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  Seite 6/7
Die Ermordung Aldo Moros

Aus:
Mit offenem Blick, Seite 131-141

Von Curcio

interventionsfähig waren und dann als selbständige »Macht« in Italien existierten. Andererseits hat mir Moretti gesagt, daß die BR tatsächlich geglaubt hatten, zu einer akzeptablen Lösung bei der Entführung zu gelangen, ohne Moro zu töten. Sie hatten alle Hebel in Bewegung gesetzt und verschiedene informelle Kontakte aufgebaut. Sie waren bestürzt, sagte er mir, als sie feststellten, daß die Gegenseite sich definitiv verweigerte und jegliche Verhandlungen ausschloß. Moretti und seine Genossen deuteten die Botschaft des Papstes – »Männer der Roten Brigaden ... ich flehe euch auf Knien an, laßt den ehrenhaften Aldo Moro frei, ganz einfach, bedingungslos ...« – und das folgende Abbrechen der bestehenden Kontakte als unmißverständliche Tendenzverschiebung. Von diesem Zeitpunkt an waren die Genossen, die den Präsidenten der DC in ihrer Hand hatten, davon überzeugt, daß nichts mehr zu machen war. Innerhalb des Parteienblocks hatte eine gezielte Intervention jeden Raum für Verhandlungen verschlossen und die Oberhand gewonnen.

Es gab auch Leute, die behaupteten, die damalige externe Strategische Leitung der BR habe die Tötung des christdemokratischen Führers von Anfang an beschlossen.
Das halte ich für ein absurdes Gerücht, das absichtlich in Umlauf gesetzt wurde. Die BR waren tatsächlich verblüfft, als sie feststellten, daß es trotz der Dauer der Entführung niemandem gelang, konkrete Verhandlungen in die Wege zu leiten. Wenn dir jemand eine Pistole an die Schläfe hält und sagt, »gib mir dein Portemonnaie«, dann gibst du ihm zunächst das Portemonnaie und versuchst später dann einen effektiven Weg zu finden, das widerwillig Hergegebene wieder zurückzubekommen. Moro war eine zentrale Persönlichkeit des politischen Lebens in Italien. Um sein Leben zu retten, hat man die Tür nicht einen Spalt aufgemacht. Ich vermute, daß es gewollt war, daß sich gewisse Kreise einen unwiderruflichen Epilog gewünscht hatten. Ich wiederhole: Ich bin sicher, daß die BR bei der Planung der Entführung nicht davon ausgingen, Moro zu töten. Sie glaubten, ein konkretes politisches Ziel erreichen zu können – ein Ziel, welches flexibel gewesen wäre und welches im Vergleich zu den ursprünglichen Forderungen entscheidend hätte verringert werden können.

Du hast die Ermordung Moros für falsch gehalten?
Es war eine für die Roten Brigaden tragische und destruktive Entscheidung. Es fehlte ihnen in diesen Tagen an politischer Stärke und Weitsicht. Anscheinend hatten sie zuvor nicht überlegt, was sie tun sollten, wenn alle ihre Forderungen abgelehnt würden und sie vor der Entscheidung stünden den Gefangenen zu töten. Das scheint mir für den kurzsichtigen strategischen Blick der Genossen, die die Entführung durchführten, symptomatisch. Persönlich habe ich die Nachricht vom Tod Aldo Moros mit großem Unbehagen aufgenommen. Von Anfang an hatte ich den Eindruck, daß die BR hier eine Aktion durchführten, die über ihren politischen Möglichkeiten lag. Außerdem befürchtete ich verheerende organisatorisch-militärische Auswirkungen der ganzen Angelegenheit.

Also den »Fehler«, der den Anfang vom Ende der Roten Brigaden markierte?
Das habe ich nicht nur gedacht, sondern auch gleich so geschrieben. Kaum erreichte uns während des Hofgangs im Turiner Knast die Meldung über den aufgefundenen Leichnam in der Via Caetani, begannen Franceschini, Bertolazzi, ich und andere Genossen des alten Kerns eine langandauernde Diskussion. Sie wurde im Laufe der Zeit immer angespannter, dauerte Monate und führte zu einer wahren Schlacht hin- und hergeschobener Papiere. Sehr stark verkürzt ging es im wesentlichen um folgendes: Die Roten Brigaden waren am Ende; ihre Geschichte endet mit dieser Aktion, die zu einem extremen Niveau der politisch-militärischen Auseinandersetzung geführt und das alte Konzept der bewaffneten Propaganda verlassen hat. Die Reaktion der Öffentlichkeit, des italienischen Staates und der internationalen Kräfte auf

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Mit offenem Blick
Renato Curcio
Zur Geschichte der Roten Brigaden. Ein Gespräch mit Mario Scialoja.
205 Seiten
1. Auflage 1997
ISBN: 3-89408-068-X
Preis: € 16   sFr 30 
(zzgl. Porto+Versand)
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