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  Seite 7/7
Vorwort Erfindung der weißen Rasse

Aus:
Die Erfindung der weissen Rasse, Seite 7-23

Von Jost Müller

          In seiner Studie Die Erfindung der weißen Rasse beschreibt Allen die Etablierung rassistischer Unterdrückung in den englischen Kolonien des nordamerikanischen Festlands als eine solcher möglichen Strategien der Herrschaftssicherung, die sich aus dem absolutistischen in den bürgerlichen Staat übertragen haben. Er geht dabei zurück auf die Kolonisierung Irlands, um die irische Geschichte, wie er mehrfach betont, als Spiegel seiner Einsichten in die soziale Genese von Rassismus und »weißer Superiorität« in den USA zu verwenden. Denn die irische Geschichte liefert ihm das Fallbeispiel einer rassistischen Unterdrückung ohne Bezug auf eine bestimmte Hautfarbe, die aber zahlreiche Parallelen mit dem System der rassistischen Unterdrückung der Afro-Amerikaner in den englischen Kolonien und den späteren Südstaaten aufweist. Durch diesen Vergleich, der zunächst wie ein unnötiger historiographischer Umweg erscheinen mag, kann Allen die konstitutiven Elemente rassistischer Unterdrückung als System sozialer Kontrolle, also unabhängig von allen stigmatisierenden Zuschreibungen und ökonomistischen Verkürzungen, herausarbeiten: das Erfordernis einer wirkungsvollen administrativen Bürokratie, die Notwendigkeit eines stehenden Heeres, die Rekrutierung einer Mittelschicht als sozialer Pufferzone und nicht zuletzt die Vernichtung jeder sozialen Mobilität innerhalb der bestehenden Gesellschaft, alles Elemente der Herrschaftssicherung, die der absolutistische Staat hervorgebracht und an den bürgerlichen Staat vererbt hat. War die irisch-katholische Bevölkerung vor allem nach der Einführung von drakonischen Strafgesetzen am Ende des 17. Jahrhunderts und zu Beginn des 18. Jahrhunderts, den sogenannten Penal Laws, die schließlich fast ein Jahrhundert in Kraft bleiben sollten, in Irland dem »sozialen Tod« bestimmt, von jeder sozialen Mobilität innerhalb der sich dynamisch entwickelnden bürgerlichen Gesellschaft abgeschnitten, so fanden sich jene katholischen Iren, die über den Atlantik in die englischen Kolonien oder später die Vereinigten Staaten übersetzen konnten, auf der Seite der rassistischen Unterdrücker wieder und verwandelten sich womöglich von Gegnern der rassistischen Unterdrückung in Verfechter der Konstruktion »weißer Superiorität« in Amerika. Allein schon das Fallbeispiel Irland, das im ersten Band ausführlich dargestellt wird, relativiert in Allens Augen diese vorherrschende Konstruktion.

                                               IV.

          Allen schreibt mit Die Erfindung der weißen Rasse nicht die Geschichte des Rassismus, sondern, um eine Formulierung von Étienne Balibar aus dem gemeinsam mit Immanuel Wallerstein veröffentlichten Essayband Rasse, Klasse, Nation (franz. 1988, dt. 1990) aufzugreifen, die »singuläre Geschichte« der rassistischen Unterdrückung in den USA. Er zeichnet den historischen Entwicklungsweg nach, den diese Form sozialer Kontrolle von der Kolonisierung Irlands in die englischen Kolonien Amerikas und schließlich durch den Prozeß der »weißen« Dekolonisation in den USA hindurch genommen hat; er markiert die Wendepunkte, hin etwa zur Etablierung der rassistischen Unterdrückung in den späteren Südstaaten zu Beginn des 18. Jahrhunderts oder zur Ersetzung der rassistischen durch die nationale Unterdrückung im Irland des 19. Jahrhunderts; er untersucht die jeweils spezifischen sozio-historischen Situationen, etwa in Ulster, Virginia oder der britischen Karibik, in denen die rassistische Unterdrückung als politische Strategie zur Anwendung kam, sowie die Latenz- und Tendenzphasen in der Umsetzung dieser Strategie. Rassismus, so seine fundamentale These, läßt sich nur als soziales Herrschaftssystem begreifen, dessen ökonomische und politische Konstitutionsbedingungen sich genau angeben lassen. So gelingt ihm tatsächlich der historische, nicht allein logische Nachweis, daß es sich bei der »weißen Rasse« um eine soziale Konstruktion handelt, der die Grundlagen in sozialen Kämpfen nicht nur in bestimmten historischen Augenblicken bereits entzogen wurden, sondern künftig auch entzogen werden können. In diesem Sinn gibt Allens Studie der kritischen Rassismustheorie, wie sie sich auch in der Bundesrepublik entwickelt hat, ihre sozialhistorische Dimension zurück.
          Freilich verfolgt Allen nur einen von mehreren Strängen, entlang derer die historische Ausbreitung des Rassismus, oder besser, der Rassismen und deren Einlagerung in das Kolonialsystem sowie ihrer staatlich-administrativen und ökonomischen Voraussetzungen zu analysieren sind. Weitere historische wie auch gegenwartsbezogene Studien wären zweifellos wünschenswert und notwendig, um die soziale und sozialgeschichtliche Dimension der Rassismustheorie herauszuarbeiten und zu stützen. Bisher hat die in der BRD noch in den Anfängen steckende Debatte über rassistische Unterdrückung, ihre ökonomischen, politischen wie ideologischen Bedingungen und Folgen es allerdings noch nicht vermocht, eine solche Theorie- und Forschungsarbeit anzustoßen. Dies mag zum einen an der faktischen politischen Schwäche antirassistischer Organisierung liegen, die bisher nicht dazu in der Lage war, über kleine Gruppen und subkulturelle Milieus hinaus eine soziale Form der Auseinandersetzung zu finden und sich so nicht selten in Kampagnen erschöpft, die im ideologischen Rahmen moralisierender Kritik und humanistischer Ideale, kurz: aufklärerischer Anklage, verharren müssen. Dies liegt aber zum anderen auch daran, daß in der gegenwärtigen Situation eine anderen Ländern kaum vergleichbare intellektuelle Provinzialisierung, ja Verödung festzustellen ist, in der die letzten Verbindungen zwischen einer universitären Linken, einer Linken, die über die Ressourcen von Forschungseinrichtungen und Universitätsinstituten verfügen könnte, und der nicht-institutionalistischen, politisch informell agierenden Linken gekappt zu werden drohen.
          Indiz hierfür ist nicht zuletzt die Art und Weise, wie in der universitären Linken – von wenigen Ausnahmen abgesehen – auf die Rassismus- Debatte reagiert wurde. Statt sich der brennenden Frage staatlich sanktionierter und konsensuell gestützter rassistischer Diskriminierungspraktiken in Theorie und Forschung anzunehmen, um die Debatte voranzutreiben, wurde die Rassismustheorie mit windigen Konzepten von Fremdenfeindlichkeit und Xenophobie, die alle unverkennbar Tendenz auf eine politische Anthropologie nehmen, oder mit sozialpsychologischen Anomie- und Deprivationsthesen abgewehrt und antirassistische Politik allzu oft einfach als dogmatisch, realitätsfremd und maßlos übertrieben abqualifiziert.
So blieb es im wesentlichen der Buchproduktion kleinerer Verlage, den auflagenschwachen Zeitungen, Zeitschriften und anderen Periodika der Linken überlassen, ein deutschsprachiges Publikum mit den weiterreichenden Debatten und den neueren Forschungsansätzen überhaupt bekannt zu machen und einen intellektuellen Transfer vor allem aus dem englisch- und französischsprachigen Ausland zu organisieren.
In diesem Kontext ist auch die hier mit dem ersten Band vorliegende Übersetzung der Studie The Invention of the White Race von
Theodore W. Allen zu sehen.
Jost Müller
 





 
  
Die Erfindung der weissen Rasse
Theodor W. Allen
Rassistische Unterdrückung und soziale Kontrolle (Band 1)
340 Seiten
1. Auflage 1998
ISBN: 3-89408-078-7
Preis: € 24   sFr 46 
(zzgl. Porto+Versand)
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