verschleißen (was im übrigen so manchen amoklaufenden Bullen erklärt).
Darüberhinausgehende Aktionen wie z.B. Blockaden von FAG-freundlichen Zeitungen, in der Stadt ansässigen Startbahn-Baufirmen, Besuch von Fluggesellschaften, FAG-Aufsichtsräten etc. oder auch das Einbeziehen des Betriebsgeländes von Großbetrieben in Demorouten fanden dagegen so gut wie nicht statt.
An Vorschlägen in dieser Richtung hat es zwar nicht unbedingt gefehlt (FAZ-Blockade, Flughafenblockade, Hausbesuch bei Wallmann [14] usw.). Versuche, wie z.B. die Besetzung des Hessischen Rundfunk konnten jedoch vor allem von den zu diesen Anlässen in ausreichender Zahl anwesenden Alt-Spontis (u.a. ASTA) und immer mit Megaphonen ausgerüsteten KB'lern meist »erfolgreich« abgebogen werden.
Im Gegensatz dazu hat es unseres Wissens nicht mal Versuche gegeben, zeitlich parallel zu den Demos oder unabhängig davon größere Gruppenaktionen gegen die Betreiber- und Kapitalstrukturen in der Stadt zu unternehmen. Damit meinen wir weniger irgendwelche »hit and run«-Geschichten, sondern Aktionen wie beispielsweise die Holzfällerblockade in Eppertshausen während Baulos 2 (dort hatten etwa 70 Leute morgens die österreichischen Holzfäller für ca. 4 Stunden am Verlassen ihrer Unterkünfte gehindert).
Wir denken, daß es wichtig gewesen wäre, wenn seitens organisierter und bewußter größerer Gruppen solche Aktionen vorbereitet gewesen wären, um die Ratlosigkeit in bestimmten Situationen durch Benennung und Umsetzung eines konkreten Ziels aufzuheben. Bei einem guten »Timing« und der Bekanntgabe auf den Demos wären das gute Gelegenheiten gewesen, Impulse zu geben und große Teile der Demo dorthin zu mobilisieren. Die Bereitschaft eines Gutteils unterstellt, hätten so die Abwiegeleien unterlaufen werden können. Die haben nämlich nur dann eine Chance, wenn die Alternativen voller »wenns und abers« bzw. »vielleichts« stecken, nicht aber, wenn sie sich real anbieten.
Notwendig und sinnvoll wären auch vielfältige Gruppenaktionen in verschiedener Form zur Blockade des Flughafens gewesen - und zwar so oft wie möglich. Hier hätte die Bewegung Punkte auf ökonomischem Gebiet (Fluggesellschaften) gegen die FAG sammeln können.
Eine ganz anders gelagerte Kampfform wäre gewesen, den in den Großbetrieben der Region z.T. breit vorhandenen Protest gegen die Startbahn in Aktionen im Betrieb umzusetzen. Ein Beispiel, wo diese Voraussetzungen vorlagen und sich von hier hätten ausdehnen können, ist Opel/Rüsselsheim. Von den dort rund 35.000 Beschäftigten lebt ein gutes Drittel im direkten Umland des Flughafens. Während und nach der Räumung des Hüttendorfes gingen die spontanen Krankmeldungen und Urlaubsgesuche in die Tausende. Viele hatten, als sie von der Räumung erfuhren, Arbeit Arbeit sein lassen und sind raus in den Wald. Es wurde zwar von Streik geredet, initiativ wurde aber niemand - abgesehen davon, daß massenhaftes Krankfeiern auch 'ne Art von, allerdings passivem, Streik sind. Außerdem hätte es nicht unbedingt ein vielleicht zu riskanter Streik(versuch) sein müssen, denn mit massiver bzw. gut geplanter Sabotage hätte der Laden auch stillgestanden.
Dies als Beispiel für einen Ansatz, den wir als sehr wesentlich erachten und an dem weitergedacht werden müßte. Einerseits, um in aktuellen Konflikten den ökonomischen und politischen Druck zu erhöhen, andererseits, um die Kampfplätze zu verlagern und politisch-inhaltlich zu erweitern. Den Konflikt in die Produktionsstätten tragen.
Auch wenn die oben genannten Punkte nur angerissen und unvollständig sind, zeigen sie doch wo(ran) es »gehängt« hat, daß die Quantität der Bewegung nicht in eine ihr angemessenen Qualität umgeschlagen ist.
Die gebrochene Geschichte der Linken in der Region und, damit zusammenhängend, nicht vorhandene Strukturen bilden die wesentliche Ursache für diese Mängel. In vielen Situationen wäre es gerade auf die Existenz einer verbindlichen (nicht straffen) Organisierung der radikalen Linken angekommen, die bereit und in der Lage ist, zu intervenieren - so am 7.11., danach und überhaupt in den beschriebenen Situationen. Alles darauf zu reduzieren und damit auf sich beruhen lassen, wäre einfach, aber falsch. Es gibt eine Menge ausgebliebener Antworten auf die allzeit vorhandenen Schwierigkeiten und Probleme der Startbahn-Bewegung, die vielleicht oft gedacht, aber kaum ernsthaft und zielstrebig diskutiert, geschweige denn versucht worden sind.
1. Ein Problem der Linken ist, daß ihre Politik von größeren Teilen der Bevölkerung isoliert ist, aus ihrem Ghetto nicht rauskommt und zum Teil auch wenig dafür tut.
Im Startbahn-Konflikt war es die Bevölkerung, die durch ihren Protest die Linke erst mobil machte. Anstatt hier aber die politische Initiative zu ergreifen, versteckte mensch sich hinter dem angeblich nicht genug entwickelten Bewußtsein der sog. Bürger (Beispiel: Air-Base-Demo 4.12. - die dann in der Frankfurter Innenstadt stattfand - : von den Veranstaltern wurde vorher absolute Gewaltlosigkeit festgelegt. Begründung: Gewalt könnte die Bürger abschrecken, sich mit dem Aspekt Nato-Startbahn zu beschäftigen). Von Anfang an wurde allzu ängstlich auf die vielschichtige Zusammensetzung der Bewegung gestarrt, ganz bestimmte Bürger mit »dem Bürger« - von dem erstere immerzu redeten - verwechselt; ein »Bürger«, den es nie gab und auch heute nicht gibt. Orientiert wurde sich (deshalb?) zumeist an einem vorgegebenen »Minimalkonsens«, der zwar nicht verbal, dafür aber praktisch als statischer und nicht permanent offensiv in Frage zu stellender und veränderbarer angegangen wurde.
2. Der Begriff der »Gewaltfreiheit« ist nie politisch und offensiv diskutiert worden. Von den ideologischen Propagandisten der »Gewaltfreiheit« ist sie immer legalistisch begriffen und betrieben worden (was in der Friedensbewegung wieder deutlich wird). Das hätte frühzeitig Gegenstand von Auseinandersetzungen sein müssen unter den Parolen: Statt Minimalkonsens - gegenseitige Tolerierung der real unterschiedlichen Aktionsformen; gegen Vereinnahmung und Dominanz der Bewegung durch die legalistische Tendenz.
Damit hätten diejenigen, die Gewaltfreiheit als praktische Kampfform begreifen, von denen, die den Begriff benutzten, um die Bewegung symbolisch, gesetzestreu und kontrollierbar zu halten, getrennt und dazu gebracht werden können, sich selbst aktiv einzubringen.
3. Die Frage der Spaltung wurde - ausgenommen die Führungsriege, die damit keimende Kontroversen einzudämmen suchte - nie thematisiert. Spaltung thematisieren heißt keineswegs, auf sie hinzuarbeiten. Es geht einfach um die Offenheit und Offensivität in der Diskussion.
So sind weder Worte und Taten der BI-Führung politisch angegriffen worden (und da hätte es eine Menge Punkte gegeben), noch sind Strategie und Praxis des Widerstands politisch offensiv angegangen worden - und wenn darüber eine Spaltung als Klärungsprozeß risikiert worden wäre. Das hätte allerdings genaue und inhaltlich klare Diskussionen, sowie die Übernahme von Verantwortung erfordert. Statt dessen wurde Verantwortlichkeit von den »Radikalen« zu weiten Teilen genauso delegiert wie vom »Bürger« und lieber der vorgegebene Platz im vorgegebenen Rahmen eingenommen (Diese fehlende Verantwortlichkeit setzt sich bis heute fort in der Verdrängung einer Auseinandersetzung und Aufarbeitung der gemachten Erfahrungen.).
Frankfurter K(r)ämpfe
Daß der Bewegung ein Katalysator fehlte, der in bestimmten Situationen die Initiative ergreift, Entwicklungen unterstützt, beschleunigt und zu ihrer Festigung beiträgt, haben wir zur Genüge beschrieben.
Den Linksradikalen der Region ist es nicht gelungen, diese Funktion zu übernehmen. Sie haben es auch kaum versucht oder konnten es nicht (objektiv gesehen).
Die politische Praxis zeichnete sich vor allem durch plakative Verbalradikalität aus, die Militanz theoretisch für sich beanspruchte. Die Einlösung dieses Anspruchs bereitete enorme Probleme, was sich im Verlauf der Auseinandersetzungen in einer höchstens ansatzweisen Umsetzung ausdrückte. Ersatzweise wurde die sich draußen unabhängig entwickelnde Militanz verbal für sich vereinnahmt.
Die seit November 81 traditionellen sonntäglichen Angriffe auf die Mauer - neben den nächtlichen Mauerknackereien und Anschlägen auf Baufahrzeuge und Lichtmasten - wurden von Beginn an fast ausschließlich von den Jugendlichen aus der Region getragen, unterstützt von den »Alten«, die diese durch ihre Anwesenheit sowie durch »Feindaufklärung« und Kurierdienste deckten.
Die »Autonomen« aus den Städten hinkten da immer ziemlich hinterher. Und nicht nur das, sie ließen die lokale Bewegung, die nur zu einem geringen Teil von den örtlichen BIs repräsentiert wurde - auch auf sich allein gestellt.
Daraus, daß am 7.11. (sag bloß eine/r, wir hätten da 'nen Fimmel) eine Intervention gegen die inszenierte Niederlage nicht möglich war, kann mensch niemandem einen Vorwurf machen. Daß das, wie vorherige Linkereien der BI-Spitze und noch folgende, politisch nicht aufgearbeitet wurde und Gegenstand härterer Kontroversen war, schon. Wir halten jedenfalls nichts von taktischen Bündnissen bzw. Anbiedereien, bei denen andauernd beide Augen und Ohren zugedrückt werden müssen. (Lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende).
Das Vorgehen auf der politisch-organisatorischen Ebene war geprägt von der Fixierung auf und die Anpassung an den offiziellen BI-Apparat. Die Linksradikalen bildeten z.T. dessen »Linke Fraktion«. Hintergrund davon ist u.a. das dominierende politische Interesse, die eigenen Inhalte - im wesentlichen unter dem Stichwort »NATO-Startbahn« zusammenzufassen - zum Hauptbestandteil der offiziellen Anti-Startbahn-Propaganda machen zu wollen.
Auch im Verhältnis zur Bewegung beschränkte sich die Radikalität allzu oft auf den Versuch, antiimperialistische Inhalte zu vermitteln und zu verbreitern, als ob das Verhältnis von Bewußtsein und Kampf ein lineares und nicht ein dialektisches wäre. Ganz davon abgesehen, daß der propagierte Antiimperialismus ein verkürzter, weil inhaltlich reduziert auf die jungen Nationalstaaten und national-staatlichen Befreiungsbewegungen der »3.Welt« und faktisch losgelöst von der Klassenfrage in den Metropolen war und ist (und damit im übrigen auch immer der Gefahr unterliegt, mit dem - u.a. in der Friedensbewegung vorhandenen - neuen Nationalismus konform zu gehen und zum puren Anti-Amerikanismus zu verkommen.).
Die linksradikale Scene in der Region kann nur auf eine sehr kurze Geschichte und Erfahrung zurückblicken. Nicht vorhandene Strukturen und das Politikverständnis, das wir eben versucht haben zu beschreiben und kritisieren, führen wir zu einem Großteil darauf zurück, weil die politische Sozialisierung von Menschen letztlich doch weitgehend von ihrem Umfeld und den daraus resultierenden Anstößen wie Beschränkungen abhängig ist.
Der nun folgende Versuch einer Analyse soll einerseits diese Tatsache begründen, aber vor allem auch ein Anstoß sein, mit diesem Manko anders umzugehen.
Nach der Auflösung des SDS [15] hatten sich 69/70 in Frankfurt eine Menge Initiativen und Gruppen gebildet, die die Ausweitung ins soziale Terrain unternahmen (v.a. Lehrlingsgruppen, Stadtteil- und Betriebsgruppen). Die über Untersuchungsarbeit und den daraus formulierten praktischen Schritten auch zum Hebel der Kämpfe Anfang der 70er wurden.
Die Orientierung lief über die italienischen (Arbeiter-)Kämpfe und die in diesen entwicklte Klassenanalyse: Die Bestimmung des Massenarbeiters als der Arbeitersektion, die aufgrund ihrer zahlenmäßigen Stärke wie ihrer - aus der objektiven Stellung im Produktionsprozeß folgenden - antagonistischen Beziehung zur kapitalistischen Technologie (Fließband) tendenziell Motor des revolutionären Prozesses ist; weiterhin die Ausweitung und Übertragung der antagonistischen Massenarbeiterforderung nach Lohn als Einkommen (Mehr Lohn - weniger Arbeit) auf die Stadt: Häuser besetzen - die Miete nicht bezahlen; darüber Vereinheitlichung der Kämpfe in den Fabriken und in der Region.
Praktisch wurde dieser Ansatz in einer mehrjährigen Betriebsarbeit bei Opel Rüsselsheim (RK - Revolutionärer Kampf) und dem Frankfurter Häuserkampf (70-74). Ausgangspunkt des sozial vielschichtig zusammengesetzten Häuserkampfs war die Umstrukturierung des Frankfurter Westends zur Niederlassung des Finanzkapitals (Banken und Versicherungen).
Durch Teilabriß bzw. Zerstörung von bewohnten Häusern und bewaffnete Schlägertrupps der Spekulanten sollten die Bewohner vertrieben werden. Parallel zu einer Reihe von Hausbesetzungen (seit 1970) liefen ab 1971 die Mietstreiks v.a. der italienischen und türkischen Emigranten (1973 mehr als 300 Familien).
Die angestrebte soziale Ausweitung blieb (aus Gründen, die einer genaueren Untersuchung bedürfen) gleichwohl beschränkt bzw. entwickelte sich sogar zurück. Ein wichtiger Punkt war sicherlich, daß sich die Tendenz der Selbstghettoisierung in den besetzten Häusern immer stärker durchsetzte. Das aber provozierte und ermöglichte auch das staatliche Roll-Back.
Auch der Betriebsinterventionismus war vorwiegend eine zeitlich befristete Perspektive und behielt die akademische Karriere in der Hinterhand.
Nachdem, zeitlich parallel zu den Fabrikkämpfen, spätestens Ende 73 der Häuserkampf seinen offensiven Charakter verloren hatte und sich immer mehr defensiv orientierte, bedeutete die monatelange Fixierung auf die Verteidigung des Blocks Bockenheimer/Schuhmannstraße (4 Häuser) und die dann doch im Februar 74 erfolgte Räumung zwangsläufig dessen Ende.
Die Unfähigkeit bzw. fehlende Bereitschaft zur politischen Aufarbeitung der Fehler und Niederlagen produzierte und verfestigte die zunehmende Perspektivlosigkeit. Daran vermochten auch die massiven Nulltarif-Kämpfe im Mai 1974 nichts zu ändern. Der Abräume der Roten Hilfe im Dezember 1974 folgte im gleichen »Krisenwinter« die weitgehende Selbstauflösung der RK-Betriebsgruppe im Rahmen der von Opel verfügten Entlassungen (und Einstellungsstops) über die Mitnahme hoher Abfindungen. Während ab 75 noch Reste der Scene im Zusammenhang mit spanischen und italienischen Emigranten versuchten, durch den Aufbau von Stadtteilzentren und Betriebsgruppen in zwei Frankfurter Arbeitervierteln politische Kontinuität zu sichern, begann bereits auf der anderen Seite der - noch zaghafte - Aufbau des alternativen Ghettos, der sog. »Politik in erster Person« (Zentralität des eigenen Bauches) und ihres Sprachrohres »Pflasterstrand«.
War der Molli-Angriff auf das spanische Konsulat [16] im Frühjahr 75 noch Ausdruck zwar brüchiger, aber noch relativ intakter Strukturen organisierter Massenmilitanz, konnte ein Jahr später im Mai 76 davon keine Rede mehr sein. Wut und Haß über den Stammheimer Mord (Ulrike Meinhof) brachte zwar 2.000 Leute und Unmassen Mollis auf Frankfurts Straßen, die gemeinsame politische Identität aber war inzwischen endgültig Reminiszenz und keine Realität mehr.
Die Verhaftung von Teilen des RKs wegen »versuchten Mordes« (auf der Meinhof-Demo wurde ein Bulle durch einen Molli schwer verletzt) war für den mittlerweile überwiegenden Teil der Scene der letzte »Kick«, den Rückzug ins Privat-Alternative geschlossen und politisch propagierend anzutreten. Gerade letzteres macht das Spezifische der Frankfurter Situation aus. Der alte Zusammenhang marschierte geschlossen in den Schoß des Staates zurück und hockt heute im Bundestag.
Das war aber nur die eine Seite der Medaille. Die zweite war, daß alle, die diesen Gleichschritt nicht mitvollzogen, von nun an ausgegrenzt wurden. Neben der Distanzierung von neuen militanten Zusammenhängen wurde eine Anti-Guerilla-Kampagne forciert, die im Frühjahr 1977 mit der Klein-Klein-Kampagne, der offenen Bespitzelung und Denunziationsdrohung von Teilen der Scene ihren traurigen Höhepunkt erreichte.
In diesem Kontext bewirkten die Ereignisse vom Herbst 77, dabei insbesondere die Entführung der Lufthansamaschine »Landshut« [17], ein Ausmaß an politischer Desorientierung, das für die Frankfurter Linke personell und inhaltlich einen Bruch der sozialrevolutionären Kontinuität beinhaltete.
Ein Bruch, mit dessen Folgen und Auswirkungen die sich seit 79 zaghaft formierende autonome Scene im Grunde bis heute konfrontiert ist. Er ermöglichte einerseits eine qualitativ neue Dominanz der alternativen »Nischen-Politik« in der Stadt. Andererseits konnte jeder autonome Ansatz nur explizit gegen diese entwickelt werden. Er war zudem jederzeit praktisch in der Zange zwischen staatlicher Macht auf der einen und im »Pflasterstrand« betriebener Entsolidarisierung auf der anderen Seite (zahlreiche Hausbesetzungsversuche 79/80).
Der Bruch von 77, die völlig neue Zusammensetzung der Scene danach und die reformistische Counter-Politik der Alt-Spontis (Integration und Entsolidarisierung) bildeten den besonderen Hintergrund, auf dem die alten Fehler neu, schneller und schärfer wiederholt wurden: Statt Verbreiterung ins soziale Terrain das »Rotieren« im eigenen Saft, der Aufbau eines eigenen Ghettos (Indercity Nied). Das waren dann auch die z.T. selbstproduzierten Voraussetzungen für die staatliche Einkreisung und Zerschlagung. Diese wurde markiert durch die Staatsschutzaktion gegen den »Schwarzen Block« [18] am 28.7.81, die weniger die Scene an sich als vielmehr deren (präventive) Zerschlagung im Hinblick auf die unmittelbar bevorstehende Zuspitzung des Konflikts um die Startbahn West zum Ziel hatte.
Eine andere Folge der Frankfurter Verhältnisse war, daß sich quasi als radikaler Gegenpol zu den Alternativen eine neo-stalinistische Variante von Anti-Imperialismus relativ breit entfalten und Einfluß nehmen konnte.
Januskopf Volksbegehren
Das Volksbegehren schaffte eine breite Öffentlichkeit für den regionalen Konflikt Startbahn, landes-, wenn nicht bundesweit, bildete einen Legitimationsrahmen vor allem für die bürgerlichen Schichten und löste damit einen wichtigen Mobilisierungseffekt aus.
Als vorgebliche Möglichkeit, im Rahmen der Verfassung »den Willen des Volkes« durchzusetzen, hat es bei vielen Illusionen ausgelöst. Die Illusion und den Wunsch, quasi kampflos per Unterschrift und Stimmabgabe - was dem Urnengang ja sehr verwandt ist - gegen die Machtpolitik des Staates zu intervenieren. Daß in dieser Legalitätstreue und -abhängigkeit, die durchaus im Sinne der Erfinder war, deutliche Grenzen liegen, hat sich mit den Reaktionen auf die Ablehnung des Volksbegehrens gezeigt.
Daß es schließlich so glatt, und ohne auf die Moratoriumsforderung einzugehen, abgebügelt werden konnte, lag daran, daß sich der »Druck der Straße« nicht weiter vergrößert und fortentwickelt hatte. (Die das VB unterstützenden Gruppen und Vereinigungen hatten sie von vornherein klargestellt. So hatte der Vorsitzende des hessischen BUND Sander nochmals am 14.11.1981 öffentlich erklärt, daß seine Organisation nach einem negativen Votum des Staatsgerichtshofes aus der Anti-Startbahn-Kampagne aussteigen werde - FAZ vom 16.11.81)
Es ist nach wie vor wichtig festzuhalten, welche politischen Funktionen dem Volksbegehren andernfalls zugekommen wären. Die Äußerungen von führenden Mitgliedern der hessischen SPD und des DGB hatten die Tendenz bereits angedeutet: Befriedung der Region über ein Junktim: Baustopp - Demostopp bis zur Entscheidung des Staatsgerichtshofes über die Nicht-Zulässigkeit des Volksbegehrens. Diese wäre dann wohl nicht ganz so billig, sondern mit ordentlichen Verhandlungen und dem ganzen sonstigen Brimborium über die Bühne gegangen.
Ob die Bewegung sich dann damit tatsächlich hätte befrieden lassen, wäre natürlich eine andere Frage gewesen.
Die zwar nicht von der Bewegung aufgestellte, aber dennoch von ihr getragenen Forderung »Moratorium während das Volksbegehren läuft«, wäre zur selbstgestellten Falle geworden, indem die Frage des Widerstands/Protests von der Entscheidung eines Gerichts abhängig gemacht worden wäre.
Das Gegeneinanderausspielen des sog. »legalen« und des »Widerstands«beins bei der Bewegung hatte sich mit der starken Fixierung der BI auf das Volksbegehren geradezu angeboten.
Die Landesregierung praktizierte das selbst auf symbolischer Ebene, was sich am Beispiel der Hüttendorfräumungen illustrieren läßt. (Die Räumung des 1. Hüttendorfes am 2.11. fand zeitgleich zu einer langfristig angesetzten Pressekonferenz der BI zum VB in der Landeshauptstadt Wiesbaden statt; der Räumung des 3. Hüttendorfs am 25.11. folgte die für den gleichen Morgen anberaumte Regierungserklärung von Börner, in der er die »Verfassungswidrigkeit« des VB verkündete. Die Räumungen des 2. und 4. Hüttendorfes am 6.11. bzw. 26.1. standen dagegen im Zusammenhang mit den jeweils unmittelbar bevorstehenden Bauplatzbesetzungsterminen.)
Unter diesem Aspekt wurde das Volksbegehren von keinem Teil der Bewegung problematisiert, von uns auch nicht. Die Entscheidungsstrukturen (politische Justiz), die über dieses auf dem Papier stehende Recht zu befinden haben, sind in der Kampagne nie in Frage gestellt worden. Es liegt in der Sache selbst begründet, wenn das von den Initiatoren und Trägern des Volksbegehrens nicht zu erwarten war.
Die BIs und die Neue Deutsche Welle
Die BI ist die offizielle politische Organisation und damit auch das Sprachrohr der Bewegung gewesen. Dies, obwohl große Teile weder politisch noch personell dort repräsentiert waren und sind. Auch die aktive lokale und regionale Bevölkerung nicht in dem Maße, wie das Wort Bürgerinitiative vermuten läßt.
Ihr Führungskreis behielt in entscheidenden Situationen die Federführung der Anti-Startbahn-Politik weitgehend in der Hand. Demgegenüber war die Bewegung trotz der Verselbständigung ihrer Aktivitäten nicht in der Lage, die politischen und praktischen Schritte selbst zu bestimmen, vor allem, weil es ihr an Organisierung und der dazugehörigen zumindest punktuellen Klarheit und Erfahrung mangelte.
Wenn auch in BIs generell Angehörige nahezu aller Gesellschaftsschichten vertreten sind, werden sie - auch die BIs gegen die Startbahn - öffentlich von besser gebildeten Teilen der Mittelklasse dominiert.
Die verschiedenen Gruppen der Mittelschichten (mittlere Angestellte, Beamte, Selbständige und freiberuflich Tätige) sind in den letzten Jahrzehnten von der wachsenden Kapitalkonzentration sowie der »reelen Subsumtion« weiter Lebensbereiche unter die Logik des Kapitals direkt getroffen worden. Dem »alten« Mittelstand wurde durch die industrielle Großproduktion von Gebrauchsgütern zunehmend die Existenzgrundlage entzogen, viele Selbständige wurden und werden lohnabhängig.
Verwaltungs- und Bürotätigkeiten sind permantenter Standarisierung und Rationalisierung unterworfen und durch diese Entqualifizierung mehr und mehr austauschbar. Die Angleichung des Angestelltenstatus an den des Arbeiters bringt steigende Entfremdung und gleichzeitig die Bedrohung durch Arbeitslosigkeit mit sich.
Akademische Berufsstände (Lehrer, Pfarrer, Rechtsanwälte usw.) haben zusätzlich durch die Verbreitung von »Bildung« und akademischer Ausbildung an gesellschaftlicher Anerkennung eingebüßt.
Diese Deklassierungsprozesse der Mittelschichten sind begleitet vom Verlust traditioneller Privilegien sowie dem Entzug von Identifizierungsmöglichkeiten, deren zwangsläufige Folge die Infragestellung des gesellschaftlichen Wertesystems ist.
Diesen wachsenden Identitätsverlusten wird durch die Suche nach neuen Betätigungsfeldern entgegenzuwirken versucht. In ihnen muß einerseits die entstandenen Kritik an den gesellschaftlichen Spielregeln und Auswüchsen zum Ausdruck kommen (Von der Startbahn-BI im Frühjahr 82 formuliertes Selbstverständnis: über den Umweltschutz/Startbahn hinausgehend »Kampf um Demokratie - gegen Staats- und Behördenwillkür«). Gleichzeitig wird hier die Möglichkeit erblickt, dem verlorengegangenen Selbstbild von der eigenen gesellschaftlichen Rolle wieder Inhalt und Wert zu verleihen.
Charakteristisch für den »alten« Mittelstand war eine ausgeprägt konservative Grundhaltung, die den sog. Fortschritt zu Recht als Angriff auf den eigenen Status wertete. Nachdem die Deklassierung in Form ökonomischer und technologischer Umwälzung weit fortgeschritten ist, ist die Grundeinstellung der »neuen Mittelschichten« notgedrungen kritischer Natur.
Diese Kritik ist - aus der Klassenlage erklärbar - nicht grundlegend. Sie stellt also nicht die Grundlagen und die Daseinsberechtigung des Systems überhaupt in Frage, sondern ist in ihren Prinzipien eher konservativ geblieben. Letztlich zielt sie auf die Restrukturierung gesellschaftlicher Verhältnisse ab, unter denen der Mittelklasse wieder Funktion und Einfluß zukommt. Technologiefeindlichkeit ist ein Element ihrer Politik, weil mit der technologischen Entwicklung der Zerfall des individuellen Status vorprogrammiert ist. Dementsprechend sind ihr Terrain die »oppositionellen« alternativen Umweltschutzinitiativen, -parteien etc. (Zwei zusätzliche Aspekte für das Umweltschutzengagement der Mittelklasse: 1. Die Konsumbedürfnisse der Mittelklasse sind (über)befriedigt. 2. Die technologischen Umwälzungen im Angestelltensektor, die damit verbundene Monotonisierung und Standardisierung der Arbeitsbedingungen haben die Belastungen in den psychischen Bereich verlagert. Der Reproduktionsbereich Natur wird damit wieder interessanter und wichtiger.)
Daß die Antwort auf die überall in den Metropolen stattfindenden Deklassierungsprozesse speziell in den deutschen Mittelschichten in dieser Form und Breite ausfallen, dürfte zweierlei zum Hintergrund haben:
Zum einen das niedrige Niveau der Klassenkämpfe in der BRD, das keine Anknüpfungspunkte bietet, die real erfahrene Deklassierung vom Klassenstandpunkt aus zu begreifen und anzugehen.
Wesentlicher aber dürfte in diesem Zusammenhang die politische Liquidierung des »Arbeiterreformismus« in den 50er Jahren sein (KPD-Verbot). So existiert hier im Gegensatz v.a. zu Frankreich und Italien keine derartige politische und gewerkschaftliche Organisation, die Bezugspunkt und Sammelbecken der deklassierten Mittelschichten sein könnte.
Im Gegenteil gibt es mittlerweile jede Menge ehemaliger K-Grüppler, die in der grünen Umweltschutz- und Friedensbewegung - auch in der Startbahnbewegung - eine neue Heimstatt gefunden haben, nachdem sich die Träume einer neuen Perspektive als Arbeiterführer als Luftschlösser erwiesen hatten. Daß die Kritik der Fabrikgesellschaft eigentlich nicht zu ihrem ideologischen Inventar gehört (AKWs und Fabriken in Arbeiterhand!) ist dafür kein Hinderungsgrund.
Reden, Erklären und Belehren sind Fähigkeiten, die Angehörige der »neuen Mittelschichten« in der Regel erlernt haben. Gleichzeitig sind es Fähigkeiten, die in der Arbeit politischer Gruppen gefragt sind, nicht zuletzt, weil die meisten Leute nicht ohne weiteres darüber verfügen. Eine andere erlernte Fähigkeit ist die des »Triebaufschubs«. Das heißt, Denk- und Verhaltensweisen zu entwickeln, die den persönlichen Einsatz nicht an kurzfristig erreich- und sichtbaren Ergebnissen orientieren, sondern langfristig kalkuliert auf ein Ziel hinarbeiten.
Damit sind jene geradezu prädestiniert, profilierte oder profilierende Positionen innerhalb von Gruppen, Initiativen, Bewegungen einzunehmen - nicht nur wegen der ihnen eigenen Dynamik, sondern auch aufgrund der Ängste und Bequemlichkeit der »anderen«.
Entsprechend den gesellschaftlichen Normen und Kriterien ist die Identitätsfindung gekoppelt an aus der Masse herausragenden Positionen und Funktionen. Es ist also keinesfalls damit getan, anonymes Mitglied einer x-beliebigen Bewegung zu werden.
Dem beschriebenen Selbstverständnis folgend sind Bewegungen und BIs - platt ausgedrückt - mehr oder weniger Mittel zum persönlichen Zweck. Die Initiativen sind die Basis, auf der eine Profilierung erst möglich wird, die erstarkte Bewegung ist Verhandlungsmasse gegenüber den Herrschenden.
Um als Verhandlungspartner und damit als Machtfaktor - mit dem Druckmittel »Masse« in der Hinterhand - anerkannt zu werden, muß der Beweis für die Ausübung der »Kontrolle« über die Bewegung angetreten werden. Denn nur wer sie in der Hand hat, ist in der Lage, sie am »Überkochen« zu hindern und später zu integrieren. (Ein Beispiel war das von Grünen und SPD betriebene Landtagshearing zum Startbahnkonflikt, das - wie's ganz unverblümt hieß - der »Befriedung der Region« dienen sollte. Das war im übrigen auch eine realpolitische Version der von den Grünen im Wahlkampf aufgestellten Forderung nach »Zurücknahme der Startbahn«, die sich mittlerweile »Überdenken der Startbahn« schreibt.)
In diesem Sinne gehört die Propagierung des »gewaltfreien Widerstands« zum taktischen Handwerkszeug, das notwendig gewordene oder von der Bewegung geforderte praktische Schritte im symbolischen und (quasi-)legalen Bereich ansiedelt und eingrenzt.
Dieser politische Hintergrund ist nahezu allen Bewegungspolitikern gemeinsam, wiewohl es Unterschiede in den individuellen Perspektiven der einzelnen Figuren gibt. Unterschiedliches Engagement und Formen, Vorgehensweisen, (in bestimmten Situationen) voneinander abweichende Positionen und Äußerungen sind Ausdruck ihrer verschiedenen Ambitionen.
Und damit konkret zum Startbahnkonflikt. Da sind auf der einen Seite der sicher auch überregional bekannte Leo Spahn sowie der mehr intern agierende Jürgen Martin, auf der anderen Alexander Schubart und Dirk Treber.
Treber und Schubart gehörten beide zu den Hauptbetreibern des VB. Als Jurist und »Radikaldemokrat« hatte Schubart diese Möglichkeit ausgegraben und war dessen Initiator.
Wie sich im Nachhinein beweis, war das VB als langfristige Mobilisierungskampagne für die Landtagswahlen angelegt. Wäre das VB nicht vom Staatsgerichtshof abgelehnt worden, hätte die »2. Stufe«, in der die Unterschriften von 20 % der Wahlberechtigten nötig sind, im unmittelbaren Vorfeld der Landtagwahlen stattgefunden. Selbst um nur einen Teil der erforderlichen 800.000 Unterschriften, die dann nicht mehr gesammelt, sondern binnen 2 Wochen individuell auf den kommunalen Ämtern geleistet werden müssen, zusammenzubekommen, wäre eine wahnsinnige Mobilisierung notwendig gewesen. Dies hätte anschließend in eine Stimmabgabe für eine Grüne, Bunte oder Alternative Liste münden sollen. Nachdem durch das Urteil des Staatsgerichtshofs ein dicker Strich durch diese Rechnung gemacht worden war, ging unverzüglich das Hick-Hack um die Form der »aktiven« Wahlbeteiligung los. Daß am Ende der Soziologe Treber, eine eher farblose Figur, Spitzenkandidat der Grünen wurde, hatte er sicherlich seinem Wohnsitz Mörfelden und der Parteimitgliedschaft, aber auch der Taktiererei Schubarts bezüglich der Gründung einer Alternativen Liste, in der alle oppositionellen Parteien und Organisationen eine Heimstatt finden sollten, zu verdanken. Die Weigerung der Grünen, sich an einer Alternativen/Bunten Liste zu beteiligen, macht ihren mittlerweile entwickelten Machtanspruch deutlich, ihren Alleinvertretungsanspruch, Bewegungen für sich zu vereinnahmen und damit - jedenfalls versuchsweise - auch zu integrieren und befrieden.
Daß es Schubart letztlich um mehr als die eigene Kandidatur auf einer von den Grünen bestimmten und angebotenen »offenen Liste« ging, hat vielerlei Gründe. Einerseits ist es natürlich eine Machtfrage. Andererseits spricht seine eigene politische Herkunft und Geschichte gegen eine Reduzierung auf Umweltschutz und Raketenstationierung. Er war langjähriges SPD-Mitglied und Juso-Vorsitzender und wurde seinerzeit dort rausgeschmissen, weil er bei den Landtagswahlen 78 für die GLH, die noch ein breiteres politisches Spektrum repräsentierte, kandidiert hatte. Zudem dürfte darüberhinaus ein solcher Schritt bei seinen Freunden vom KB, die mit ihm das VB betrieben, auf wenig Gegenliebe gestoßen sein.
Genauso vehement wie sich die beiden für's sog. parlamentarische Bein einsetzten, warfen sich die beiden anderen gegen eine Wahlaussage, die durch die Hintertür doch zustande kam (»Wählt keine Startbahn-Parteien«!), ins Zeug. Was im Dämmerlicht noch wie ein Eintreten für eine gestandene - ausschließlich außerparlamentarische - Widerstandbewegung aussehen kann, entpuppt sich bei besserer Beleuchtung als Fehleinschätzung.
Spahn war früher Gewerkschafter und an der Akademie der Arbeit beschäftigt gewesen. Seither betreibt er eine Kneipe in Kelsterbach. Auffallend an seinem Verhalten war, daß er mit Distanzierungen von Militanz immer sehr schnell bei der Hand war. Im Gegensatz dazu aber in Situationen, in denen sich die »Bürger« radikalisierten - mit denen er »die Erfahrung gemacht hat, daß sie nicht doof sind«(Spahn) - es immer verstanden hat, öffentlich dafür Verständnis zu heucheln. Er sah sich selbst wohl als Sprecher der gemäßigten Teile der regionalen Bewegung, was auf dem Hintergrund kommunalpolitischer Ambitionen verständlich ist (es wurde das Gerücht gehandelt, er wolle Bürgermeister seiner Gemeinde werden). Heute hat er sich weitgehend zurückgezogen.
Anders als Jürgen Martin, Lehrer von Beruf und ein so eingefleischter Sozialdemokrat, daß er sich nicht nur nicht dazu durchringen konnte, die SPD zu verlassen, sondern das Verbleiben in der Partei auch als politische Position bezieht. Was eine selbstredende Erklärung für die Ablehnung einer Wahlteilnahme in Grün oder Alternativ ist. Als im März 83 die Wiederwahl des Bürgermeisters von Mörfelden-Walldorf Brehl (SPD) auf der Kippe stand, da er auf die Stimmen der Grünen-Bürger-Liste angewiesen war, war Martin derjenige, der erfolgreich vermittelte. Die GBL hatte Brehl zuvor wegen dessen Zustimmung zur »Kleinen Trasse« die Unterstützung verweigert.
Martin war so gut wie bei jeder Schweinerei dabei und war und ist in den Gremien der BI stark engagiert. Er versteht sich darauf, in hektischer Aktivität Probleme zu benennen und aufzugreifen, was seine Reden und Schritte mit einem Hauch der Vertrauenswürdigkeit umgibt, um sie dann gnadenlos zu verdrehen und mit seinen reformistischen Inhalten zu verrühren.
Der Lohn der Partei für diesen selbstlosen Einsatz steht bislang noch aus.
Die Startbahn-Bewegung steht und fällt mit dem Protest und Widerstand der unmittelbar ansässigen Bevölkerung. (Grundsätzlich ist es eine Überlegung wert, inwieweit dies eine Voraussetzung für die Stabilität und Kontinuität des Kampfes gegen - technologische - Großprojekte ist).
Weil dies nur im Zusammenhang mit der Situation und den Bedingungen sowie dem Ausmaß an Betroffenheit zu verstehen ist, nun folgend ein Abriß über
regionale Voraussetzungen und Folgen.
Die Mitte der 70er Jahre fusionierte Doppelstadt Mörfelden-Walldorf war und ist bis heute das Zentrum des Widerstands (von allen Anliegergemeinden ist M.-W. die am nächsten zur Startbahn liegende).
Die Struktur der Stadt ist geprägt von ihrer Lage im industriellen Ballungsraum Rhein-Main: zentral gelegen, aber dennoch im Grünen, ist sie in den letzten beiden Jahrzehnten Wohnstadt für die Stadtflüchtigen bzw. die, wegen der in der Rhein-Main-Region konzentrierten Unternehmen, hier Zugezogenen geworden. In beiden Orten zusammen hat sich die Einwohnerzahl zwischen 1960 und 1980 nahezu verdoppelt.
In beiden Orten, insbesondere in Mörfelden, können die Einheimischen trotz des massiven Zuzugs und der damit verbundenen Veränderung der lokalen Strukturen auf gewachsene soziale Bindungen zurückgreifen, wegen der durch die Verwurzelung gegebenen Immobilität, eine wichtige Voraussetzung des lokalen Widerstands.
Mörfelden-Walldorf befindet sich im Einzugsgebiet der Metropolen Frankfurt, des Rhein-Main-Flughafens (20 % der hier lebenden Erwerbstätigen sind dort beschäftigt), der Opel-Werke Rüsselsheim, der Caltex-Raffinerie Raunheim (die in der Einflugschneise des Flughafens liegt und demnächst geschlossen wird) und bedingt auch der Farbwerke Hoechst. Dies soll nicht nur der Information halber gesagt sein, sondern auch im Zusammenhang mit der von FAG und Landesregierung benutzten Argumentation der »Arbeitsplatzbeschaffung« bzw. der Drohung mit der Vernichtung von Arbeitsplätzen in Fall einer Verhinderung der Startbahn. Besonders die Verbindung zu den Opel-Werken und zum Flughafen selbst dürfte die Ablehnung dieser Argumente begründen. So haben einerseits die Arbeiter der Automobilindustrie ausgeprägte persönliche Erfahrungen mit der Rationalisierung von und an Arbeitsplätzen; andererseits die am Flughafen Beschäftigten genügend Einblick in den Arbeitsablauf im Flugbetrieb/Abfertigung etc., um sich davon wenig beeindrucken zu lassen.
Umso tiefgreifender sind die jahrzehntelangen Erfahrungen der Alteingesessenen mit den Begleiterscheinungen und Belastungen des Flughafens. Dabei steht, was die alltäglichen Lebensbedingungen angeht, der höllische Lärm - mit der zu Beginn der 60er Jahre losgehenden Umrüstung der Zivilflugzeuge auf Strahlantrieb - an erster Stelle, denn er bestimmt jegliche Lebensäußerung.
Eine andere Begleiterscheinung ist der von den startenden und landenden Maschinen über Wald- und Wohngebieten abgegebene Kerosinregen.
Darüberhinaus ist der Flughafen permanenter Auslöser von Grundwasserverseuchungen. Um nur zwei - bekanntgewordene - Fälle herauszugreifen: 1. Leck in den Kerosinleitungen am Flughafen, das erst sehr spät bemerkt wurde und aus dem mehrere Millionen Liter ins Erdreich versickerten. Spuren von Kerosin wurden daraufhin in Grundwasserbrunnen von Frankfurt gefunden. 2. Die Lufthansa verwendet (giftiges) Tri- und Tetrachloräthylen zum Reinigen ihrer Motorenteile. Das Gift wurde über die Kanalisation abgelassen und gelangte wiederum durch ein Leck ins Erdreich. Das Zeug ist allerdings nicht nur hochgiftig, sondern auch wasserunlöslich! Die »natürliche Auswaschung« dauert laut Gutachten 420 Jahre (FR vom 1.12.82). Lebensgefährliche Konzentrationen befinden sich demnach heute und auch weiterhin im Grundwasser.
Die Startbahn West ist nur eine Fortsetzung der seit dem 2. Weltkrieg permanenten Ausdehung des Flughafens, die Stück für Stück die Lebensgrundlagen in der Umgebung angreift und allmählich zerstört. Seit 1945 sind im Rhein-Main-Gebiet 4.300 Hektar (= 8.600 Fußballfelder) Wald gerodet worden; 1.500 ha hat davon allein der Flughafen in Beschlag genommen und zwar ohne Startbahn, die nochmal 300 ha gefressen hat.
Die Startbahn West war somit für die Anwohner schon im Planungsstadium nicht nur abstrakt, sondern sinnlich vorstellbar. Die Erweiterungspläne der FAG, die vorläufig in der Startbahn enden, wurden nach ihrem Bekanntwerden 1961 von den Gemeindevertretern aller betroffenen Ortschaften abgelehnt. Diese waren sozusagen der Anfang der nun 20 Jahre währenden Kontroverse. Der Protest gegen diese Pläne wurde lange Zeit von honorigen Bürgern wie dem berühmt-berüchtigten Pfarrer Oeser getragen und betrieben. Er bewegte sich bekanntlich bis Ende der 70er auch ausschließlich auf juristischer und gemeindeparlamentarischer Petitionsebene. Die Ablehnung durch sämtliche lokalen Parteienverbände, Gemeinde- und Kreisparlamente, die Kirche und die Vereine bot einen Legitimationsansatz für nahezu jeden Bürger.
Weniger bekannt, aber dafür umso wichtiger für Entwicklung und Ausdauer des Widerstands, ist die im »Roten Mörfelden« überlieferte und bestehende Tradition von Widerstand.
Das Problem dabei ist, - wie immer, wenn es um Widerstandsgeschichte geht - daß es darüber kaum eine Geschichtsschreibung gibt. So existierten auch hier kaum authentische Überlieferungen, abgesehen von solchen Darstellungen, die - vor allem den Nazi-Faschismus betreffend - vom fragwürdigen KPD/DKP-Parteistandpunkt geprägt und zensiert sind. Wir wollen trotzdem ein paar Fakten zur Parteigeschichte angeben, weil sie zumindst Indiz für die lokalen politischen Verhältnisse und Kämpfe sind.
Seit Gründung der KPD im Jahr 1919 war Mörfelden eine Domäne dieser Partei. Ein Grund dafür, warum die Nazis - bis 1933 - hier keine öffentlichen Auftritte wagten. 1931 wählten die Einwohner Mörfeldens einen kommunistischen Bürgermeister, dessen Sozialpolitik (Umverteilung der Gemeindegelder auf die Armen) zu massivem Eingreifen der übergeordneten Behörden (Kreis- und Landesregierung) führte. Sie endete schließlich mit der Absetzung dieses Bürgermeisters, die nur unter massiver Bullenbesetzung des Ortes gegen den tatkräftigen Widerstand der Einwohner durchgesetzt werden konnte.
Mit dem Verbot von KPD und SPD 1933 waren auch die Mörfeldener verstärkt der Verfolgung durch die Nazis ausgesetzt. Über 100 landeten im KZ oder Zuchthaus.
Neben dem illegalen Weiterbestehen der KPD gab es - auch im eher nazistischen Walldorf - Ansätze zur Organisierung eines Massenselbstschutzes, einer antifaschistischen Vereinigung, die sich zum Schutz vor Angriffen der Nazis bildete. Es kam des öfteren zu handgreiflichen Auseinandersetzungen mit der SA [19], teilweise auch zu Entwaffnungen.
Dieser Tradition gemäß war in den 50er Jahren die Bewegung gegen Remilitarisierung und Atomwaffen auch in Mörfelden präsent. Die heutige DKP verfügt dort über eine relativ große Anhängerschaft (sie hatte z.b. bei den Kommunalwahlen 1981 einen Stimmenanteil von 13,8 %).
Die Folgen
des Startbahnbaus sind für die ohnehin arg gebeutelte Rhein-Main-Region vor allem in ökologischer Hinsicht verheerend. Der größte und letzte zusammenhängende Wald im Ballungsraum Rhein-Main (mit 500.000 Menschen im 15km-Radius) wird als unersetzbare Naherholungsmöglichkeit kaputtgemacht (einerseits durch die Zerschneidung, andererseits durch den Lärm). Vor allem für die unmittelbaren Anliegergemeinden wird die ohnehin vorhandene Lärmbelästigung erheblich zunehmen. Der BI-Spezialist Hajo Lebuser berechnete eine Zunahme von 30 % für den gesamten südlichen Flughafenraum, für Mörfelden-Walldorf eine Verdrei- bis Vervierfachung des Lärms (4 mal mehr Vorbeiflüge).
Eine geschlosse, großflächige Waldfläche beeinflußt die Bodenverhältnisse, den Wasserhaushalt, das regionale Klima und die Luftqualität. Sie ist Lebensraum für Pflanzen und Tiere.
Die Zerstörung dieses Waldgebietes wird eine Verschlechterung sowohl des regionalen Klimas als auch der Luftqualität, was vor allem für Frankfurt bedeutsam ist, nach sich ziehen. Durch den Bau der Startbahn sinkt der Grundwasserspiegel von ehemals 0,4 m auf geschätzt durchschnittlich 1,5 m. Ein für die Rhein-Main-Region wichtiges Grundwassersammelgebiet wird damit weitgehend verkleinert bzw. zerstört.
Das hat vor allem eine verstärkte Belastung der Trinkwassergewinnungsgebiete Vogelsberg (der schon Versteppungsanzeichen aufweist) und Ried (wo 1976 der Grundwasserspeigel auf 9 m abgesenkt wurde und dessen Sanierung etwa 200 Mio. DM kosten wird) zur Folge. Als zusätzliche Trinkwasserreservoire sollen die Ernstbachtalsperre im Taunus und die Haferlohrtalsperre im Spessart in den Boden gestampft werden. Die bereits begonnene Kinzigtalsperre bei Steinau kann dagegen nicht mehr weitergebaut werden, weil die Bergflanke in die Kinzig rutscht und bleibt nun als Investitionsruine stehen.
Ganz davon abgesehen ist das Gebiet durch die Ausdehnung des Flughafens einer wachsenden Grundwasserverseuchung ausgesetzt.
Die Zerschneidung des Mönchbruchwalds entzieht zahllosen und seltenden Pflanzen- und Tierarten die Lebensgrundlage. Schlimm ist das nicht nur aus ästhetischen und »naturschützerischen« Gründen, sondern weil Pflanzen und Tiere als Bioindikatoren auch die Lebensbedingungen der Menschen anzeigen.
»So wollen sie uns von den Massen abspalten.
Geht nicht, die sind wir selber.
So wollen sie uns zu Verbrechern stempeln.
Stimmt auch, dann brechen wir durch.
So wollen sie uns dem Gesindel gleichstellen.
Gesindel hält den Kopf unters Knie. Wir nie.«
(Christian Geissler »Wird Zeit, daß wir leben«) [20]
Unseren praktischen und schriftlichen Beiträgen lagen grob umrissen folgende Zielsetzungen zugrunde:
1. In Bezug auf das Projekt Startbahn leitete sich unsere Perspektive aus den bereits analysierten Sachverhalten ab: auf der einen Seite ein Projekt, das als »im Prinzip nicht aufgebbar« benannt wurde. Auf der anderen, der Bewegungsseite, zwar ein für die Verhältnisse in diesem Land ungemein starkes örtliches Widerstandspotential wie ein starker reformistischer Block, aber kein autonomer Zusammenhang, der als Träger einer radikalen Massenlinie in Frage kam. Von daher lag für uns das perspektivische Schwergewicht zunächst auf der BEhinderung und nicht VERhinderung des Startbahnbaus. Dies jedoch unter dem langfristigen Aspekt, daß eine Behinderung bei einem gewissen qualitativen und quantitativen Stand und einer auf Jahre angelegten Kontinuität selbst nach Vollendung des Baus noch in eine Verhinderung umschlagen kann.
2. Im Hinblick auf die Bewegung die Vermassung von Sabotage, aktiven und militanten Aktionsformen mit durchsetzen und darüber eine möglichst breit und langfristig angelegte Kontinuität aufbauen und sichern helfen, damit sich
3. auf der Basis eines breiten kontinuierlichen Widerstands die Widerstandsperspektive über die Startbahn hinaus entwickelt und erweitert. Mit dem Nahziel: Kippen des aktuellen hessischen Atomprogramms (v.a. WAA); und langfristig: entlang den strategischen Linien der kapitalistischen Restrukturierung Entwicklung einer starken sozialrevolutionären und antiimperialistischen Bewegung.
Mit der Zuspitzung des politischen Klimas im Startbahnkonflikt Mitte Oktober 81 haben wir versucht, durch eine relativ kontinuierliche »Propaganda der Tat« die Verbreiterung militanter Kampfformen in Gang zu setzen bzw. überhaupt zu thematisieren. Das ist theoretisch und mit verbalen Appellen allein unmöglich und zwar in jeder Hinsicht.
Daß wir uns bei den Angriffen schwerpunktmäßig auf die beteiligten Baufirmen konzentrierten, hatte verschiedene Gründe: Sie sind das schwächste Glied in der Betreiberkette, überall präsent und deshalb massenhaft und auf vielfältige Weise, auch mit relativ einfachen Mitteln, angreifbar. Darüberhinaus war ihre Mitwirkung am Startbahnbau insofern für die Be(Ver-)hinderungsperpektive von Bedeutung, als die Baufirmen diejenigen sind, die das Projekt faktisch realisieren und der Grad der Angriffe auf sie letztlich entscheidend sein kann. Die Zerstörung von Baumaschinen und Baggern im November sollte praktisch die konkrete Zielrichtung für eine mögliche breite und militante Tendenz des Widerstands angeben.
Aufgrund der verbreiteten Schwierigkeiten, das angedeutete Konzept massenhaft umzusetzen, versuchten wir danach ein Mittel zu finden, das die technischen Voraussetzungen dafür auf ein Minimum reduziert. Das wurde dann auch mit dem Räucherstäbchen als einfachem und preiswertem Zeitverzögerer und Zünder in einem gefunden und im Rahmen eines erneuten und letzten Versuchs, Beispiele für breit mögliche Sabotage zu geben, verbreitet.
Als Objekte wählten wir Fahrzeuge und Baumaschinen von Bilfinger & Berger, die bei der Untertunnelung der Okriftler Straße federführend waren, aus. Im Gegensatz zu den vorher attackierten Züblin und Bratengeier, die sich weitgehend verpißt hatten und zudem an den wenigen Orten ihrer Präsenz von Bullen überwacht wurden, waren Bilfinger & Berger zu dieser Zeit in der Region massiv präsent.
Kurz darauf im Februar 82, als die Bewegung faktisch vor dem Nichts stand, wurde das Konstruktionsbüro dieser Firma in Wiesbaden sowie das Schulungszentrum der ebenfalls an der Untertunnelung beteiligten Philipp Holzmann in Neu-Isenburg von uns demoliert.
Das Mittel (Räucherstäbchen) und die Ziele (insbesondere Bilfinger & Berger) fanden in den folgenden Monaten eine relativ große Resonanz, was sich in einer Häufung von derartigen Anschlägen, die meistens leider kaum publik wurden, niederschlug. Wir sind damals davon ausgegangen, daß es angesichts des geringen Alters der Bewegung und der Schwäche der radikalen Linken einige Zeit dauern würde, bis sich der praktische Ausdruck sich organisierender Gruppen abzeichnet. Die eigene Erfahrung hat uns gelehrt, wie langwierig und schwierig der diskussions- und entscheidungsreiche Prozeß ist, bis Bewußtsein in praktisches Handeln umschlägt.
Was die Widerstandsformen vor Ort, deren Intensität und Stabilität angeht, so denken wir, daß die verschiedenartigen Angriffe auf Betreiber und Verantwortliche (die natürlich noch viel ausgeprägter hätten sein müssen) ein gewisses Maß an Stärke vermittelten; damit trotz aller Niederlagen und Schwächen die Kontinuität des Massenwiderstands unterstützen halfen, indem der sich ausbreitenden Ohnmacht Zeichen von Handlungsfähigkeit entgegengesetzt wurden. Die frühzeitige praktische Thematisierung von militantem Widerstand ermöglichte die Auseinandersetzung mit offensiven Kampfformen. Angesichts der unterschiedlichen Zusammensetzung der Bewegung und ihrem zunächst weitgehend legalistischen und passiven Charakter war das sicher für die weitere Entwicklung ein wesentlicher Aspekt. Daß sich Ansätze von Eigenverantwortlichkeit und Selbstorganisation als Gegenstück zur »offiziellen« Bewegung entwickelten und der praktische Widerstand nicht delegiert wurde, hatte sicher viel mit Form, Inhalt und Umfang unserer Aktionen zu tun. Aus dem gleichen Grund hatten wir das Baugelände als »Ort der Handlung« auch bewußt für uns ausgeklammert.
Die Einbindung unserer Aktionen in die Bewegung haben es sowohl für die BI-Spitze, als auch für die Bullen schwer gemacht, einen Keil dazwischen zu treiben. Bereits Ende November 81 scheiterte ein Versuch der BI-Führung, die militante Tendenz - an den Zellen namentlich festgemacht - per VV-Beschluß aus der Bewegung auszugrenzen.
Sie hat, über eine breite Akzeptanz organisierter Militanz hinaus, bewirkt, daß die Zellen als Teil der Bewegung betrachtet werden. Dies gerade auch bei den sog. Bürgern, deren Kampfformen sich nach wie vor auch in Zukunft von den unsrigen unterscheiden werden. Ähnlich wie draußen im Wald praktiziert, herrscht hier eine Vorstellung von unterschiedlichen Zuständigkeiten (so eine Art Arbeitsteilung) aber ähnlichen Zielen (startbahnbezogen).
Neben den konkreten Aktionen haben wir versucht, durch die Erklärungen in die politischen Auseinandersetzungen einzugreifen. Inhaltliche Zielrichtung war die Entwicklung kollektiver Lernprozesse, die Selbstbestimmung politischer Inhalte und Vorgehensweisen ermöglichen.
Daß diese Absicht sich vollkommen unzulänglich realisierte, hat verschiedene Gründe:
Unsererseits haperte es durch viel zu ungenaue Diskussionen. Die Einschätzungen waren oft viel zu spontan und von daher nicht geeignet, Hintergrund und Perspektive auf einen eindeutigen und umfassenden Begriff zu bringen. Das war Ausdruck davon, daß wir bereits im »Vorfeld« des Konfliktes nicht sorgfältig genug diskutiert hatten, auch und gerade in Bezug auf unser unterschiedliches Selbstverständnis. Dieser Fehler kam - wie meistens der Fall - erst im Konflikt selbst zum Tragen und war dort nur schwerlich zu revidieren (Streß, Emotionalität usw.) Hinzu kam, daß die Notwendigkeit, bestimmte Prozesse zu thematisieren, von der autonomen Szene kaum erkannt bzw. begriffen wurde. Von daher gab es dann auch wenig inhaltliche Rückkoppelung.
In diesem Zusammenhang erscheint es uns wichtig, das Verhältnis von - wohlgemerkt einem - Teil der Linksradikalen in der Region zu selbstbestimmten Organisationsstrukturen und eben auch zu uns, kurz anzureißen. Der Hinnahme bzw. Anerkennung unserer Aktionen stand eine weitgehende Ablehnung der Zellen selbst und den von uns angeregten Auseinandersetzungen gegenüber.
Die beiden ersten Aktionen (Bratengeier und Züblin) wurden so lange mit Wohlwollen betrachtet, wie die gemeinten Leute glauben konnten, sie seien Folge eines von ihnen einige Tage zuvor (!) herausgegebenen Flugblatts, in dem zu Sabotageaktionen aufgefordert wurde. Nachdem klar war, wer die Akteure waren, schlug dieses in Ablehnung um, die hauptsächlich an der zugehörigen Erklärung festgemacht wurde.
In dem November 81 für lange Zeit letztmalig erschienenen autonomen Blatt »Vollautonom« [21] wurden die bis dahin stattgefundenen Anschläge einfach totgeschwiegen. Diese beiden Beispiele symbolisieren beispielhaft den Charakter des politischen Selbstverständnisses und der Auseinandersetzungsfähigkeit und -bereitschaft.
Die Auseinandersetzung mit von uns angedeuteten praktischen Akzenten und in Erklärungen formulierten Inhalten wurde - mit Ausnahme eines Wiesbadener Papiers vom Frühjahr 82 - nie geführt oder gesucht, sondern kategorisch vom Tisch gewischt. Die Ablehnung von Politik und Praxis der Zellen sowie der Weigerung, sich damit auseinanderzusetzen, liegen nach unserer Einschätzung verschiedene Momente zugrunde:
Sowohl unsere Praxis als auch unsere vertretenen Inhalte werden zumindest indirekt als Angriff auf die eigene Position bzw. Funktion und die gestellten Forderungen nach konsequentem politischen Verhalten nicht als gemeinsames Ziel begriffen. Innerhalb des verbreiteten Selbstverständnisses, das politische Aktivitäten an einen gewissen Grad von Führungsanspruch koppelt, sind die Zellen wohl auch als Konkurrenz betrachtet worden. Vielleicht gerade deshalb, weil Aktionsziele wie formen keine Distanz zur Bewegung erkennen ließen und ein politischer Avantgardeanspruch nicht erhoben wurde.
Wichtig für die Anerkennung und damit den Einfluß innerhalb des offiziellen BI-Apparates:
Um dort als »Vertreter« der militanten Tendenz akzeptiert zu werden, muß den BI-Strategen glaubhaft gemacht werden, daß der entsprechende Einfluß auf diesem Flügel vorhanden ist. Die Zellen standen dabei symbolisch für die unkontrollierbare Eigendynamik der Träger des militanten Widerstands.
Mit Bedauern haben wir festgestellt, daß die Ablehnung dieses Teils sich mit der Ernennung der Zellen zum Hitlistenführer des Staatsschutzes zunehmend in Sympathie wandelte. Wobei der Staatsschutz mit dieser »Beförderung« ja explizit im Sinn hat, uns zur über allen schwebenden bzw. thronenden Avantgarde hoch- und damit eine künstliche Trennung herbeizustilisieren. Das ähnelt sehr dem gängigen Wählerverhalten, tendenziell immer die Partei zu wählen, die gerade Oberwasser hat. Schade.
Was das Ziel der
Das fehlende Konzept hatte zur Folge, daß durch die primäre Ausrichtung der Aktionen auf Vermassung und Kontinuität des Widerstandes in Verbindung mit den heftigen »Tiefs« der Bewegung zunehmend eine praktisch-inhaltliche Präzisierung der »Behinderung« aus den Augen verloren wurde. Wir haben versäumt, zur Diskussion zu stellen, daß Behinderung auch immer die Tendenz zur Verhinderung konkret anvisieren muß.
Die Angriffsziele wurden Anfang 82 ausgeweitet (Bilfinger & Berger, Holzmann), ohne - und da setzt die Kritik an - daß vorher problematisiert wurde, was diese Ausweitung bedeutet.
Es wurde nicht thematisiert, ob durch die Ausweitung auf alle beteiligten Firmen - gerade angesichts der eigenen beschränkten Kräfte - die Bedrohung für die Angegriffenen nicht allzu sehr relativiert wird. So hatten die zwei Aktionen in der Anfangsphase gegen die »Kleinen« im Bunde, Bratengeier und Züblin, ja erhebliche Wirkung gezeigt. Aufgrund der mangelnden Recherchen, gerade im Hinblick auf ihre - insbesondere Bratengeiers - Funktion für die Betonierung der Rollbahn, war uns damals allerdings auch nicht klar genug, wie ihr teilweiser Rückzug einzuordnen war.
Für die Perspektive einer massenhaften Sabotage kam - wie sich gezeigt hat - eine regionale Beschränkung auf die beiden nicht in Frage. Dazu wäre es aber kein Widerspruch gewesen, wenn wir uns auf sie beschränkt hätten und darüberhinaus z.B. propagiert hätten, speziell Bratengeier auch überregional anzugreifen. Daß diese Chance vertan wurde, bedeutete nicht nur die Vereitelung wichtiger und neuer Erfahrungen, sondern hatte auch praktische Konsequenzen bei Beginn der Betonierarbeiten Ende August 82. Aufgrund der diesbezüglich mittlerweile entstandenen »Nicht-Kontinuität« war für uns die Situation nun von vorneherein die, daß für eine wirkungsvolle Intervention nur noch - im Vergleich zu den früheren - qualitativ andere Aktionen mit zudem hohem persönlichen Risiko in Frage kamen. Hinzu kam, daß wir wie alle anderen auch den offiziellen Informationen aufsaßen, die besagten, daß vorerst nur das nördliche Drittel (auf dem alten Flughafengelände) bis zur Okrifter Straße betoniert werde und im Frühjahr 83 erst im Süden auf der gerodeten Fläche begonnen werde. Wir glaubten damit, noch genügend Zeit zu haben, was u.a. auch ein Grund dafür war, daß wir uns bezüglich der halbherzig und unglücklich verlaufenden Blockadediskussion in der Szene zurückhielten.
Als dann nur von den Grünen inszenierte, symbolische Wahlkampfblockaden, seitens der Bewegung aber kaum was lief (was auch noch einer Klärung bedürfte), nutzte die FAG nach einigen Wochen die »Gunst der Stunde« und ließ parallel auch im Süden betonieren.
Das versetzte uns wiederum in einen unerwarteten Zeitdruck - verbunden mit der Situation, die wir seit jeher zu vermeiden gesucht hatten, daß Aktionen unsererseits den Charakter von reinen, weil nicht mehr praktisch vorantreibenden und mobilisierenden »Ersatzhandlungen« bekommen. Das war der für uns - z.Z. heftig umstrittene - Grund, die geplanten Aktionen abzublasen.
Wenn wir uns als Nahziel - eines an der Startbahn entwickelten, aber perspektivisch erweiteren Widerstands - das Kippen des aktuellen hessischen Atomprogramms benannten, so lag dem die Einschätzung zugrunde,
- daß der sowohl hinsichtlich der Mobilisierung wie der Formen des Widerstands erhebliche Auswirkungen auf den Widerstand an den geplanten WAA-Standorten haben wird,
- daß, solange der Widerstand gegen die Startbahn Bestand hat, eine zweite Front für die Landesregierung auf die Dauer nur schwerlich durchzusetzen ist.
Ein Bewußtsein dieser Dimension des Widerstands war in der Bewegung sehr früh und breit vorhanden.
Auch die Landesregierung hatte, als die Inangriffnahme von Baulos 1 in die Vorbereitungsphase kam, den alten Standortvorschlag der DWK (Wethen) als »ungeeignet« zurückgewiesen. Die neuen Mitte November 81 von der Landesregierung vorgelegten Standortvorschläge (Merenberg und Frankenberg) wurden auf Drängen der SPD von der DWK vorläufig wegen des Startbahnkonflikts wieder zurückgezogen. Da sie mittlerweile aber bereits in der Öffentlichkeit durchgesickert waren und in den betroffenen Regionen erhebliche Unruhe auslösten, mußten sie Anfang Dezember notgedrungen auch offiziell bekanntgegeben werden. In der Folgezeit gab es in Wiesbaden Putz zwischen SPD und FDP bezüglich des weiteren Vorgehens, insbesondere wegen Biblis C. Folge davon war am 10.12.81 der große Krisenrat in Bonn, auf dem die hessischen und Bonner Koalitionsspitzen vereinbarten, das weniger dringliche Biblis C zugunsten der WAA vorerst zurückzustellen.
Wegen der großen Mobilisierung rund um die Standorte - mit eine Folge des Initials Startbahn - versuchte die Landesregierung mit allerlei Tricks Zeit zu gewinnen.
Die näherrückende Landtagswahl vor Augen, legte sich das Kabinett Ende Juli auf einen Standort fest: Frankenberg-Wangershausen. Dessen Vorzüge lagen einmal in der großen räumlichen Distanz zur Startbahn-Region und andererseits in der Tatsache, daß das benötigte Gelände bereits dem Land Hessen gehörte.
Der dortigen Bevölkerung sollte das Projekt vorerst mit einem - aus wahltaktischen Überlegungen wie Gründen des Zeitgewinns geborenem - »Bürgerbeteiligungsverfahren« schmackhaft gemacht werden.
Daß dann doch alles ganz anders kam, lag am Bonner Regierungswechsel im Oktober. Der entband Börner von der leidigen Verpflichtung, der Schmidt-Regierung den Rücken für's BRD-Atomprogramm freizuhalten. Er schwenkte nunmehr auf Ablehnungskurs um und die DWK entschied sich in der Folge für Standorte in Bayern (Schwandorf) und Niedersachsen (Dragahn).
Die Karry-Aktion ist in der Linken auf - eher verhaltene - Kritik gestoßen. Intern hat sie heftige Auseinandersetzungen ausgelöst. Beides nicht verwunderlich. Im folgenden sollen die wesentlichen Kritikpunkte und Fragestellungen zusammengefaßt werden:
Zunächst zum Ziel der Aktion. In der - viel zu spät herausgegebenen - Erklärung wurde es damit umschrieben, Karry »für längere Zeit daran zu hindern, seine widerlichen und zerstörerischen Projekte weiterzuverfolgen«.
Diese vage Formulierung deutet die Unsicherheit über die Auswirkungen, die eine solche Aktion - im geplanten Ausmaß! - auf Tun und Handeln von Typen vom Format eines Karry haben, bereits an. Die politische Intention im Sinn einer Warnung vorausgesetzt, ist in Zweifel zu ziehen, ob sich jemand wie Karry, der in so hohem Maß die Personifizierung seiner Funktion betreibt, sich über den Rahmen der eingenommenen Ämter hinaus mit seinem persönlichen Einfluß, seinem Anteil an der Macht identifiziert, von Schüssen in die Beine zum Rückzug bewegen läßt.
Karry gehörte zu dem selten gewordenen Typus von Politikern, deren Selbstverständnis sich nicht auf Karriere und Aufstieg begrenzt. Vielmehr wird es als eine Art »persönliche Berufung« begriffen, die ökonomischen und politischen Linien zu bestimmen. Sein politisches Territorium endete folglich nicht an der hessischen Landesgrenze, wie es seien Ministerfunktion vielleicht erwarten ließe.
Auf ökonomischer Ebene forcierte er weitsichtig die wirtschaftlichen Beziehungen zu China und Osteuropa, sondierte neue Märkte und ebnete die politischen Bahnen und Voraussetzungen für ihre Erschließung.
Mit unterschiedlicher Publizität arbeitete er am kapitalistischen Restrukturierungsprogramm. Mehr im Stillen etwa als Mitglied des Verwaltungsrats der Post, deren neue nachrichtentechnische Projekte wie Bigfon und als dessen Bestandteil die Verkabelung der Republik für die kapitalistische Reorganisation von strategischer Bedeutung sind. In der Öffentlichkeit profilierte er sich als dessen vehementer Verfechter und Propagandist durch Attacken auf Arbeitslose und fehlende Arbeitsmoral, kranke Arbeiter und krankschreibende Ärzte, zwecks deren Disziplinierung er Kontakte zwischen Krankenkassen und ärztlichen Standesorganisationen betrieb.
In seiner Funktion als Bundesschatzmeister der FDP machte er seine Beziehungen u.a. im Zusammenhang mit illegalen Waffenverschiebungen in Krisenregionen geltend, was entsprechend - vermutlich nicht nur bezüglich der Parteikasse - honoriert wurde. Zu diesen internationalen Beziehungen gehören auch enge Kontakte zum Zionismus, die aber weitgehend undurchsichtig geblieben sind.
Auf Landesebene profilierte er sich im Rahmen seines Ministeramtes als politischer Protagonist der ökonomischen und infrastrukturellen Interessen des Kapitals insbesondere im Wirtschaftszentrum Rhein-Main. Sein Name stand für die rigorose Durchsetzung der hessischen Asphalt- und Großprojektepolitik (Autobahnen, Startbahn, WAA, Biblis C, Borken, Atomzentrum Hanau-Wolfgang), die er innerhalb der Landesregierung als heimlicher Ministerpräsident mit der bekannten Trumpfkarte seiner Partei, das »Zünglein an der Waage« zu sein, entsprechend vorantrieb.
Anhand der angerissenen Zusammenhänge wird einerseits klar, daß ein Rückzug aus der Landespolitik für ihn keineswegs der Abstieg in die Bedeutungslosigkeit dargestellt hätte, was für die Möglichkeit des benannten Zieles spricht. Andererseits zeigen sie aber auch auf, daß ein eventueller Rückzug wohl eher eine schwerpunktmäßige Verlagerung auf nicht weniger »widerliche und zerstörerische« politische Tätigkeiten hätte erwarten lassen.
Planung und Ausführung der Aktion waren in einem Zeitraum angesiedelt, in dem die regionale politische Situation gekennzeichnet war von einem absoluten Vakuum linksradikaler Politik und einer nur in Andeutungen existierenden Öko-Bewegung. Der Widerstand gegen die Startbahn war regional wie überregional gerade im Wachstum begriffen. Es herrschte (noch) Ruhe im Land.
Hinzu kam, daß auch intern - um es vage zu beschreiben - die Verhältnisse nicht eben zum Besten standen.
Alles in allem Umstände, die diese berücksichtigende Aktionen und ein zumindest mittelfristig angelegtes politisches Konzept verlangten. Warum wurde dann mit dieser Aktion - auch in der geplanten Form - das genaue Gegenteil vollzogen!
Die Antwort ist in erster Linie in dem politischen und praktischen Trugschluß zu suchen, daß durch punktuelle, aber deftige Schläge ein Mangel an Stärke und die Unfähigkeit zur kontinuierlichen Praxis wenn nicht ersetzt, so doch ausgeglichen werden könnte. Damit wurde auch das Prinzip verneint, Aktionsformen und anforderungen nach den eigenen Fähigkeiten und realen Möglichkeiten, der eigenen Substanz zu bestimmen.
Daß die Gruppe, die diese Aktion ausführte, mit ihr politisch und praktisch vollkommen überfordert war, wurde sowohl in der Ausführung selbst, als auch in der Auf- und Verarbeitung ihres unglücklichen Ausgangs, des Bruchs zwischen Planung und Erfolg, deutlich.
Der der Aktion beigemessenen Stellenwert produzierte eine Blindheit gegenüber wesentlichen Prinzipien:
Neben dem ZIEL einer Aktion unterliegen auch ORT und MITTEL politischen Kriterien.
Der Ort der Ausführung hält diesen Kriterien nicht stand. Die Umstände sind vielmehr ein Verstoß gegen die Grundsätze revolutionärer Moral.
Die Tatsache, daß Karry im Bett erschossen wurde, ermöglichte bzw. provozierte Spekulationen über Zielsetzungen, Motive und Urheber. Daß diese Spekulationen durch die zionistischen Verwicklungen Karrys und die zeitliche Nähe zum Anschlag auf den österreichischen Minister Knittel zusätzliche Nahrung fanden, ist dabei von nebensächlicher Bedeutung. Sollte es aus verschiedenen Gründen (Bedingungen der Gruppe, Lebensumstände von Karry ...) tatsächlich keine andere Angriffsmöglichkeit gegeben haben, so hätte die Aktion zu diesen Konditionen nicht durchgeführt werden dürfen.
In der später abgegebenen Erklärung äußerte sich die Überforderung in einer vorgeblichen Selbstkritik, die eben keine war. Sie reduzierte sich schwerpunktmäßig wie auch völlig unzulänglich auf eine »technische« Ebene der Auseinandersetzung. Schlimmer noch: die eigene Irritation über das, was real bei der Aktion rauskam, wurde geleugnet und darüberhinaus selbst die grundlegenden Unterschiede zwischen geplantem und eingetretenem Ausgang kurzerhand mit verbaler Kaltschnäuzigkeit vom Tisch gewischt.
Der Trugschluß, die organisatorischen und politischen Unzulänglichkeiten der Bewegung wie des eigenen Selbstverständnisses durch Entschlossenheit ersetzen zu können, charakterisiert sich sowohl durch eine verhängnisvolle Tendenz zum Militarismus als auch durch ein zwar begründetes, in dieser Form aber praktisch und inhaltlich falsches Endzeitbewußtsein. Dafür stehen in der Erklärung vorhandene Passagen wie: nicht mehr viel Zeit zu haben (»... dann muß schleunigst mit dieser Untertanenlogik gebrochen werden ...«), die letztlich in »existentialistischen« Appellen münden (»Gebrochenes Rückrat oder aufrechter Gang - das war seit jeher DIE Entscheidung«).
Gerade diese Appelle weisen auf die wesentliche politische Absicht der Aktion hin: sowohl nach außen wie nach innen Fanale zu setzen.
Nach außen in der Erwartung, über einen persönlichen Angriff auf die regionale Symbolfigur von Umweltzerstörung und menschenfeindlicher Großtechnologie für den Kampf gegen die anstehenden Großprojekte zu mobilisieren.
Zweifelsohne war die geplante Angriffsform der Person Karrys angemessen. Gleichermaßen war er ein geeigentes Angriffsziel, da er für große Bevölkerungsgruppen ein ausgeprägtes Feindbild verkörperte. Ausdruck davon war u.a., daß seine öffentlichen Wahlkampfauftritte, die sich weitgehend auf Industriellenclubs beschränkten, im umgekehrten Verhältnis zu seiner Bedeutung in der Landespolitik und v.a. in seiner Landespartei standen.
Dabei muß aber festgehalten werden, daß Aktionsziel und -form dem damaligen Stand der Bewegung meilenweit voraus waren. Dieses Auseinanderklaffen begründet nicht unbedingt die Ablehnung der Aktion zu diesem Zeitpunkt. Sie hätte jedoch dann einer eingehenden und stichhaltigen politischen Begründung bedurft, die darüber Auskunft hätte geben müssen, warum ein derartiger Vorgriff für notwendig gehalten und vollzogen wird. Zudem hätte diese Begründung eine weitergehende politische Konzeption, wenn auch nur in groben Zügen, beinhalten müssen. Auch der heftigste Appell bleibt eben nur ein Appell und entbindet nicht von der Notwendigkeit praktischer und politischer Kontinuität, in der allein sich die wie auch immer gearteten Inhalte realisieren.
Ähnliches gilt für das Fanal nach innen. Soweit überhaupt, können solche Appelle nur beschränkt klärende Prozesse und notwendige Auseinandersetzungen provozieren und schon gar nicht politische und praktische Konzepte ersetzen. Ganz abgesehen davon, inwieweit eine solche Funktion von Aktionen akzeptabel ist.
Letzthin haben auch die politischen und praktischen Fehler im Zusammenhang mit dieser Aktion generell aufgezeigt, daß mit der Beschreibung dieser Aktionsstufe die Grenzen des herkömmlichen Zellenprinzips deutlich überschritten werden. Angriffsformen dieser Kategorie stellen Anforderungen an die Beteiligten, die im kleinen Rahmen der abgeschottenen Gruppenautonomie aus organisatorischen wie politischen Gründen nicht zu erfüllen sind.
ein paar Gedanken zum guten Schluß
Wie bereits festgestellt, hat die Kontinuität militanter Politik erfolgreich zur Entstehung organisierter Militanz beigetragen. Sie drückt sich z.B. darin aus, daß es demnächst an der Startbahnmauer kaum noch Streben zu knacken gibt (Mönchbruch Liberation Army, Anarchie & Gaudi, Panzerknacker e.V.), Betreiber und Gerichte weiter zur Verantwortung gezogen werden.
Der Ausdehnung und Festigung des Kleingruppenkonzepts und einer großen Akzeptanz militanter Aktionen steht auf Massenebene das Fehlen eines politischen Pendants gegenüber (die Gründe dafür haben wir im Vorhergehenden benannt). Deutlich wird dieses Dilemma wieder in Form und Inhalt der Beteiligung der Startbahnbewegung in der Friedensbewegung. Das Fehlen eines politischen Katalysators ermöglicht heute wieder die offizielle Dominanz der Bewegungsverwalter. So scheuen sich die ehemaligen Betreiber des Volksbegehrens gegen die Startbahn West nicht, erneut ein »Hessisches« Volksbegehren, diesmal »für den Frieden« anzuleiern.
Im Startbahnkonflikt sind Erfahrungen und Entwicklungen gemacht worden, die wichtige Impulse in die Friedensbewegung tragen können, um sie tatsächlich zu einem wirkungsvollen Faktor gegen die Raketenstationierung zu machen. Menschenketten, symbolische Blockaden sind ein politischer Rückfall in vorstartbahnliche Zeiten. In ihnen werden sämtliche Kampf- und Bewußtseinsprozesse negiert und zurückgenommen, die in mehreren Jahren Startbahn-Kampf gewachsen sind.
Die Gewaltfrage ist nicht das wirkliche Problem der Friedensbewegung.
Deutlicher noch als im Startbahnkonflikt entspringt die organisierte Gewaltlosigkeit der Friedensbewegung nicht einer Bewußtseinslage, die die Form des Kampfes meint, sie ist hier wie dort die verwaltende Organisationsform.
Nur als solche kann sie be- und angegriffen werden.
Ob Bonn [22] oder Neu-Ulm, solche Unternehmungen auf Bundesebene - besonders im Hinblick auf die politische Zusammensetzung der Friedensbewegung - sind so angelegt, daß das praktische Einbringen anderer und eigener Momente kurzfristig und zu dem Termin nicht möglich, durchsetzbar ist.
Es fragt sich, warum partout vermieden wird, Demos und Aktionen in der Region durchzuführen. Als ob es hier an Objekten mangelte.
Es hat den Anschein, daß die vordergründigen Argumente gegen eine Air-Base-Demo/Blockade (die ja vielfältige Formen haben könnte), wie der Dauerlutscher »Die Bürger machen da nicht mit«, eher die Befürchtung beinhalten, diese oder andere regionale Aktionen könnten erneut unkontrollierbar die Eigendynamik der alten Bewegung in Gang bringen und eskalieren. Dies gerade in Bezug auf die Air-Base, die wie kein anderes Objekt die Verbindungslinie zur Startbahn West herstellt.
Die Sonntagsspaziergänge haben mittlerweile eine eineinhalbjährige Tradition - Gradmesser für die anhaltende Mobilisierung. Das Ausmaß der Beteiligung ist im Laufe der Zeit mehr und mehr zurückgegangen. Je mehr sichtbar wurde, wie das Projekt durchgezogen wurde, desto weniger Leute kamen noch raus.
Die Bullen haben gelernt, die Aktivitäten - von Ausnahmen abgesehen - in den Griff zu bekommen. Sie sind dabei immer dreister geworden. Daß sie es sich inzwischen leisten können, ganz frech das gesamte Gebiet um's Startbahn-Gelände zu kontrollieren und andauernd im Wald rumzufahren, ist eigentlich eine Schande.
Eine Möglichkeit, dem Einhalt zu gebieten und sie wenigstens wieder hinter die Mauer zu scheuchen, wäre unter anderem z.B. der massenhafte Einsatz von Krähenfüßen, Buttersäure gegen Bullen. Ergänzt durch allerlei andere Attacken und Späßchen könnte das ein praktisches Nahziel - Bullen hinter die Mauer - der unbeirrten Bewegung sein. Ein solcher kleiner Sieg könnte - was sehr wichtig ist - frischen Wind in die zum Ritual erstarrten allsonntäglichen Geplänkel (meist am Feldherrenhügel) bringen.
Denn ohne frischen Wind läuft die Sonntagsbewegung Gefahr, wegen der sich ausbreitenden Frustration und Resignation sich noch weiter zu dezimieren.
Also denn
Stärke, Lust und Fantasie besiegt die Bullenmaschinerie