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  Seite 5/7
Vorwort Erfindung der weißen Rasse

Aus:
Die Erfindung der weissen Rasse, Seite 7-23

Von Jost Müller

Das Pendant ökonomischer Rationalität ist nach Allen in der Konstruktion eines Herrschaftssystems zu suchen, das den Plantagenbesitzern eine wirkungsvolle Kontrolle der Arbeitskräfte wie der gesellschaftlichen Hierarchie erlaubte. Diesem System der sozialen Kontrolle, wie es in Virginia zu Beginn des 18. Jahrhunderts, vor allem in dem »Act concerning Servants and Slaves« von 1705, durchgesetzt wurde, diente die »Erfindung der weißen Rasse« in dreifacher Weise: erstens als Reaktion der herrschenden Klasse auf die Solidarität der Leibeigenen und Sklaven, als zerstörerisches Mittel gegen die Arbeitersolidarität, wie sie sich etwa in der Bacon-Rebellion gezeigt hatte; zweitens zur Einschwörung der besitzlosen »Weißen« mittels des juristisch kodifizierten und staatlich institutionalisierten Privilegiensystems auf die rassistische Gemeinschaft mit der Plantagenbourgeoisie; drittens schließlich durch die Desorganisation der Beherrschten insgesamt, mit niederschmetternden Auswirkungen nicht nur für die Interessenbestimmung der afro-amerikanischen Bevölkerung, sondern auch für die der besitzlosen »Weißen«. In Allens Augen handelt es sich hierbei um einen politischen Vorgang, der nunmehr fast drei Jahrhunderte die Geschichte zunächst der englischen Kolonien in Nordamerika und dann der Vereinigten Staaten beherrscht hat.
          Tritt zum Argument ökonomischer Rationalität aber das
Argument politischer Herrschaftsrationalität hinzu, so bleibt die Frage
zu beantworten, wie die Konstruktion »weißer Superiorität« in den sozialen Verhältnissen verankert ist. Allen neigt dazu, diese Verankerung als politische Strategie der herrschenden Klasse und damit instrumentell aufzufassen. Die herrschende Klasse bedient sich rassistischer Unterdrückung, so seine Antwort, um bestimmte soziale Gruppen dauerhaft aus dem gesellschaftlichen Leben auszuschließen. In diesem Sinn bildet die rassistische Unterdrückung ein gesondertes Unterdrückungssystem, das weder dem der sozialen Klassenherrschaft noch dem sexistischer oder nationaler Unterdrückung entspreche und die Verweigerung fundamentaler, bereits gültiger Rechte, die Erzeugung herrschaftssichernder Privilegien wie die Herstellung eines eigentümlichen sozialen Status beinhalte. Um diese Form der Unterdrückung zu charakterisieren, stützt Allen sich auf das Konzept des »sozialen Todes«, das in den Forschungen zur vorkolonialen Sklaverei von dem Kreis um Claude Meillassoux (vgl. Anthropologie de l’esclavage, 1986, dt.: Anthropologie der Sklaverei 1989) schon in den siebziger Jahren entwickelt wurde und in der vergleichenden Studie Slavery and Social Death (1982) von Orlando Patterson zugrunde gelegt ist. Gemeint sind damit soziale Prozesse wie Entsozialisierung, Entzivilisierung und Entpersönlichung, die zur Zerstörung der kollektiven wie der individuellen Reproduktionsfähigkeit führen und etwa in Handels-, Gewerbe- und Berufsverboten, in gesetzlich festgelegten Heiratsverboten und restriktiven Heiratsregeln, im Verbot, lesen und schreiben zu lernen, über Eigentum zu verfügen, in der Verweigerung eines Rechtsbeistands vor Gericht und ähnlichem mehr ihren Niederschlag finden. Allens Studie verfolgt anhand dieser Bestimmungen die soziale Genese des rassistischen Unterdrückungssystems in den USA, und seine sozialgeschichtliche Orientierung bewahrt ihn schließlich vor einem allzu simplifizierenden Instrumentalismus wie vor reinem Konstruktivismus in der Herrschaftsanalyse.

                                                 III.

          Um die Herausbildung rassistischer Unterdrückung als System sozialer Kontrolle zu beschreiben, hält Allen die gesamte Geschichte der atlantischen Kolonisierung präsent und zieht sie zum Vergleich mit den Bedingungen auf den nordamerikanischen Kontinent heran. Insbesondere anhand der Kolonisierung der Karibik wird dabei deutlich, daß die Kolonialmächte und die Plantagenbesitzer unterschiedliche politische Strategien der sozialen Kontrolle entwarfen. Überhaupt bildete die Karibik über Jahrhunderte einen zentralen Schauplatz der atlantischen Kolonisierung. Die karibischen Inseln waren begehrte Objekte der europäischen Kolonisatoren; neben den westeuropäischen beanspruchten auch nordeuropäische Mächte wie Dänemark und – zumindest zeitweise – Kurland hier überseeische Besitzungen, und im ausgehenden 19. Jahrhundert kamen schließlich noch die USA (vor allem Puerto Rico) hinzu. Angetrieben durch die Gründung von »Westindischen Handelsgesellschaften « in England, Holland und Frankreich entwickelte sich die Karibik im 17. Jahrhundert zum Hauptkampfplatz, auf dem sich zeitweilig auch unabhängige Freibeutergesellschaften tummelten, bevor gegen Ende des Jahrhunderts von seiten der Kolonialmächte staatliche Verwaltungen eingeführt wurden. Die Inseln waren nicht nur als Plantagenkolonien und Umschlagplätze für den transkontinentalen Dreieckshandel zwischen den europäischen Metropolen, der afrikanischen Westküste und den amerikanischen Kolonien von zentraler Bedeutung, sondern auch als militärische Stützpunkte, um das spanische Handelsmonopol zu brechen und die Kolonisierung des Festlands voranzutreiben. Indem Allen die unterschiedlichen historischen Bedingungen der Kolonisation in seine Studie einbezieht, kann er die verschiedenen Systeme der sozialen Kontrolle genau bestimmen. Grob skizziert, entstand auf dem nordamerikanischen Festland ein wesentlich massiveres System der sozialen Ausschließung als in der Karibik, wo die herrschende Klasse die »freien Farbigen « bald in der Funktion einer sozialen Pufferschicht zwischen Sklaven und Plantagenbesitzern zu schätzen wußte.

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Die Erfindung der weissen Rasse
Theodor W. Allen
Rassistische Unterdrückung und soziale Kontrolle (Band 1)
340 Seiten
1. Auflage 1998
ISBN: 3-89408-078-7
Preis: € 24   sFr 46 
(zzgl. Porto+Versand)
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