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Ein jugendlicher Hundertjähriger - Vorwort

Aus:
Berlin - Moskau - Kolyma und zurück, Seite 7-13

Von Jakob Moneta

denen ein autonomes Territorium oder eine autonome Republik zugesprochen wurde, blieb den Juden das Recht auf Eigenstaatlichkeit verwehrt. Gleichzeitig stand in den Pässen und Personalausweisen unter der Rubrik Nationalität das Wort ›Jude‹, was den Erfordernissen der Assimilation widersprach«.[4] So Ernest Mandel, der den Bolschewiki damit aber keinen »Antisemitismus« unterstellt. Denn sie hatten bis dahin unter Lenin den Antisemitismus vehement bekämpft.
          Der Zwitterstatus, den sie für die jüdischen Sowjetbürger vorsahen, ging vielmehr auf die Überzeugung der Marxisten der II. Internationale zurück, daß es mit der Konsolidierung der kapitalistischen Produktionsweise unvermeidlich zu einer staatsbürgerlichen Emanzipation der Juden kommen werde, die ebenso unvermeidlich zu ihrer Assimilation führen müsse.
          Karl Marx selbst war allerdings in seiner Frühschrift »Zur Judenfrage« sehr viel skeptischer gewesen. Der Kern seiner Argumentation war: Das Judentum sei in Gefahr, auch im bürgerlichen Nationalstaat eine diskriminierte Minderheit zu bleiben – weil den Juden in der Feudalgesellschaft eine besondere ökonomische Rolle zugewiesen worden war und weil es ungewiß war, ob der bürgerliche Staat die Macht der christlichen Kirchen würde brechen, sich also vom Christentum als Staatsreligion würde emanzipieren können. Die damals diskutierte Frage nach »der Emanzipationsfähigkeit der Juden« war für Marx die Frage danach, welches »besondere gesellschaftliche Element zu überwinden sei, um das Judentum aufzuheben«. Und diese umformulierte Frage führte ihn 1843 zu der Erkenntnis, daß erst dann, wenn die Unmenschlichkeit »der heutigen Lebenspraxis, die im Geldsystem ihre Spitze« hat, aufgehoben ist – also erst in der sozialistischen Gesellschaft –, auch das »Judentum« aufgehoben wäre.[5]
          Die Assimilation der Juden ist in den kapitalistischen Staaten aus zwei Gründen gescheitert. Erstens sind »unassimilierte« Juden wegen ihrer Verfolgung in Osteuropa in immer neuen Wellen nach Mittel- und Westeuropa geflohen. Zweitens verschärfte dann die Weltwirtschaftskrise Anfang der 30er Jahre die Konkurrenz, der verelendete Mittelstand war hungrig nach einer außerökonomischen Erklärung und machte den Antisemitismus zu seiner politischen Ideologie.
          Die Führer der Bolschewiki waren davon ausgegangen, daß die von ihnen geschaffenen gesellschaftlichen Verhältnisse, die Beseitigung des Analphabetismus und die Volksbildung auch zum Verschwinden des vom Zarismus genährten Antisemitismus führen werde. Die überwiegende Mehrheit der Juden aber lebte nach der Revolution nicht im russischen Sowjetstaat, sondern in der Ukraine und Weißrußland. Zwar war in der Ukraine nach der Februarrevolution 1917 ein autonomer Staat unter der Führung von bürgerlichen und sozialistischen Politikern gegründet worden, und der ukrainische Zentralrat (Rada) gewährte den nationalen Minderheiten das Bürgerrecht, so daß die jüdischen Parteien auf der Seite der Ukrainischen Republik standen, ebenso der »Bund« in seiner Auseinandersetzung mit den Bolschewiki. Aber die deutsche Besatzung – von Mai bis Dezember 1918 – und die nachfolgenden konterrevolutionären Interventionstruppen machten die Errungenschaften in der Ukraine rückgängig. Das Hetmann-Regime Skoropatskis wurde eingesetzt, und Simon Wassiljewitsch Petljura wurde Kriegsminister und im Februar 1919 oberster Ataman des Heeres. In den Jahren 1918 bis 1921 wurde die Ukraine zum Schauplatz der fürchterlichsten Pogrome, die Europa vor der »Endlösung« durch die Nazis erlebt hat. Zwi Gitelman schätzt die Zahl der Opfer auf 150 000, die in grausamen Massakern umgebracht worden sind.[6]
          Diese entsetzlichen Metzeleien brachten die jüdischen Parteien zur »Einsicht ..., daß unter der Sowjetmacht wenigstens die Existenz der Juden gesichert sei. Aus diesem Grund und im Zuge der bolschewistischen Strategie in der Ukraine gingen größere Teile der jüdischen sozialistischen Parteien zum

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Berlin - Moskau - Kolyma und zurück
Nathan Steinberger
Nathan Steinberger im Gespräch mit Barbara Broggini über Stalinismus und Antisemitismus
1. Auflage 1996
ISBN: 3-89408-053-1
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