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Die Ermordung Aldo Moros
Aus: Mit offenem Blick, Seite 131-141
Von Curcio
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und nicht unmittelbar in Beziehung zu Moro stehender Tausch sein können, etwa die Freilassung irgendeines Guerilleros irgendwo auf der Welt.
Wie war eure Situation im Knast nach der Entführung? Die Überwachung wurde verschärft, dauernde Körperkontrollen, Analkontrollen mitinbegriffen. Aber, wie so oft in extrem angespannten Situationen, es entstand eine gewisse Doppelbindung zu den Schließern: eine eisige Stille, lange drohende Blicke, eine absolute Begrenzung auf die zugewiesenen Räume, eine strikte Disziplin und Kontrolle jeder Geste, um bloß kein Mißverständnis auszulösen. Wir wurden wie super-gefährliche Gestalten behandelt, aber da war offensichtlich auch noch etwas anderes. Wir wurden auch mit besonderer Aufmerksamkeit bedacht. Häufig kamen Beamte, um uns die Radiomeldungen zuzutragen; oder sie brachten uns schnell die Post, die wir kiloweise bekamen, und andere derartige Dinge. Natürlich versuchten wir unter uns die Anspannung abzubauen und die Lage zu entdramatisieren. Wir machten auch unsere Späße. Ging ein Genosse zum Hofgang, so packten derweil die anderen seinen Seesack und sagten ihm, daß er nun bald rauskäme, da er sich unter denen für den Austausch vorgesehenen Gefangenen befände. Oder Pelli und Franceschini, meine Mitbewohner, hängten sobald ich eingeschlafen war, ein Schild mit meinem Namen und einem Richtungspfeil an meine Pritsche, um zum Spaß die Prügel eines eventuellen nächtlichen Strafüberfalls auf mich zu richten. So konnten wir unsere Sorgen zum Ausdruck bringen und dadurch etwas mildern.
Habt ihr von draußen Nachfragen bekommen? Wurde Druck auf euch ausgeübt? Die erste Konfrontation mit der Welt außerhalb des Knastes fand im Saal des Riesenprozesses in Turin ein paar Tage nach der Entführung statt. Wir wurden in die Käfige geführt. Es herrschte eine unheimliche Ruhe. Eine schwere Stille voller angespannter Erwartungen lastete auf uns. Alle Blicke waren in unsere Richtung gewandt, alle Augen auf uns gerichtet, man hätte eine Mücke summen hören können. An den Augen konnte man ablesen, daß wir, dort in den Stahlkäfigen, für sie diejenigen waren, die Moro entführt und die drei Polizisten der Eskorte getötet hatten. Wir waren sehr verlegen und uns unserer eigenen Rolle nicht sicher. Dann brach das Eis, die Neugier nach mehr Information überwog, Journalisten und Fernsehteams, Massen von Mikrophonen drängten sich zu den Gitterstäben. Alle brüllten uns Fragen zu, wollten etwas hören.
Und ihr? Wir hielten uns an das, was wir beschlossen hatten. Wir beantworteten praktisch keine Fragen zu der Entführung. Wir wollten da nicht mit hineingezogen werden. Wir gaben nur formale Erklärungen. Ich sagte mehr oder weniger folgendes: »Ich bin in den Roten Brigaden organisiert und teile somit ihre Praxis; wenn ihr etwas über die Roten Brigaden und diese Aktion wissen wollt, lest die Flugblätter.« Der Vorsitzende des Gerichts, Guido Barbaro, war ein sehr geschickter und seriöser Mensch. Er schaffte es, den Prozeß fortzusetzen, ohne sich von den Ereignissen überrollen zu lassen. Zur Verhandlung standen Geschehnisse, die sich zwischen 1970 und 1975 zugetragen hatten, aber der augenblickliche Druck war enorm. Barbaro war in der Lage, jegliche Stimmungsmache zurückzuweisen. Er wurde mit unserem Versuch fertig, die Verhandlung in eine Werbekampagne für die BR umzuwandeln. Er ließ uns dazu keine Möglichkeit.
Hat es trotz eurer Haltung jemanden gegeben, der sich direkt an dich wandte, um etwas für die Freilassung Moros zu tun? Im Laufe der fünfundfünfzig Tage haben sich verschiedenste Leute an uns gewandt. Marco Boato kam in den Saal und bat darum, im Namen unsere alten Freundschaft einen Appell an mich richten zu dürfen: »Wir sind zusammen an der Universität von Trento gewesen. Ich kenne deine menschlichen und intellektuellen Vorzüge. Ich kann mir nicht vorstellen, daß du das, was geschieht, gutheißen kannst. Ich bitte dich, dein Möglichstes für die Freilassung des Gefangenen
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Mit offenem Blick
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Renato Curcio
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Zur Geschichte der Roten Brigaden. Ein Gespräch mit Mario Scialoja.
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205 Seiten
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1. Auflage 1997
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ISBN: 3-89408-068-X
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Preis: € 16 sFr 30
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