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  Seite 4/7
Vorwort Erfindung der weißen Rasse

Aus:
Die Erfindung der weissen Rasse, Seite 7-23

Von Jost Müller

                                              II.
 
          Der sozio-ökonomische Ansatz in der US-amerikanischen Geschichtsschreibung geht auf die Etablierung des Systems der Sklavenarbeit zurück, um die Entstehung rassistischer Unterdrückung zu erklären. Bereits 1944 hatte der Historiker Eric Williams in seiner heute als klassisch geltenden, marxistischen Studie Capitalism and Slavery über den Zusammenhang von Sklavenhandel, Plantagensklaverei und der Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise in England die These vertreten, daß die Sklaverei nicht das Produkt des Rassismus, sondern der Rassismus eine Folge der Sklaverei war. Was zunächst wie eine einfache Umkehrung des psycho-kulturellen Ansatzes erscheint, erwies sich für die historische Forschung als aufschlußreicher Ausgangspunkt. Gestützt auf Williams These waren sowohl die Motive der Versklavung als auch die Formen der Renitenz, »Faulheit«, Sabotage und Revolte, nicht länger aus rassistischen Zuschreibungen abzuleiten, etwa aus der klimatischen Anpassungsfähigkeit der aus Afrika Verschleppten beziehungsweise aus deren »Unbändigkeit« und »Fanatismus«. Die legitimatorische Funktion solcher Zuschreibungen für die angesprochene »Erziehung zur Arbeit« wurde durchschaubar, und man kam nicht umhin, die »Sklaven« als handlungsfähige Subjekte der historischen Ereignisse zur Kenntnis zu nehmen. In den Mittelpunkt der historischen Forschung zu Rassismus, Sklaverei und Kolonialsystem rückte der sozio-ökonomische Ansatz dabei die Plantagenökonomie. Sie prägte die für die rassistische Versklavung grundlegenden Sozialverhältnisse und kurbelte in Europa die kapitalistische Akkumulationsmaschinerie an. Die Zucker-, Tabak- und Baumwollplantagen auf dem amerikanischen Kontinent, in Brasilien, in der Karibik oder auf dem nordamerikanischen Festland, bildeten das Territorium der modernen kapitalistischen Sklavenhaltergesellschaften. Schon Marx merkt in dem berüchtigten Kapitel über die »sogenannte ursprüngliche Akkumulation« im ersten Band des Kapital an: »Überhaupt bedurfte die verhüllte Sklaverei der Lohnarbeiter in Europa zum Piedestal die Sklaverei sans phrase in der neuen Welt.«
          Paradoxerweise ist Marxens polemische Bemerkung ebenso hellsichtig wie verdunkelnd. Letzteres nicht nur, weil Marx Lohnarbeit und Sklavenarbeit – zumindest metaphorisch – in eins setzt, sondern vor allem, weil er hinter der Formulierung von der »Sklaverei sans phrase« ihren Charakter als spezifische Institution von Ausbeutung und rassistischer Unterdrückung tendenziell verschwinden läßt. Mit anderen Worten, die politischen und ideologischen Implikationen einer auf Sklaverei basierenden Ökonomie treten völlig in den Hintergrund gegenüber dem ökonomischen Resultat. Es ist hier nicht der Ort, das unzureichend geklärte Verhältnis von außerökonomischer Gewalt und ökonomischer Effektivität, wie es beispielsweise in der zitierten Formulierung auftaucht und als Problem das gesamte Kapitel über die »sogenannte ursprüngliche Akkumulation« im Kapital durchzieht, gar Marxens Überlegungen zum Problem der Sklaverei etwa in den Grundrissen der Kritik der politischen Ökonomie weiter zu verfolgen. Im Blick hatte Marx die Baumwollplantagen in den nordamerikanischen Südstaaten zu Beginn des 19. Jahrhunderts, die »Verwandlung der früher mehr oder weniger patriarchalischen Sklavenwirtschaft in ein kommerzielles Exploitationssystem«, die durch die Expansion der europäischen Textilindustrie angestoßen wurde.
          Die historische Koinzidenz der ökonomischen Durchsetzung der industriellen Bourgeoisie und der effektivierten Restituierung der Plantagenökonomie im Übergang zum Baumwollanbau sowie der festen Etablierung einer kleinen Sklavenhalter-Aristokratie in den Südstaaten, von sogenannter industrieller Revolution und forcierter Sklavenwirtschaft steht nicht in Frage. Zieht man etwa das Beispiel Virgina heran, so wird allerdings deutlich, daß diese Konstellation die Herausbildung von rassistischer Unterdrückung bereits voraussetzt. Im ausgehenden 17. Jahrhundert und beginnenden 18. Jahrhundert wird in dieser englischen Kolonie die Plantagenökonomie im Tabakanbau eingeführt und mit ihr die Sklaverei. Zuvor beruhte die Ausbeutung der Arbeitskräfte in den Kolonialgebieten des nordamerikanischen Festlands vor allem auf der schon erwähnten Schuldknechtschaft, die eine zeitlich befristete, meist sieben Jahre dauernde Leibeigenschaft bedeutete, in der die einwandernden Europäer die überteuerten Schiffspassagen gegen Kost und Unterkunft abarbeiten mußten. Immerhin mehr als die Hälfte aller europäischen Einwanderer hatte im 17. und 18. Jahrhundert einen solchen Status als »Intentured Servant« (in den französischen Kolonien hießen Einwanderer mit diesem Status engagés) inne oder, sofern sie überlebten, inne gehabt. Der Grund, weshalb dieses System der Ausbeutung in Virginia aufgegeben wurde, ist dem sozio-ökonomischen Ansatz zufolge darin zu sehen, daß Arbeitskräfte aus Afrika schlicht billiger gewesen seien. Allen nun, der den sozio-ökonomischen Ansatz gerade im Hinblick auf die zentrale Bedeutung, die dieser den Produktionsverhältnissen und Haushaltsorganisationen beimißt, übernimmt, kann in seiner historischen Studie zeigen, wie diese Grundannahme fehlgeht.
          Zum einen lassen sich, wie Allen bereits in der Einleitung zur englischsprachigen Ausgabe anmerkt, keine Belege dafür finden, daß die Kosten für den Erwerb und Transport von Arbeitskräften aus Afrika geringer gewesen wären als die für Arbeitskräfte aus England, Schottland oder Irland. Das ökonomische Kalkül der Plantagenbesitzer erweist sich mithin als kaum hinreichend, um die Etablierung rassistischer Versklavung zu erklären. Zum anderen beinhaltet das ökonomische Argument eine Tautologie, die Allen in seiner Kritik der Beziehung von Rentabilität und Versklavung im sozio-ökonomischen Ansatz herausstellt und die auch das bei Marx aufgezeigte Problem von politischer und ideologischer Implikation und ökonomischem Resultat der modernen Sklaverei betrifft: Demnach waren afrikanische Arbeitskräfte billiger, weil sie versklavt waren, bevor sie versklavt wurden, weil sie billiger waren. Für Allen bildet diese Tautologie die Achillesferse jeder sozio-ökonomischen Erklärung rassistischer Versklavung, die eine solche ökonomistische Verkürzung vornimmt und den Aspekt der sozialen Kontrolle der Arbeitskräfte vernachlässigt. Nicht nur daß die historische Quellenlage jenes Rentabilitätsargument nicht stützt, sondern auch daß das ungeklärte Verhältnis von Ökonomie und »außerökonomischem Zwang« zum Anlaß genommen wird, in psycho-kulturelle Argumentationsmuster zur Begründung der Versklavung zurückzufallen, motiviert seine Forschungsarbeit. Letztlich erscheinen die Sklaven auch in der ökonomistischen Variante des sozio-ökonomischen Ansatzes als »williges« Eigentum, als eine Art fixes Kapital, nicht aber als rebellische Arbeitskräfte, die sie in der Geschichte des Kolonialismus und der modernen Sklaverei tatsächlich waren.

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Die Erfindung der weissen Rasse
Theodor W. Allen
Rassistische Unterdrückung und soziale Kontrolle (Band 1)
340 Seiten
1. Auflage 1998
ISBN: 3-89408-078-7
Preis: € 24   sFr 46 
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