Gneisenaustraße 2a 10961 Berlin
Über uns
Home
Der Verlag
News
Veranstaltungen
Bücher
Neu/Buchtipps
Lieferbare Titel
Die Beute
Restexemplare
Verzeichnis
Titel von A-Z
Autor von A-Z
Erscheinungsjahr
Broschüren
Kontakt
Newsletter
AGB
Impressum
Links
Suchen
Leseprobe

Seiten    1  2  3  4  5  6  7 

Zurück  

  Seite 6/7
Vorwort Erfindung der weißen Rasse

Aus:
Die Erfindung der weissen Rasse, Seite 7-23

Von Jost Müller

          Solche historischen Vergleiche machen darüber hinaus auch deutlich, daß die Genese rassistischer Unterdrückung keineswegs einer einheitlichen historischen Entwicklungslogik folgt. Schon aus diesem Grund ist die Fixierung auf ein historisches Datum, wie es anläßlich der 500-jährigen Wiederkehr der ersten »Entdeckungsfahrt« von Cristóbal Colón (Christoph Kolumbus) und damit der Anfänge der spanischen Kolonisation in Amerika nicht selten auch in kritischer Absicht scheinen konnte, in sozialgeschichtlicher Perspektive hinfällig. Das Jahr 1492 markiert nach einer Version der Geschichtsschreibung mit der Vertreibung der Araber und Juden aus Spanien, dem Ende der sogenannten reconquista, und den Anfängen der atlantischen Kolonisierung, dem Beginn der conquista, zugleich den Beginn einer sich sukzessive totalisierenden eurozentristischen Zivilisation, in der Kolonialismus und Rassismus unmittelbar verschweißt sind. Für Tzvetan Todorov, den etwas vorsichtigeren Autoren einer Diskursanalyse anhand von Quellen des »Seefahrers« Colón selbst, des »Eroberers von Mexiko« Hernando Cortés und des »Anwalts der Indianer« Bartolomé de Las Casas zur Konstruktion des »Anderen« im frühen spanischen Kolonisationsprozeß (La conquête de l’Amérique, 1982; dt.: Die Eroberung Amerikas, 1985), sind die Europäer alle »direkte
Nachkommen Colóns«, und auch er datiert den »Beginn des modernen Zeitalters« auf das Jahr 1492.
          Entzieht man sich der symbolischen Wirkung eines allem
Anschein nach schlüssigen Datums, so liefern die historischen Ereignisse in Spanien lediglich einen von mehreren Ausgangspunkten, rassistische Unterdrückung im Zusammenhang von Kolonisation und Versklavung zu analysieren. In den Blick kommen dagegen historische Aspekte und Ereignisse, die das fixe Datum weniger überzeugend erscheinen lassen: etwa die Vertreibung der Juden im ausgehenden 13. Jahrhundert aus England und im 14. Jahrhundert aus Frankreich, um nur zwei Daten aus der lang dauernden Verfolgungs- und Vertreibungsgeschichte der Jüdinnen und Juden zu nennen, die portugiesische Kolonisation im Atlantik (Madeira, Azoren) und an der afrikanischen Westküste verstärkt seit Beginn des 15. Jahrhunderts, die bereits auch dem Sklavenhandel diente, nicht zuletzt die portugiesisch-kastilische Konkurrenz um die Kanarischen Inseln, in der seit 1479 erstmals die reconquista nach Übersee verlagert wurde, oder auch das mißglückte Unternehmen des Venezianers Giovanni Caboto (John Cabot) und der Bristol Merchants aus den Jahren 1497/98, auf einer Nord-West-Passage die Küste Chinas zu erreichen, was dem Vorhaben Colóns, den Seeweg nach Indien zu erschließen, völlig analog war.
          Die angeführten Gegenbeispiele mögen die These von der sich seither totalisierenden Zivilisation oder von dem Beginn des moderneren Zeitalters nicht hinlänglich außer Kraft setzen, aber sie lenken die Aufmerksamkeit dennoch auf einen weiteren Raum und einen längeren Zeitabschnitt als den Umschwung von reconquista und conquista in Spanien. Die historischen Veränderungen zu Beginn der sogenannten Neuzeit in Europa sind nur ausgehend von der fundamentalen Krise der Feudalität zu begreifen, einer langen Krisenperiode im 14. und 15. Jahrhundert, in der Ökonomie, Staat und Gesellschaft umgewälzt wurden. Um einige Tendenzen zu nennen, die diese tiefgreifende Umwälzung charakterisieren, sei hier auf die Umwandlung der feudalen Abgabepflichten in Geldrenten, die Zentralisierung der politischen Macht gegen die parzellierte Herrschaft des Lehnsystems, die Auflösung des Rittertums, die Ausweitung der Warenbeziehungen, die umfassende Wiedereinführung des römischen Rechts mit seinem kodifizierten Eigentumsbegriff, das Anwachsen der Städte und die Herausbildung der Handelsbourgeoisie, schließlich die Erschütterung des katholischen Universalismus und die ständige Gefahr von Bauernrevolten verwiesen. Alle diese Tendenzen haben sich auch auf den Prozeß der Kolonisation ausgewirkt, dessen Resultat aber keineswegs voraussehbar war.
          Im für die atlantische Kolonisierung entscheidenden westlichen
Teil Europas entstanden aus der Krise und der sie begleitenden sozialen Umwälzung die königlichen Renaissancestaaten; dies gilt etwa beginnend mit der Regierungszeit von Isabella und Ferdinand seit 1479 für Kastilien und Aragón, für England unter dem ersten Tudor-König Heinrich VII. seit 1485 und schon seit 1461 unter Ludwig XI. für Frankreich. Die Renaissancestaaten bilden, so könnte man sagen, die Rohform der absoluten Monarchie; sie bewerkstelligten die gewaltsame Reorganisation der Adelsmacht, die in der Krise der Feudalität einer Paralyse anheimzufallen drohte. Sie zentralisierten und vereinheitlichten den Staatsapparat und schufen so die Grundlagen für die Herausbildung des absolutistischen Staats, der sich in den folgenden Jahrhunderten vor allem als Organisation des Kriegs in einen Territorialstaat wandelte, und wie in Europa sollte der Krieg auch das wichtigste politische Mittel der territorialen Aneignung der »Neuen Welt« bleiben. Die institutionellen Neuerungen dieser Territorialstaaten, die jedoch noch nicht als Nationalstaaten zu bezeichnen sind, waren also zunächst ganz auf die Kriegsführung ausgerichtet; ihr diente die Einrichtung einer effektiven Verwaltung und eines Steuersystems ebenso wie die Verleihung von Handelsmonopolen und der Aufbau eines diplomatischen Apparats oder schließlich eines stehenden Heeres.
          Doch auch diese allgemeine Charakteristik des sozialen und politischen Zustands der europäischen Kolonialmächte seit dem 16. Jahrhundert reicht nicht hin, um die jeweiligen politischen Strategien zu erläutern, die im Zuge der Kolonisation von seiten der herrschenden Klassen Anwendung fanden. Der absolutistische Staat im Westen war gekennzeichnet durch einen Zwiespalt, der immer wieder zum Motor seiner Gewaltexzesse – etwa der Hugenottenverfolgungen in Frankreich des 16. und 17. Jahrhunderts – wurde. Einerseits verfolgte er offensichtlich das Ziel, die aristokratischen Privilegien und das aristokratische Eigentum zu schützen und Bauern wie besitzlose Landbewohner in neue Abhängigkeits- und Ausbeutungsverhältnisse (Pachtsystem u.ä.) zu zwingen; andererseits aber kamen die neuen institutionellen Mittel dieser Herrschaftssicherung auch der aufkommenden Handels- und Manufakturklasse zugute. Aus diesem Zwiespalt und vor allem aus der jeweils ihm entspringenden politischen Machtkonstellation und Kompromißstruktur zwischen den beiden dominanten sozialen Klassen ergaben sich die möglichen Strategien, die beispielsweise den spanischen und französischen vom englischen oder den holländischen vom portugiesischen Kolonialismus unterschieden.

Weiterlesen
 





 
  
Die Erfindung der weissen Rasse
Theodor W. Allen
Rassistische Unterdrückung und soziale Kontrolle (Band 1)
340 Seiten
1. Auflage 1998
ISBN: 3-89408-078-7
Preis: € 24   sFr 46 
(zzgl. Porto+Versand)
Bestellbar hier direkt oder im Buchhandel.

bestellen