Was ist das Patriarchat?

Diskussionstext der Revolutionären Zellen von 1989

Südafrikanische Geschlechtsordnung oder
das Verschwinden der schwarzen Frauen

Man sagt, die schwarzen Frauen seien dreifach unterdrückt: als Schwarze, als Arbeiterinnen und als Frauen. Damit sind sie abgehakt und erledigt. Der breite Strom der Analysen wälzt sich über sie hinweg und begräbt sie unter sich. Man muß schon mit den Fingernägeln im Boden kratzen, um sie zerhauen und mineralisiert als »Salz der Erde« wiederzufinden oder gönnerhaft als »Töchter Afrikas«. Nährstoff oder Männerschöpfung, auf jeden Fall immer ohne ein Selbst. An ihrem Verschwinden arbeitet nicht nur der weiße Mann, sondern auch der schwarze. Beginnen wir mit der südafrikanischen Raumordnung, die primär eine Geschlechtsordnung ist. Die berüchtigten Reservate sind vor allem Frauenlager, in die vier Millionen schwarze Frauen eingeschlossen sind mit ihren Kindern, mit deportierten Alten und abgeschobenen Arbeitsinvaliden, deren umfassende Versorgung man ihnen wie selbstverständlich aufzwingt und deren existenzielles Überleben sie unter den extremsten Bedingungen zu erarbeiten haben. So ernährt der überwiegende Teil der Reservatsfrauen ausschließlich und allein ihren jeweiligen Familienzusammenhang und bleibt doch lebenslänglich »unmündig«, eine paradoxe Definition, die sie jedoch sehr real unter die permanente Vormundschaft von Männern, oft ihrer eigenen Söhne zwingt. Diese gezielte Abwertung macht sie gleichzeitig zu absolut Mittellosen, denen in der Regel weder das bearbeitete Land, das besorgte Haus, noch das versorgte Vieh gehören, nicht einmal der eigene Lohn. Denn nach den alten Stammeskodices [41] des schwarzen Mannes heißt Frausein nicht ganz Mensch sein, ein Zustand der Inferiorität [42], der alle Rechte auslöscht, mit Ausnahme des Rechts auf die notwendige Nahrung und die Kleider am Leibe.
Dieser bestürzend phallokratische Kodex ist bezeichnenderweise der einzige, den das patriarchale SA-Regime aus dem komplexen Sittengeflecht einstmals autochthoner [43] Stammesverbände herausgeschnitten hat, um ihn heute hämisch als »Banturecht« oder »Natal [44]-Code« den gewaltsam zerstörten und zerrissenen schwarzen Lebenszusammenhängen in den Reservaten juristisch aufzuzwingen. In diesem perfiden [45] Akt soll nicht unbedingt der schwarze Mann mit der Sklavin bestochen werden, vielmehr enthüllt sich darin die Essenz [46] des rassistischen Kapitalismus. Es wird offenbar, daß er sich mit exzessiver Gewalt einen absolut entrechteten und unendlich aussaugbaren Nährboden an schwarzen Frauenkörpern und schwarzer Frauenarbeit schaffen will, um sie als unentgoltenen Energietransfer und primären Lebensstoff seiner Maschinerie einzuspeisen. Das drückt der Wille zur Deportation und Internierung perspektivisch aller schwarzen Frauen als Nichtwert aus. Die Internierung als Geschlechtsperspektive, die mit den Mitteln der Separation, des Einschlusses und der vollständigen weiblichen Enteignung das maßloseste aller Ausbeutungsverhältnisse konzipiert, um schwarzer Frauenarbeit den puren und nackten Extraprofit abzupressen.
Dafür sprechen die rigorosen Zuzugssperren und das beständig enger geknüpfte Schleppnetz an Ausweisungserlassen, das sich über den Frauen der städtischen Ghettos zusammenzieht. Indem sie durch Heirat grundsätzlich ihr eigenständiges Aufenthaltsrecht verlieren, es sei denn, sie nehmen sich einen Mann aus dem gleichen Bezirk, wird de facto ein Verbot schwarzer Familiengründungen durchgesetzt, das als Instrument der Bevölkerungspolitik beispiellos ist. Desgleichen ziehen eine Scheidung oder Verwitwung die Deportation der Frau nach sich, ebenso wie die gleichermaßen vage wie allumfassende Abstempelung als »Faule Bantu«. »Faulheit« ist die generelle Sprachregelung des SA-Regimes für die diversesten Tatbestände: etwa dafür, keine Lohnarbeit zu haben, es zu wagen, eine Stelle abzulehnen oder diese oft zu wechseln, sich zu organisieren oder gar zu streiken.
Das führt uns auf das Terrain der Frauenlohnarbeit und damit direkt zur zentralen Figur des Arbeitsverwalters. In kafkaesker Allmacht [47] und Willkür kann er eine Arbeitserlaubnis erteilen, verweigern oder widerrufen und damit automatisch die Ausweisung anordnen. Es liegt jedoch wesentlich im Charakter der den schwarzen Frauen aufgezwungenen Arbeiten, der es den wenigsten ermöglicht, ihre Existenz in Südafrika zu legalisieren. Eine zehnjährige Dauerbeschäftigung beim gleichen Arbeitgeber kann kaum eine von ihnen nachweisen, was sie zu Illegalen in ihrem eigenen Land macht.
So schlägt sich ein Teil der Frauen als Händlerinnen und Marktfrauen, als Zeitungsverkäuferinnen und bierbrauende »Skokian queens« [48], als Prostituierte, Ladendiebinnen und Einbrecherinnen durch. »Der Kleinhandel ist jedoch nicht unbedingt Ausdruck neuer weiblicher Privilegien. Vielmehr ist er die einzige Tätigkeit, bei der man kein Anfangskapital oder Eignung, Geld, festen Wohnsitz oder Schutz braucht.« (B.Kossodo) Diese Voraussetzungen schaffen allerdings die nötige Beweglichkeit in der Illegalität, das gilt im Besonderen für die wachsende Anzahl junger Frauen, die sich gezielt und zunehmend professioneller von Ladendiebstählen und Einbrüchen ernähren. »Etliche junge Frauen mit meist ganz günstigen Zukunftsaussichten (!) sind der Trunksucht verfallen und führen das Leben ständiger Gesetzesbrecherinnen,« klagt bestürzt die christliche Sozialarbeiterin Kuzwayo. [49]
Schwarze Frauenlohnarbeit wird im System der weißen männlichen Suprematie [50] radikal entwertet; jedenfalls wird ein schwarzer Mann doppelt und dreifach so hoch veranschlagt und ein weißer gar mehr als zwanzigfach. Eine winzige städtische Minderheit schwarzer Frauen arbeitet als Lehrerin, Krankenschwester, Sekretärin oder Verkäuferin - die uns nur allzu vertrauten phallokratischen Spiegelungen der Vexierbilder [51] von der domestizierten [52] Frau. Zwischen zehn und zwanzig Prozent, genauer will das offensichtlich niemand wissen, müssen sich zu ebenso abscheulichen wie normativen Konditionen in den »border industries« verdingen, einer südafrikanischen Version freier Produktionszonen mit ihren berüchtigen Sonderkonditionen und Entrechtungen der Arbeitskraft. Die »borders« entspringen jüngsten Kapitalstrategien, die darauf drängen, zu extraordinären [53] Profiten die Reservatsarmut abzuschöpfen. Einem eiseren Kordon gleich schlingen sie sich um die Reservatsränder, um aus ihnen schwarze Frauenlohnarbeit herauszupressen für ihre Klitschen, die auf Textil, Nahrungsmittel, Schuhe, Getränke und Tabak zugeschnitten sind. Orte, an denen jedes Arbeitsrecht außer Kraft gesetzt wird, die keinen Mindestlohn kennen, an denen mit einem Entgelt abgespeist wird, das die juristisch gezogene Armutsgrenze drastisch unterschreitet, um die Armut jenseits der Armut zu verwerten.
Die miserabelste und verhaßteste aller Arbeiten aber bleibt unverändert die Feldarbeit, insbesondere in der Form, in der sie Frauen zugemutet wird. Bar jeder nennenswerten technischen Hilfsmittel wird sie zur schweren, erschöpfenden, endlosen Knochenarbeit, die nur allzuoft in minderwertigen Naturalien vergütet wird. Tagelöhnerinnen und Saisonarbeiterinnen, gebückt, zerschunden und extremsten Witterungen ausgesetzt, mit Kindern im Schlepptau, die unentgeltlich mithelfen müssen, diese steinharte Realität enthüllt den galligen Kern des Mythos, Frauen seien der Natur und der Erde näher; wahrhaft im Schweiße ihres Angesichts und gekrümmt unter einer unerträglichen Arbeitslast. Die stürmische Industrialisierung der Landwirtschaft, die rigoros die schwarzen Kleinpächter von ihren Parzellen fegt und männliche Landarbeit entschieden ausdünnt und technisiert, saugt sich gleichzeitig ein riesiges Quantum an schwarzen Frauenkörpern ein, aus denen sie den Stoff extrahiert [54], um Mann und Maschine zu finanzieren. Daher sind die beiden Phänomene kein Widerspruch, sondern die Fermente [55] ein und derselben Dynamik. Je mehr die harte Kompontente der Feldarbeit zur spezifischen Frauenarbeit gerinnt, desto nachhaltiger verschwindet sie aus der gesellschaftlichen und analytischen Wahrnehmung. Wie alles, was Frauen berühren.
Gänzlich ohne Schatten ist das schwarze Frauenheer, das täglich in den weißen Herrschaftshäusern verschwindet. Im selben Augenblick, in dem es die Schwelle überschreitet, wird es buchstäblich verschlungen, verliert jede körperliche Substanz und menschliche Präsenz. Die Heilige Familie des SA-Patriarchats gruppiert sich um die Arbeit des schwarzen Weiberpersonals in einer Weise, die zwanghaft und mühelos aus den schwarzen Körpern absolute Leerstellen macht und aus den Seelen totes Inventar ohne Eigennamen. Der Dynamik des Herrn-und-Magd-Verhältnisses wohnt, so Hegel [56], das stete Bemühen inne, das Bewußtsein der Magd auszulöschen. Insofern entschlüsselt sich das Paradox, daß ausgerechnet die Wesen, die auf gesellschaftspolitischem Territorium am radikalsten entwertet und entschlossensten separiert werden, wiederum dem allerprivatesten, intimsten und »geheiligsten Bereich« der weißen Herrschaften einverleibt und gezwungen werden, deren gesamte Reproduktion zu erarbeiten. Eben als bewußlose Kreaturen, deren Blick nichts bedeutet.
»Domestic service ist eine totale Institution«, sagt Nobengazi Kota. Hausarbeit ist lückenlos, ohne zeitliche Konturierungen, ohne Freiraum, ohne einen Ort des Rückzugs, den jede menschliche Identität erheischt. Hausarbeiterinnen bewegen sich ununterbrochen, vollständig isoliert und stetig überwacht in einem fremden und feindlichen Orbit, der nach keinen Regeln funktioniert, außer denen der Willkür der Herrschaft.
»Die Hausfrau wird als der schlimmste Dienstherr im Land verurteilt. Sie läßt ihre Angestellten in der Woche durchschnittlich zweiundsiebzig Stunden arbeiten und bezahlt ihnen, was sie nach dem Kolonialwarenhändler, dem Metzger usw. gerade noch aus ihrer Haushaltskasse herausquetschen kann.« Obwohl es sich hier um eine alte Klage schwarzer Dienstboten aus den USA handelt und darin zu Unrecht den weißen Hausfrauen die ausschließliche Schuld an der historischen und totalen Institution Hausarbeit angelastet wird, spiegeln sich darin sehr genau die Arbeitsbedingungen der über achthunderttausend maids im heutigen Südafrika wider, insbesondere die der »sleeping-in-domestics«. »Maid« gleich Mädchen, gleich pejorativer [57] Stempel des Herrn auf der Magd, auf schwarze Frauen aller Altersstufen, den überwiegend alleinigen Ernährerinnen der durchschnittlich sieben Menschen, die an ihnen hängen. Einige unter ihnen kommen über achtzig Wochenstunden, eine grenzenlose Arbeitswüste ohne Absicherungen, ohne Kranken-, Sozial- und Altersversicherung. Werden sie ernstlich krank oder alt, berichtet Ellen Kuzwayo, enden sie oft in den Durchgangslagern für völlig mittellose Schwarze auf dem Weg in die Deportation.
Die Internierung als weibliche Geschlechtsperspektive ist das schärfste Instrument des SA-Regimes in Bezug auf schwarze Frauenarbeits- und Bevölkerungspolitik. Ihre maßlose Vernutzung in »border industries« und Feldarbeit geschieht bereits weitgehend aus den Reservaten heraus. Die Hausarbeit in den weißen Herrschaftshäusern ist in sich selbst ein Isolationsgefängnis, das viele Frauen obendrein in die Zementzellen der Dienstbotenquartiere bannt. Selbst die weibliche Population der schwarzen Ghettos, sogenannte Paragraph-Zehner-Frauen mit verbrieftem Aufenthaltsrecht haben keinen sicheren Stand mehr. Immer engere und raffiniertere Abschieberaster höhlen ihren Anspruch aus und sieben rigoros nach einer spezifischen Form der Verwertbarkeit. Man will unbedingt und ausschließlich ein bestimmtes Kontingent an jungen, kinderlosen, unverheirateten, fleißigen, unorganisierten Mädchen-Frauen, also einen absolut ephemeren Zustand weiblicher Arbeitskraft, in den das nachträgliche Verschwinden bereits eingebaut ist.
Mit der Deportation gerade des Geschlechtes aus Südafrika, das die schwarze Gattung produziert und reproduziert, soll mit aller Macht eine einschneidende Dezimierung der autochthonen Bevölkerung erreicht werden. Zwei Drittel der schwarzen Frauen sind bereits durch die systematische Ruinierung ihrer Lebenszusammenhänge alleinstehend. Die verheiratete Minderheit lebt zumindest in den Reservaten ein Witwenleben, in dem einmal im Jahr der Mann in ewiger Migration als Besucher vorbeikommt; wenn er noch kommt.
Die radikale Separation der Geschlechter soll primär einen gravierenden Rückgang der Geburten erzwingen und generell das Aufwachsen neuer schwarzer Generationen blockieren. Bereits heute sterben in den Reservaten siebenmal mehr Neugeborene als in den Ghettos. Unter den toten Säuglingen sind wiederum über zwanzig Prozent mehr weibliche als männliche, weil ein strikter traditioneller Herrschaftskodex verlangt, daß speziell in Notlagen in das männliche Prinzip die letzten Frauenenergien vorgeschossen werden. In dieser Todeslogik, in der der regierungsamtlich definierte »überflüssige Anhang« mit allen Mitteln dezimiert werden soll, ist die Abtreibung selbstverständlich verboten, weil schwarzen Frauen ihr Körper keinesfalls selbst gehören darf und mit diesem Verbot der erstrebte Zwang zur Sterilisation wächst. Es gibt weltweit ein wahrhaft grausames Repertoir an staatlichen Geburtenkontrollen und Bevölkerungspolitik. Für die minutiös ausgearbeitete und gewaltsam durchgesetzte Internierung von Frauen kennen wir keinen Vergleich. Sie ist beispiellos.
Indes, schwarze Frauen verschwinden in den Reservaten nicht allein durch die Tatsache, daß sie dort eingeschlossen werden. Unsichtbar und der gesellschaftlichen Wahrnehmung vollständig entzogen werden sie durch ihre Arbeit: Frauenarbeit, was nicht Frauenlohnarbeit meint. Lohnarbeit wird auch in ihren niedrigsten Positionen registriert, gemessen und bewertet. Sie erscheint auf dem Arbeitsmarkt und verleiht ihrem Träger eine gewisse Relevanz. Die Produktion der Gattung im umfassensten Sinne dagegen vollzieht sich in einem absoluten jahrtausendealten Dunkel; sie erscheint nicht als Arbeit, sondern als Fluch. Im gängigen Koordinatenkreuz der Politökonomie wird dieses Phänomen fälschlicherweise mit »vorkapitalistisch« übersetzt. »Durch die Erhaltung des vorkapitalistischen Sektors, aus dem männliche Arbeit in zunehmendem Maße abgezogen wurde und in dem Frauen dominieren sollten, wurde die Aneignung von Arbeit zu unglaublich niedrigen Kosten möglich. Kosten, die in der Regel vom Kapitalisten mitgetragen werden, wurden ausschließlich vom vorkapitalistischen Sektor aufgebracht. Im Klartext: Frauen sorgen für das, was anderswo Arbeitslosenversichung, Pensionskasse, Erziehung und Heranbildung neuer Arbeitskräfte, Gesundheitsfürsorge und Krankengeld genannt wird.« (Ivy Matsepe).
Damit ist Frauenarbeit zwar immer noch nicht erschöpfend definiert. Allein es fällt ins Auge, daß die genannten Versorgungssysteme grundsätzlich und immer von Frauen geleistet werden, wobei einzig das Ausmaß historisch variiert. Vorkapitalistisch ist das beileibe nicht, im Gegenteil. Es ist der Gipfel kapitalistischer Rationalität, ein immer größeres Heer menschlicher Arbeitskraft zunichte, zu Nichtwert zu machen, weil die Verwertungsmaschine ein stetig wachsendes Quantum an unentgoltenen Arbeitsleistungen erheischt. Bezeichnenderweise spricht man in diesem Kontext von einer »Verweiblichung« der Arbeit, denn die restlose, absolut unentgeltliche Aussaugung von Frauenarbeit ist das Ursprungsmodell für den totalen Extraprofit. Wir begreifen, daß der Sexismus die Matrix [58] für den Rassismus ist.
Und so greift denn auch das SA-Regime in seiner Frauenpolitik nicht auf die reichhaltigen vorkapitalistischen Lebens- und Produktionszusammenhänge der schwarzen Stämme zurück, sondern eliminiert sie gnadenlos und unendlich gewaltsam. Die Reservate sind gewaltsame kapitalistische Neuschöpfungen und in ihrer Struktur ebenso modern wie vernichtend. Durch sie wird gezielt der Zusammenhang von Produktion und Reproduktion zerrissen - nicht nur räumlich, sondern auch in Bezug auf die Wertabschöpfung; denn durch die radikale Negation der Reproduktionskosten lassen sich exorbitante Profite extrahieren.

Das Verschwinden aller Frauen:
oder Was ist das Patriarchat?

Die Frage bleibt, warum läßt sich die Reproduktion der Gattung so radikal negieren? Und warum das Geschlecht, das sie verkörpert? Erinnern wir uns: »Frauen sorgen für das, was anderswo Arbeitslosenversicherung, Pensionskasse, Erziehung und Heranbildung neuer Arbeitskräfte, Gesundheitsfürsorge und Krankengeld genannt wird.« Wir haben diese Aufstellung moniert, weil sie - und das ist kein Zufall - den springenden Punkt nicht enthält: Frauen produzieren die Gattung.
Dieser unabweisbaren biologischen Tatsache ist, soweit wir wissen, niemals die erforderliche analytische Aufmerksamkeit zuteil geworden, weil sie sich dem linken, männlichen Gleichheitsgedanken widersetzt und eine unauflösliche Geschlechtsdifferenz schafft. Allein Simone de Beauvoir [59] hat es unternommen, dieses brisante Faktum den Biologisten zu entreissen, die daraus die ewige Apologie [60] des Patriarchats schmieden. Sie schreibt und wir fassen zusammen: »Wie der Mann ist die Frau ihr Leib; aber ihr Leib ist etwas anders als sie. Von der Pubertät bis zur Menopause ist sie der Schauplatz eines Ablaufs, der sich in ihr vollzieht, ohne sie zu betreffen. Tatsächlich besteht bei dem Kreislauf der Menstruation keinerlei individuelle Zweckhaftigkeit, warum sie auch mancherorts •der Fluch­ genannt wird. Wahr daran ist, daß die Frau unablässig die Leistung der Schwangerschaft andeutungsweise vollzieht in monatlichem Blut und Schmerzen. In den Schwangerschaftsperioden von einem anderen bewohnt, das sich von ihrer Substanz nährt, ist sie gleichzeitig sie selbst und ein anderes. Eine ermüdende Leistung, die den ganzen Organismus erschüttert und für die Frau keinen privaten Vorteil bietet. Im Gegenteil. Der Konflikt zwischen Art und Individuum, der bei der Niederkunft manchmal zum Drama wird, gibt dem weiblichen Körper eine bedenkliche Anfälligkeit. Man sagt gern, die Frauen hätten •Krankheiten im Leibe­; wahr ist, daß sie ein fremdes Element in sich tragen: die Gattung, die an ihnen zehrt. Eine Gattung, in der Kinder noch lange nach dem Stillen unfähig bleiben, selber für ihre Bedürfnisse zu sorgen.«
So endet die Körperarbeit der Frau nicht an den inneren Grenzen ihres Leibes; die Abnabelung allein macht aus dem Neugeborenen keineswegs ein unabhängiges, lebensfähiges Geschöpf. Diese eigentümliche Hinfälligkeit der menschlichen Gattung erzwingt ein komplexes Versorgungsystem, und tatsächlich produziert das weibliche Geschlecht, indem es die neue Generation hervorbringt, die Sicherung der alten. Art und Ausmaß dieser Belastung sind allerdings keine Naturkonstanten, in ihnen spiegeln sich bereits die historischen und Machtverhältnisse. Ein Frauenleben muß nicht eine ununterbrochene Kette ruinöser Schwangerschaften unter den schlechtesten Lebensbedingungen und extremem körperlichem Verschleiß sein. Das ist bereits die Übersetzung einer biologischen Determinante [61] ins Gesellschaftliche. Und der Bereich des Historischen und der Macht beginnt dort, wo über das spezifisch weibliche Vermögen der Gattungsproduktion ein gesellschaftliches Arbeitsverhältnis gestülpt wird. Ein gesellschaftliches Arbeitsverhältnis, das den gesamten Bereich menschlicher Reproduktion dem Geschlecht aufzwingt und es darin versklavt. In diesem Gewaltakt sieht Hegel süffisant »das subjektive Element beim Manne, während das Weib in die Art eingeschlossen bleibt«. Dieses Einschließen des Weibes in die Art entspringt weder ihrer Natur noch einem Mythos, vielmehr etwas steinhart Konkretem und Männergemachtem: der Erzwingung unendlicher Arbeitsleistungen von der Frau an der Nahrung, der Kleidung, der Behausung, der Hygiene, der Gesundheit, der Krankheit, der Kindheit und am Alter, kurz der gesamten Gesellschaftsarbeit; die ironischerwiese als private erscheint. Wie ist das möglicht? Von der Körperarbeit, in die die unaufhebbare Differenz der Geschlechter eingeschrieben ist, ist der Mann, außer des flüchtigen Moments des Koitus, vollkommen frei. Eine zwiespältige Freiheit, weil frei vom Vermögen und frei von der Last der Gattungsproduktion. Diesen Überschuß in der Körperökonomie, dieses Surplus [62] an individuellem und geschlechtskollektivem Spielraum benutzt der Mann, um das gesellschaftliche Terrain zu besetzen und daraus einen Machtraum zu formieren, aus dem er das Geschlecht mit Eigenschaften gewaltsam vertreibt und unter das Joch der Gesellschaftsarbeit zwingt. In diesem ersten historischen Zwangsarbeitsverhältnis enthüllt sich das hegelsche »subjektive Moment beim Manne« als seine gewaltsam durchgesetzte Befreiung von jeglicher Gesellschaftsarbeit, um frei zu sein für Arbeiten, die seine Machträume erweitern; während »das Weib in die Art eingeschlossen bleibt«, insofern es gewaltsam aus den öffentlichen Machträumen vertrieben und in den Untergrund einer unendlichen Vernutzung in der Gesellschaftsarbeit eingeschlossen wird. Daher ist es möglich, daß ein ganzes Geschlecht seit Menschengedenken nicht als gesellschaftliches erscheint. Daher verschwinden die Frauen.
Der Akt der gesellschaftlichen Vernichtung der Frauen ist allerdings ein doppelter: der Zwang, der aus Gesellschaftsarbeit unsichtbare Frauenarbeit macht, setzt sich fort in der radikalen Entwertung dieser Arbeit. Indem der Mann beides - Frauen und die ihnen ins Fleisch gebrannte Arbeit - in den Orkus verbannt wie Eurydike [63], nach der er nicht zurückblicken darf, planiert er sich die Operationsbasis für ein gesamtgesellschaftliches Herrschaftsmodell, das Arbeit ausdrücklich immer als Unterwerfung und Ausbeutung organisiert und in die Geschichte hineinstaffelt als Sklaverei, Leibeigenschaft bis zur kapitalistischen Mehrwertabpressung, ohne seinen Ursprung preiszugeben: den Extraprofit, den er aus Frauen zieht. Ein Raub, der nicht als solcher erscheint und daher auch nie die Analyse beschäftigte. Denn Frauenarbeit und damit ist nicht Frauenlohnarbeit gemeint, ist »flüssig«, sie gerinnt nicht zur festen Form, sie vergegenständlicht sich in keinem Produkt, das sich austauschen läßt. Insofern läßt sie sich nicht in Beziehung setzen, nicht messen, bleibt »unermeßlich« und ohne Maß ist wiederum kein Vergleich möglich, einem Äquivalent jeder Boden entzogen. Eine Arbeit indes, die kein Äquivalent [64] kennt, schafft keinen »Wert«, weil sie sich nicht darin ausdrückt. Sie ist »wertlos« und macht die Abschöpfung eines Mehrwertes unmöglich. Der dennoch aus ihr gezogene Gewinn entzieht sich jeglicher Akkumulation. Wir sehen: Frauenarbeit schafft keinen »Wert«, aus ihr lassen sich auch keine akkumulierbaren Profite extrapolieren [65] und ist dennoch unendliche gesellschaftliche Arbeit.
Natürlich bleibt sie sich in ihrer Form nicht gleich, sondern ist gravierenden historischen und gesellschaftlichen Veränderungen unterworfen. Indes bergen sämtliche Erscheinungsformen, in die Frauenarbeit gepreßt wird, in sich denselben harten Kern: ihre Substanz und ihre Trägerin sind bis zur Unkenntlichkeit entwertet. Dieser radikalen Negation begegnen wir in allen Ideologiesystemen, Arbeitsanalysen und Werttheorien. Sie ist aus dem gesamten Herrschaftskomplex kategorialer Diskurse [66] gestrichen und ausradiert. Und was dort nicht existent ist, ist auch gesellschaftlich ausgelöscht, weil systematisch seine Artikulation blockiert wird.
Ein Geschlecht, das sich in nichts symbolisieren und sich keine gesellschaftliche Repräsentation schaffen kann, ist »ein Geschlecht, das nicht eins ist«, sagt Luce Irigaray. [67] Denn der Mensch ist nicht eine natürliche Art, sondern eine historische Idee. Und die historische Idee kennt bis heute nur den Mann. Signifikant [68] wird das an allen gängigen Revolutionstheorien mit ihrem Gleichheitsversprechen, das in Wahrheit eine Drohung ist. Denn was bedeutet es anderes, als daß die unaufhebbare Geschlechtsdifferenz noch entschlossener negiert wird, eine Negation, die nur über die vollständige Einebnung der Frau gelingen kann. Über die eingeebnete Frau gedenkt der Mann sich seiner Fesseln zu entledigen und vom Reich der Notwendigkeit ins Reich der Freiheit - seiner dritten - zu schreiten, als Maß aller Dinge. »Die Differenz wird in der Ökonomie des Gleichen, des Einen, ein und desselben vernichtet, und in allergrößter Allgemeinheit in den selbstrepräsentativen Systemen des männlichen Subjekts ausgelöscht.« (Irigaray)
Wir verstehen nun, daß der Geschlechterantagonimus eine absolut andere Dimension hat als der Klassenantagonimsus. Mehr noch, daß sich bei der Gleichsetzung bewußt die männliche Suprematie in alle Ewigkeit festzuschreiben gedenkt; indem mit Vorsatz die existentielle Mehrarbeit der Frau unterschlagen wird, die fortbesteht jenseits aller Herrschaftsverhältnisse. Klassenantagonismen tragen zumindest perspektivisch die Möglichkeit ihrer Aufhebung in sich. Es existiert keine historische Gesetzmäßigkeit, keine Unabänderlichkeit, die den Menschen zwingt, den Menschen auszubeuten. Unabänderlich indes ist allein die Tatsache, daß beide Geschlechter niemals gleich sein werden. Niemals wird der Mann das Maß aller Dinge sein, es sei denn, er vernichtet das weibliche Geschlecht mit dem ihm innewohnenden Vermögen. Dieses Verlangen verbirgt sich in seinem ebenso aggressiven wie obsessiven [69] Bemühen, mit den Mitteln der technologischen Reproduktion die geschlechtsspezifische Divergenz [70] zu annullieren, sich einzuverleiben, damit sich endlich die lebendige Frau erübrige. Wozu, fragt er sich, hat er die Götter gestürzt, wenn nicht in dem Verlangen, auf Erden der Eine und Einzige zu sein?
Hier entdecken wir eine bestürzende Kohärenz, [71] die den revolutionären Mann einschließt: eine Kohärenz, die alle seine Gegenentwürfe durchzieht. Nachdem er seine Götter und ihr unhaltbares Jenseits offiziell verworfen hat, um sich selbst zu schaffen, läßt er in seinen revolutionären Utopien behende die alten zähen und penetranten Paradiese im Diesseits wieder auferstehen, denn sein Reich ist ja von dieser Welt. Wir blicken in das gleiche Gedankengebäude, nur der Besitzer hat gewechselt. Der revolutionäre Mann verkündet pathetisch das Reich der Freiheit, der Gleichheit, das Ende aller Ausbeutung des Menschen durch den Menschen. Das Ende der Frauenausbeutung durch den Mann kann er damit unmöglich meinen, denn dieses Ende zerreißt alle bisherigen Revolutionsentwürfe als Makulatur [72], entlarvt sie als das, was sie sind: männliche linke Herrschaftsidyllen. Das Ende der Frauenausbeutung bedeutet das Ende der Möglichkeiten, aus der existentiellen Mehrarbeit der Frauen Männermacht zu schlagen. Die Macht ohne Macht - das ist das Ende des historischen Mannes.
»In chinesischen Legenden steht geschrieben, daß große Meister in ihre Bilder hineingehen und verschwunden sind. Die Frau ist kein großer Meister. Deshalb wird ihr Verschwinden nie vollkommen sein. Sie taucht wieder auf, beschäftigt wie sie ist, mit dem Verschwinden.«




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